PROUD und IPERGAY: eine Einschätzung

Auf der internationalen HIV-Konferenz CROI in Seattle wurden zwei Studien vorgestellt, die eine 86%ige Schutzwirkung des HIV-Medikaments Truvada bei HIV-negativen schwulen Männern zeigen. Armin Schafberger ordnet die Ergebnisse ein.

Es sind zwei Punktlandungen nach zahlreichen Bruchlandungen. Erstmals zeigt die PrEP mit Truvada in zwei Studien einen hohen Schutzeffekt. Die PROUD-Studie aus Großbritannien und die IPERGAY-Studie aus Frankreich und Kanada attestieren der PrEP eine Schutzwirkung von 86 Prozent (Senkung des HIV-Risikos gegenüber keiner PrEP-Einnahme beziehungsweise Placebo). Das ist, auch wenn es sich um relativ kleine Studien handelt, phänomenal.

Aber hatten wir ein solches Ergebnis nicht schon? Ja, aber nur, weil man die Ergebnisse schöngerechnet hatte. In bisherigen PrEP-Studien war die Therapietreue immer das große Problem. Wenn überhaupt, hatte nur etwa ein Drittel der Probanden die Medikamente regelmäßig genommen. Man suchte dann diejenigen heraus, die genügend Medikamente im Blut hatten, und schätzte auf dieser Basis einen Schutzeffekt von ungefähr 90 Prozent.

Wir wussten also schon, dass die PrEP schützt, wenn man sie einnimmt.

Endlich harte Daten

Nun aber zeigen beide Studien einen hohen Schutzeffekt ohne solche Rechenkünste. Und so soll es auch sein. Denn die beste Präventionsmethode nützt nichts, wenn sie nicht angewendet wird. Das ist beim Kondom nicht anders. Auch Zulassungsbehörden wollen harte Daten sehen – keine Zahlenkünste.

Gilt das Ergebnis der PrEP-Studien nun für alle Personen? Nein.

In beiden Studien konnte man mit großem Aufwand – und viel Erfolg –  solche schwulen Männer für die Studie gewinnen, die ein sehr hohes Risiko für eine HIV-Infektion haben. Die Männer in der PROUD-Studie haben im Mittel mit 10 Männern in drei Monaten kondomlosen Analverkehr. Ohne PrEP infizieren sich in einem Jahr 9 von 100 Männern (8,9 %), mit PrEP nur einer (1,3 %). Eine solche Neuinfektionsrate von 8,9 % ist weltweit ein Spitzenwert. Das bedeutet, dass nach einem guten Jahrzehnt fast alle aus der Gruppe HIV-positiv wären. Für diese besondere und relativ kleine Gruppe scheint die PrEP mit einer Tablette pro Tag genau das Richtige zu sein – beziehungsweise die einzige Möglichkeit, HIV-negativ zu bleiben.

Für die meisten schwulen Männer kommt eine dauerhafte Medikamenteneinnahme über Monate oder Jahre aber nicht in Frage. Manche haben nur zeitweise oder gelegentlich ein Risiko. Für diese Gruppe sind die Ergebnisse der IPERGAY-Studie interessant. Hier wurde geprüft, ob die PrEP auch eine Schutzwirkung hat, wenn sie kurz vor bis kurz nach dem Sex eingenommen wird (zwei Tabletten wenige Stunden vorher, jeweils eine Tablette 24 und 48 Stunden nach der ersten Einnahme).

Das Ergebnis ist leider nicht auf Frauen übertragbar

Das Ergebnis ist verblüffend: Die Methode wirkt genauso gut wie die dauerhafte Einnahme bei PROUD (86 % Risikoreduktion). Da die Männer allerdings nicht wenig Sex hatten, kamen sie auf eine durchschnittliche Tabletteneinnahme von vier Tabletten pro Woche – im Vergleich zu sieben Tabletten in der PROUD-Studie. Die „intermittierende“ (anlassbezogene) Einnahme bietet aber die Möglichkeit, keine Tabletten zu nehmen, wenn man auch kein Risiko hat. Das ist näher an der Lebenswelt – und günstiger.

Gilt das Ergebnis auch für Frauen? Leider nein. Die Ergebnisse der PrEP-Studien bei Frauen sind durchweg schlechter. In den reinen Frauen-Studien (VOICE und FemPrEP) wurde kein Schutzeffekt festgestellt – zum Teil war sogar die Gruppe, die ein Placebo nahm, besser dran. In der TDF2-Studie und der Partners-PrEP-Studie mit heterosexuellen Männern und Frauen war der Schutzeffekt bei Männern höher als bei Frauen. Liegt es daran, dass Frauen die Medikamente weniger konsequent nehmen? Oder daran, dass die Konzentration des Wirkstoffs nach der Einnahme als Tablette im Flüssigkeitsfilm auf dem Muttermund um den Faktor 100 bis 1000 niedriger (!) ist als auf der Darmschleimhaut? Schützt die PrEP mit Tabletten also bei Analverkehr besser als bei Vaginalverkehr? Wir wissen es nicht genau. Wir wissen allerdings, dass man die aktuellen Ergebnisse nicht auf Frauen übertragen kann.

Wir wissen auch nicht, ob diese hohe Therapietreue mit Männern funktioniert, die nicht so ein hohes Risiko haben. Man sollte bei aller Begeisterung über die Ergebnisse bedenken: die Probanden der Studien waren sorgfältig ausgewählt. Das müssen wir auf die Prävention übertragen – und in der nahen Zukunft klären, wer von der PrEP profitieren könnte und wer nicht.

Offene Fragen

Was braucht es noch für die PrEP in der Prävention? Mindestens alle drei Monate muss ein HIV-Test durchgeführt werden. Denn wer sich infiziert und die PrEP weiter nimmt, riskiert Resistenzen. Diese Gefahr konnte in den Studien begrenzt werden – aber wird es uns gelingen, diese Testfrequenz auch außerhalb von Studien umzusetzen? Gelingt es uns, diejenigen, die eine PrEP einnehmen, annähernd so gut zur Therapietreue zu beraten wie in den Studien?

Die PrEP bedeutet nicht die Beendigung der Prävention durch den Einsatz von Medikamenten. Sie kann vielmehr ein weiterer Bestandteil erfolgreicher HIV-Prävention werden.  Wesentliche Bestandteile der Prävention wie Beratung und Information sind bei der PrEP noch wichtiger als bei anderen Präventionsmethoden. Der regelmäßige HIV-Test kommt als elementarer Bestandteil dazu.