Die neue Ausgabe des MED-INFO fasst die Ansätze, Erfolge und Niederlagen der HIV-Heilungsforschung zusammen.
Durch medizinische Fortschritte ist die HIV-Infektion zu einer chronischen, gut behandelbaren Krankheit geworden. Aber ist auch eine Heilung denkbar? Spätestens seit dem Fall des Timothy Ray Brown, dem sogenannten Berliner Patienten, gilt eine Heilung nicht mehr als utopisch. Das gemeinsam von der Deutschen AIDS-Hilfe und der Aidshilfe Köln herausgegebene Magazin „MED-INFO. Medizinische Informationen zu HIV und Aids“ gibt in der soeben erschienenen Ausgabe einen fundierten und leicht verständlichen Überblick über den aktuellen Stand der HIV-Heilungsforschung, die ermutigenden (Teil-)Erfolge wie auch die Rückschläge.
„Echte“ und „funktionale“ Heilung
Autor Siegfried Schwarze verweist zunächst auf die notwendige Unterscheidung zwischen „echter“ Heilung – der Entfernung aller potenziell infektiösen Viren aus dem Körper – und „funktionaler“ Heilung: hier ist der Organismus in der Lage, die noch in ihm verbliebenen Viren oder deren Erbmaterial auch ohne Medikamente an einer weiteren Vermehrung zu hindern.
HIV gehört bekanntlich zur Familie der Retroviren. Diese programmieren Körperzellen für ihre eigenen Zwecke um und bauen ihre Virusbaupläne in das menschliche Erbgut ein. Für die HIV-Heilungsforschung ist das ein besonders heikles und schwierig zu lösendes Problem: Versteckte, „schlafende“ Viren können jederzeit aktiv werden und die HIV-Infektion wieder aufflammen lassen, sobald der Patient die antiretroviralen Medikamente absetzt.
Weil dazu unter Umständen bereits eine einzige Zelle ausreicht, in die das HIV-Erbmaterial eingeschrieben ist, müssen sämtliche Viren in ihren Verstecken unschädlich gemacht werden. Das aber entspreche der Suche nach nicht nur einer Stecknadel im Heuhaufen, „sondern nach Millionen Stecknadeln in Milliarden Heuhaufen“, verdeutlicht Schwarze das Problem.
Der Sonderfall des „Berliner Patienten“
Gelungen ist diese tatsächlich komplette Vernichtung aller aktiven Viren womöglich beim „Berliner Patienten“. Das jedoch wird auch auf längere Sicht ein Einzelfall bleiben. Denn dem an einer aggressiven Blutkrebs-Form erkrankten HIV-positiven US-Amerikaner wurde nach einer intensiven Chemotherapie Knochenmark eines besonders ausgewählten, nämlich HIV-resistenten Spenders transplantiert.
Was also wären realistische Möglichkeiten einer Heilung? Siegfried Schwarze erörtert hier unter anderem das in einer Studie beschriebene Phänomen der „Post-Treatment-Controller“: Einige, aber längst nicht alle Patienten, die man früh nach der Ansteckung mit HIV-Medikamenten behandelt hat, waren auch nach Absetzen der Therapie in der Lage, die Infektion in Schach zu halten. Vermutlich, so Schwarze, werde langfristig eine HIV-Kombinationstherapie zur Unterdrückung der Infektion zusammen mit unterstützenden Maßnamen zur Kontrolle noch versteckter Viren plus einer Verkleinerung des HIV-Reservoirs nötig sein, um eine Heilung zu erreichen.
Riskant, weil nur bedingt kontrollierbar, scheint der Ansatz „shock and kill“ zu sein: Hier werden die schlummernden Viren durch eine massive Aktivierung des Immunsystems geweckt und aktiviert, um sie dann vernichten zu können. Dabei könnten allerdings auch andere ruhende Viren – wie das Herpes- oder Cytomegalievirus oder auch Krebszellen – aktiviert werden.
Siegfried Schwarze stellt noch andere, auch eher ungewöhnliche und experimentelle Forschungsansätze vor. Diese reichen von gentechnisch veränderten und damit umprogrammierten HIV-Zellen über HIV-Antikörper-Infusionen bis hin zur „Hypermutation“ von HIV, bei der das Virus gewissermaßen mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden soll. HIV hat sich nämlich als äußerst wandlungsfähig erwiesen, kann allerdings Mutationen, die durch fehlerhaft kopierte Erbinformationen entstanden sind, nur in begrenztem Maße verkraften. Die Idee der Forscher ist, die Mutationsrate so lange in die Höhe zu treiben, bis die Viruspopulation schließlich zusammenbricht. Im Laborversuch ist das schon einmal geglückt, beim Menschen jedoch ist damit noch keine Reduzierung der Viruslast gelungen.
„Heilung ist wünschenswert, aber nicht um jeden Preis“
Grundsätzlich aber ist Siegfried Schwarze zuversichtlich, was die zu erwartenden Fortschritte in Sachen Heilung angeht, auch wenn derzeit noch niemand sagen kann, wann der Durchbruch gelungen sein wird. „Ähnlich wie bei der Therapie der HIV-Infektion wird auch für die Heilung letztlich doch ein Kombinationsansatz erforderlich sein“, so sein Resümee. Dieser aber werde im Hinblick auf Sicherheit und Verträglichkeit hohe Ansprüche erfüllen müssen. „Denn die Heilung ist zwar wünschenswert, aber nicht um jeden Preis.“
„MED-INFO“ Nr. 84 zum Thema „Heilung“ sowie frühere Ausgaben in dieser Reihe können auf den Internetseiten www.hiv-med-info.de und www.aidshilfe.de bestellt oder als PDF-Datei kostenfrei heruntergeladen werden.