„Das sind meist einfach nur Frauen, die ein Kind kriegen“

In Ländern wie Deutschland können HIV-positive Frauen heute nichtinfizierte Kinder zur Welt bringen. Und durch HIV-Medikamente ist sogar eine vaginale Geburt möglich. Ein Interview von Frauke Oppenberg mit der Hebamme Ute Lange.    

Mitte der 90er-Jahre hat sie zum ersten Mal eine schwangere Frau mit HIV betreut. Ute Lange arbeitete damals als freiberufliche Hebamme mit eigener Praxis in Wuppertal. HIV war für ihren Berufsstand noch kaum ein Thema, sie musste sich selbständig fortbilden. Für Ute Lange ein Initialerlebnis, weil es sie erschütterte, wie wenig Wissen sie selbst und ihre Kolleginnen hatten. Seitdem engagiert sie sich maßgeblich für die Fortbildung von Hebammen zum Thema HIV. Sie selbst hat in ihren 27 Berufsjahren rund 30 HIV-positive Frauen während der Schwangerschaft betreut. Heute arbeitet sie in der Hebammenforschung an der Hochschule Osnabrück.

Frau Lange, erleben Frauen mit HIV eine Schwangerschaft anders als nichtinfizierte Frauen?

Es ist schwierig, so etwas pauschal zu sagen. Aber ich glaube, dass HIV-positive Frauen oft sehr bewusst ihre Kinder kriegen. Ich habe vergleichsweise viele Frauen betreut, für die es etwas Besonderes war, diese Chance zu haben und damit auch an Konzepte von Normalität, gesellschaftlicher Teilhabe und Weiblichkeit anzuknüpfen, denn viele Frauen verbinden Weiblichkeit mit Kinderkriegen. Und wenn sie ihren Kinderwunsch dann realisieren können, obwohl sie wissen, dass das für positive Frauen lange Zeit nicht empfohlen wurde, dann ist das etwas Besonderes und nicht selbstverständlich.

„Wenn sie ihren Kinderwunsch realisieren können, ist das etwas Besonderes“

Wie hoch ist das Infektionsrisiko fürs Kind, wenn die werdende Mutter HIV-positiv ist?

Wenn die Schwangerschaft medizinisch gut begleitet wird, haben wir in Deutschland Transmissionsraten von unter einem Prozent. Die Kinder sind also sehr selten infiziert. Auch wenn immer noch ein Risiko besteht, kann man heute einer positiven Frau berechtigterweise sehr viel Mut machen.

Passiert es heute dennoch, dass Ärzte einer Schwangeren mit HIV zu einer Abtreibung raten, wie es früher die Regel war?

Dazu werden Sie keine Zahlen finden. Ich würde mich aber wundern, wenn das jetzt nicht mehr passiert. Es ist ja immer noch so, dass der Informationsstand bezüglich HIV in meiner Berufsgruppe, aber auch bei den Gynäkologen zum Teil nicht besonders hoch ist. Da werden mit Sicherheit alte Standpunkte überlebt haben, so wie es auch immer noch Gynäkologen und Hebammen in der Schwangerenvorsorge gibt, die keinen HIV-Test anbieten.

„Da werden mit Sicherheit alte Standpunkte überlebt haben“

Woher kommt das, dass es auch bei Medizinern und Hebammen immer noch so viel Unkenntnis in Sachen HIV gibt?

Ich habe ein bisschen die Hoffnung, dass die jüngeren Ärzte und Hebammen das Thema HIV in ihrer Ausbildung hatten. Ich bin oft in Hebammenschulen und Hochschulen als Referentin für das Thema Hebammenarbeit bei HIV-positiven Frauen eingeladen. Aber wenn Sie heute als Hebamme 45 oder 50 Jahre alt sind, müssen Sie nicht unbedingt viel über das Thema gelernt haben. Und wenn Sie das nicht zufällig auf einer Fortbildung oder Tagung hören oder in einer HIV-Schwerpunktklinik arbeiten, dann können Sie sich der Illusion hingeben, dass es kein Thema für Sie ist.

Sie haben gemeinsam mit der Aidshilfe NRW in den vergangenen Jahren viele Fortbildungen zum Thema HIV angeboten. Wie wurde das Angebot angenommen?

Sehr gut. Es besteht ein großes Interesse bei den Kolleginnen, weil die Hebammen – gerade diejenigen, die im Kreissaal arbeiten – unweigerlich und manchmal auch unkontrollierbaren Kontakt zu Blut haben. Das kann man in der Dynamik einer Geburt nur begrenzt vermeiden. Deshalb haben die Kolleginnen ein berechtigtes Eigeninteresse zu wissen, wie gefährlich es wirklich ist und wie sie sich schützen können. So liegt es auch ein bisschen in der Natur der Sache, dass sie Interesse an einer Fortbildung haben.

Was geben Sie Ihren Kolleginnen auf den Fortbildungen mit auf den Weg?

Da gibt es zwei Schwerpunkte: Der eine ist die Information über die Fakten in diesem Bereich, was also gerade der Stand der Dinge ist. Und der andere ist eine Art Rollenfindung als Hebamme, welche Bedeutung sie in diesem sehr medizinisch dominierten Bereich haben könnte. Es gibt oft das Dilemma, dass HIV-positive Frauen zwar medizinisch sehr gut betreut werden, aber das Mutterwerden, der biografische und psychosoziale Prozess, hinten runterkippt, weil die intensive medizinische Betreuung so viel Aufmerksamkeit und viele Ressourcen bindet.

„Das Mutterwerden kippt hinten runter“

HIV-positive Frauen gehen deshalb auch seltener in Geburtsvorbereitungskurse und haben weniger Kontakt zu anderen Schwangeren, weil sie das Gefühl haben, ihre Probleme sind ganz andere. Sie fühlen sich oft allein und trauen sich nicht, mit anderen Schwangeren über ihr Thema zu sprechen, weil sie in der Regel Erfahrungen mit Diskriminierung haben. Das isoliert sie. Da habe ich als Hebamme immer den Eindruck gehabt, dass ich noch eine andere Rolle spiele. Als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, das war oft ganz wichtig für die Frauen.

Bis 2009 war für HIV-positive Frauen in Deutschland eine Kaiserschnittentbindung vorgeschrieben. Wird auch heute noch häufig so entbunden oder ist die Vaginalentbindung die Regel?                                         

Die Regel ist das immer noch nicht, aber in fortschrittlichen Kliniken ist die Chance größer, dass die Frau vaginal entbinden kann. Wenn Sie heute in eine kleine Klinik kommen, die auf diesem Gebiet keine Erfahrung hat, müssen Sie immer noch damit rechnen, dass Sie einen Kaiserschnitt kriegen, weil sich noch niemand intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt hat.

Welche Risiken bestehen denn noch bei einer vaginalen Entbindung?

Im Prinzip hat der Kaiserschnitt gegenüber der vaginalen Geburt, was die Vermeidung einer Übertragung auf das Kind angeht, keinen Vorteil, wenn die Frau eine ganz niedrige Viruslast hat. Statistisch ist durch einen Kaiserschnitt keine Senkung des Übertragungsrisikos zu verzeichnen. Deswegen darf man ihn auch nicht mehr empfehlen, weil er sehr invasiv ist und ganz andere Folgekomplikationen haben kann als eine vaginale Geburt.

„Bei nicht nachweisbarer Viruslast hat der Kaiserschnitt keinen Vorteil“

Ist auch das Stillen mittlerweile gefahrlos?

Hier in unserer westlichen Welt, wo der Zugang zu Fertigmilch recht unkompliziert ist und wo es sauberes Wasser gibt, ist die Ernährung der Kinder mit Fertigmilch immer noch die sicherste Methode zur Senkung des Übertragungsrisikos in der Säuglingszeit. Stillen mit HIV würde hier zum jetzigen Zeitpunkt keiner empfehlen. Aber es gibt Umstände, unter denen Frauen unbedingt stillen wollen. Wenn diese dann medikamentös gut eingestellt sind und ihre Viruslast sehr niedrig ist, müssen wir sie gut beraten und begleiten und ihre Entscheidung  akzeptieren.

Welche Unterschiede gibt es denn noch zwischen der Schwangerschaft einer HIV-positiven und der Schwangerschaft einer HIV-negativen Frau?

Frauen mit HIV haben bestimmte Schwangerschaftsrisiken, beispielsweise durch die Medikamente, und müssen sich mit anderen Themen konfrontieren. Darauf muss ich mich als Hebamme einstellen. Der ganze Rest ist wie bei allen anderen Frauen auch.

„Die Medikamente haben ihnen die Normalität zurückgegeben“

Das sind meist einfach nur Frauen, die ein Kind kriegen. Und zum Glück kann die Medizin es ihnen mittlerweile ermöglichen, dass sie da gesund durchkommen und dass die Kinder gesund sind. Die Medizin, die Forschung, die Medikamente, die haben ihnen die Normalität zurückgegeben.

 

„Ich habe nie daran gedacht, dass es HIV sein könnte“ (Frauen und HIV 1, erschienen am 6. März 2015)

„Wir müssen Frauen mit HIV stärken“ (Frauen und HIV 2, erschienen am 7. März 2015)