Blaise* ist Musiker und kommt aus Benin in Westafrika. Als Schwarzer und wegen einer HIV-Infektion hat er schon häufiger Diskriminierung erlebt. Sophie Neuberg hat mit ihm darüber gesprochen.
Blaise, hast du schon Erfahrungen mit Rassismus und HIV-bedingter Diskriminierung in Deutschland gemacht?
Ja, und beides überlagert sich zum Teil: Ich kam vor 15 Jahren nach Deutschland für eine Tournee. Es war Winter, sehr kalt und ich habe plötzlich auf der Straße das Bewusstsein verloren. Ich wachte im Krankenhaus auf. Es wurden viele Untersuchungen gemacht, und ein schlimmes Erlebnis war, dass man mich in einen Raum brachte, auszog und einer ganzen Gruppe von Studenten vorführte. Das war demütigend. Ich fühlte mich als Afrikaner herabgesetzt. Ich verstand damals kein Wort Deutsch, niemand hatte mich gefragt, ob ich damit einverstanden war.
„Dann fühle ich mich unerwünscht“
Später überbrachte man mir die Nachricht, ich hätte Aids. Da brach mein ganzes Leben zusammen, ich aß nichts mehr und wollte nur noch sterben. Aber es gab dann auch eine positive Erfahrung, denn das Krankenhaus ließ jemanden von einer Aids-Beratungsstelle kommen. Er sprach sehr gut Französisch, besuchte mich mehrmals und machte mir immer wieder Mut, indem er sagte, man könne mit HIV eine Therapie bekommen und gut leben. Nach und nach fasste ich Vertrauen. Ich dachte an meinen Sohn in Benin und wollte doch noch für ihn leben. So blieb ich hier, um die Therapie anzufangen. Das war ursprünglich gar nicht mein Wunsch, ich war zu Hause als Musiker sehr erfolgreich und hatte ein gutes Leben. Es gibt aber auch Leute hier, die sagen „du hast Aids, deshalb bist du hierhergekommen“, das verletzt mich sehr. Dann fühle ich mich unerwünscht.
„Ich wäre am liebsten im Boden versunken“
Im Photovoice-Projekt „AfroLebenVoice“ hast du auch ein Erlebnis geschildert, bei dem es um deine HIV-Infektion ging.
Oh ja, das war eine furchtbare Geschichte! Ich hatte einen Fahrradunfall und blutete am Kopf. Die Leute waren erst sehr hilfsbereit, ich kam in die Notaufnahme eines Krankenhauses, und vier junge Ärzte kümmerten sich gleich um mich. Sie wollten mir helfen, das war deutlich zu spüren. Da nur einer Handschuhe trug, sagte ich: „Sie sollten Handschuhe anziehen, ich bin HIV-positiv.“ Daraufhin erstarrten ihre Gesichter, ich sah richtig die Angst in ihren Augen. Einer nach dem anderen verließ wortlos den Raum. Ich dachte erst, sie holen Handschuhe, aber keiner kam wieder. Ich lag zwei Stunden lang allein auf einer Bahre und blutete. Manchmal kamen Leute vorbei, zeigten auf mich und tuschelten – als wäre ich hier, um ganz Deutschland zu kontaminieren, das war mein Gefühl. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Dabei hatte ich sie nur schützen wollen. Am Ende habe ich das Krankenhaus verlassen und bin mit einem Taxi in ein anderes Krankenhaus gefahren, wo man mich schon kannte.
Das hört sich an, als sei das zu einer Zeit passiert, als man noch nicht so gut über Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten bei HIV informiert war.
Du wirst es nicht glauben, aber das ist erst ein, zwei Jahre her. Und dann denkt man, wenn schon medizinisches Personal so auf HIV reagiert, wie soll die Allgemeinbevölkerung es besser wissen. Aufgrund dieser Erfahrung hätte ich heute Angst, für eine Operation ins Krankenhaus zu gehen. Ich habe gesehen, wie man mit mir umgegangen ist, als ich wach war. Was würde man denn mit mir machen, wenn ich unter Narkose bin?
Aufklärung in Schulen
Was sollte man deiner Meinung nach gegen Diskriminierung tun?
Man muss viel mehr informieren. Die Deutsche AIDS-Hilfe bildet Migranten als Multiplikatoren für die Präventionsarbeit aus, und ich stelle mir vor, dass wir mit einer Gruppe in Schulen, Universitäten, Deutschkurse gehen und dass wir einmal im Jahr an jeder Bildungsstätte im ganzen Land eine Stunde Aufklärung und Diskussion zum Thema HIV, Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten anbieten. Es gibt zwar Plakatkampagnen für Solidarität mit HIV-Positiven, das ist gut, reicht aber bei Weitem nicht aus. Denn werden sie überhaupt verstanden? Wenn man in die Schulen geht, können die Schüler Fragen stellen und Antworten bekommen, das ist entscheidend.
Und gegen rassistische Vorurteile?
Meine persönliche Haltung ist, solche Leute zu ignorieren. Wenn sie nur tuscheln und nicht den Mut haben, ihre Meinung zu sagen, brauche ich nicht mit ihnen zu reden. Das mag ich übrigens hier im Norden: Die Leute sind eher ehrlich und sagen ganz offen „ich mag dich nicht, ich will nichts mit dir zu tun haben“, oder sie wechseln die Straßenseite. Damit kann ich umgehen, das ist mir lieber, als wenn nach vorne freundlich getan wird und hintenrum wird getuschelt.
Leider werden alle Afrikaner über einen Kamm geschoren. Benin gilt zum Beispiel in Afrika als Land der Intellektuellen, als das „Quartier Latin“ Afrikas. Ein Diplom ist dort sehr wichtig, nicht Geld. Aber Leute hier wissen das nicht. Bei Polizeikontrollen wird man als Schwarzer immer kontrolliert. Die Polizei ist hier in der Regel höflich, aber es gibt solche und solche. Einmal habe ich auf der Straße ein großes Polizeiaufkommen gesehen, ich wusste nicht, was los war, und habe einen Beamten gefragt. Er erklärte mir ganz normal, dass es wegen einer Demo sei. Aber im Hintergrund hörte ich, wie ein anderer Polizist sagte: „Was will das Arschloch hier bei uns?“ Das tut weh und untergräbt das Vertrauen in die Institutionen.
„Flüchtlinge wollen arbeiten, sich nützlich machen“
Ich möchte auch ein positives Erlebnis erzählen: Vor ein paar Jahren habe ich meine Brieftasche im Bus verloren, sie war aus meiner Hosentasche gerutscht. Am Nachmittag klingelte es bei mir. Da stand eine Dame mit meiner Brieftasche in der Hand und sagte: „Das haben Sie im Bus verloren.“ Es fehlte nichts. So etwas erlebt man hier auch. Die schlimmen Erlebnisse sind sehr hart und prägend, aber es gibt zum Glück auch viele positive. Das Netzwerk Afro-Leben plus ist auch eine sehr gute Sache: Man trifft sich mit anderen HIV-positiven Migranten, das gibt einem enorm viel Kraft und Selbstbewusstsein.
Was wünscht du dir von der Politik?
Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten muss in den Lehrplan aller Schulen und Bildungsstätten aufgenommen werden! Das wäre wirklich sinnvoll. Das beschäftigt mich sehr, weil ich weiß, was diese Krankheit in meinem Leben kaputt gemacht hat, und das wünsche ich niemandem. Und ich wünsche mir, dass man Flüchtlingen erlaubt, zu arbeiten, auch den HIV-positiven. Flüchtlinge wollen arbeiten, sich nützlich machen. Wenn sie krank sind, ist es noch schlimmer: Sie haben vielleicht Schuldgefühle wegen der Krankheit, fühlen sich abgewertet, nutzlos, sind deprimiert, fangen manchmal an zu trinken. Viele haben Depressionen und wissen es nicht. Das habe ich sehr oft gesehen, das ist extrem traurig. Wenn man uns nicht umbringen will, muss man uns arbeiten lassen, damit wir uns in der Gesellschaft nützlich machen können.
„Ich möchte etwas verändern“
Und was wünscht du dir für dich?
Mir geht es vergleichsweise gut. Ich kann zwar nicht mehr auf der Bühne auftreten, habe aber eine Arbeit gefunden. Jetzt möchte ich versuchen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen, und politisch aktiv werden. In Benin war ich das viele Jahre, und das möchte ich jetzt auch hier. Ich möchte etwas verändern. Man muss sich neue Wege überlegen, sonst wird man auf dieser Welt nicht mehr leben können.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Name geändert