Es gibt einen „Oscar“, der in Hollywood wohnt und jedes Jahr verliehen wird. Und es gibt andere vergleichbare „Ehrungen“ in anderen Segmenten der Wirtschaft. In der Regel werden solche Belobigungen vergeben an Leute, die dem Geschäft dienlich gewesen sind und Umsätze verzigfacht haben.
Jetzt gibt es auch seit einiger Zeit einen „Oscar“ für OTC-Medikamente. OTC bedeutet “Over the Counter”, also freiverkäuflich über die Theke der Apotheke; ohne Rezept. Nur hier hat es den Anschein, dass nicht die Umsatz-Monster die Auszeichnung „Medikament des Jahres“ bekommen, sondern umgekehrt, die Auszeichnung die ausgezeichneten Produkte zu Umsatz-Riesen erst noch machen soll. Denn das Prädikat „Medikament des Jahres“ hat mit evidenzbasierter Wissenschaft so viel zu tun wie das Ei des Kolumbus mit der Einstein´schen Relativitätstheorie.
Wie wird man Medikament des Jahres?
Ich würde vermutet haben (naiv wie ich bin), dass das am besten wirksame Medikament gepaart mit den geringsten Nebenwirkungen und/oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten die Auszeichnung erhält.
Aber da habe ich mich wohl geirrt. Denn die Apotheke-adhoc erklärt uns, wie es wirklich funktioniert:
Jedes Jahr prämiert der BVDA in zahlreichen Kategorien die „Medikamente des Jahres“, in diesem Jahr zum 16. Mal. Auf einem 32-seitigen Fragebogen mussten die Teilnehmer ankreuzen, welche Produkte sie im jeweils kommenden Jahr „besonders häufig empfehlen werden“. Insgesamt 2500 „marktrelevante“ Präparate werden in verschiedenen Gruppen nach Alphabet gelistet; die Bewertung soll anhand von Eignung, Wirkung und Risiken vorgenommen werden. (BVDA steht für Bundesverband Deutscher Apotheker.)
Also haben wir auch hier mehr als nur einen Sieger, ganz wie beim richtigen „Oscar“ aus Hollywood. Die Preisrichter sind (beziehungsweise waren), 412 zufällig auserwählte Apotheker, die ihre Einschätzung per Fragebogen abzugeben hatten. Insgesamt sind dann 315 Fragebögen zur Auswertung zurück gekommen.
Aber auch auf diesen Fragebögen gibt es keine wissenschaftlichen Kriterien, schon gar keine Verlaufsprotokolle von selbst gefertigten Studien, die in die Bewertung eingehen. Die Firma Tetesept (tetesept.de/de/qualitaet/testergebnisse_1/apotheker_award/index.html), die auch zu den Auserwählten gehörte, gibt einen kleinen Einblick in die Beurteilungskriterien:
Beurteilungskriterien waren:
- Eignung für die Selbstmedikation
- Pharmakologische Wirkung
- Schneller Wirkungseintritt
- Keine Gewöhnungsgefahr
- Minimale Risiken und Nebenwirkungen
Sofern ich mich erinnern kann, wird die pharmakologische Wirksamkeit in einschlägigen Studien beurteilt und nicht in der Apotheke. Auch der Wirkeintritt, ob schnell oder nicht so schnell, ist Sache einer wissenschaftlichen Untersuchung. Oder lassen die besagten Apotheker die Käufer gleich vor Ort die OTC-Präparate schlucken und schauen, wann die Kunden grün anlaufen?
Zu Risiken und Nebenwirkungen sollen wir ja immer den Arzt oder Apotheker fragen, sagt die Fernsehwerbung. Aber wie viel Erfahrung und welche hat ein Apotheker mit Nebenwirkungen, dass er daraus Empfehlungen für dieses und nicht jenes Präparat ableiten kann? Reicht das Tragen eines weißen Kittels schon, um wissenschaftliche Untersuchungen überflüssig zu machen und aufgrund seiner „Standeszugehörigkeit“ solche Aussagen machen zu können – wenn wir diese ernst nehmen wollen und sollen. Aber dazu mehr etwas später.
Wenn ich mir die Beurteilungskriterien so anschaue, dann fallen mir aus der Hüfte geschossen ein Dutzend und mehr Heilpflanzen und homöopathische Mittel ein, die genau diesem Profil entsprechen. Ob die wohl auch mit von der Partie waren? Wohl kaum. Denn es geht hier ums Geschäft. Und mit natürlichen Heilsubstanzen ist das Geschäft nicht ganz so erklecklich. Zudem ist man sich in der Apotheke und im Behandlungszimmer des Arztes sicher, dass natürliche Wirkstoffe nicht wirken, und das evidenzbasiert.
Die evidenzbasierte Unwirksamkeit von evidenzbasiert wirksamen Präparaten
Zu allem Unglück erfahren wir aus einer Pressemitteilung des NDR, dass ein Arzneimittelexperte, ein Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen, die prämierten und nicht prämierten OTC-Präparate großenteils auch noch als unwirksam erachtet, ganz so wie die natürlichen Wirksubstanzen. Professor Glaeske versteigt sich sogar zu der Äußerung:
„Wir haben hier Produkte dabei, die erhebliche Kritik auf sich gezogen haben in der letzten Zeit. Sie sind vielleicht ökonomisch interessant, fallen aber in der Selbstmedikation für mich durch. Insofern ist das aus meiner Sicht alles wenig geeignet, um eine Kompetenz der Apotheker darzustellen.“
Zurück zu den Beurteilungskriterien und den Ergebnissen:
Wie es aussieht, berechtigt das Tragen eines weißen Kittels dazu, natürliche Substanzen als nutzlos abzutun und gleichzeitig fragwürdige Präparate Kunden anzubieten, nur weil der Unterschied zwischen natürlich und OTC im Umsatzpotential liegt.
Geschäft und nicht Gesundheit scheinen hier zur Debatte zu stehen. Die ganze unappetitliche Pampe mit diesem „Medikament des Jahres“ ist für mich nichts als Werbung für Präparate zur Umsatzsteigerung und nicht zur Gesundheitssteigerung.
Ginge es wirklich um die “Gesundheitssteigerung” bei den Patienten, dann würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die natürlichen Wirksubstanzen den „Goldenen Löwen“ bekommen. Denn die Wirksamkeit der Heilkräuter übertrifft die der meisten OTC-Präparate haushoch. Und wenn eine Heilpflanze oder natürliche Substanz mal als OTC-Präparat verkauft wird, dann meist in kleinsten Krümel-Dosierungen, die keine Wirkung aufkommen lassen können. Ein typisches Beispiel hierfür ist zum Beispiel das Vitamin D.
Sie werden sich (oder mich) jetzt fragen, woher ich die Sicherheit habe, solche gewagten Hypothesen in die Welt zu setzen, und das noch ganz ohne weißen Kittel. Das mit dem weißen Kittel ist ganz einfach: So ein Ding kann man sich Nullkommanichts kaufen, ganz ohne Lizenz oder gesetzliche Anforderungen. Die inhaltliche Seite wird dann schon etwas schwieriger beziehungsweise aufwändiger.
Aber statt die Zeit zu verschwenden, mir einen weißen Kittel zu kaufen, hatte ich selbige genutzt, etwas zur Klärung bezüglich der Wirksamkeit von Heilpflanzen oder Heilpilzen zu recherchieren und zusammenzufassen: Das Heilpflanzen Lexikon – Heilung aus dem Garten der Natur oder Heilpilze – Heilung durch Pilze?
Aber…
Gibt es nicht auch OTC-Präparate, die auf natürlich wirksamen Substanzen aufbauen?
Die würden dann auch als unwirksam gelten, laut Prof. Glaeske, das versteht sich.
Ein solches Präparat, das im letzten Jahr mit dem „OTC-Oscar“ ausgezeichnet wurde, ist das Wobenzym. Zu diesem (alles andere als schlechtem Präparat), habe ich ein paar Artikel verfasst, wie Wobenzym – Bei Entzündungen und mehr… und Wobenzym – Enzymtherapie mit den bekanntesten Enzym-Tabletten. Dieses Präparat hätte also schon eine Auszeichnung verdient, oder? Antwort: Wenn es wirklich um die Gesundheit ginge (siehe oben), dann vielleicht. Wenn ich aber solche Präparate sehe (vollgestopft mit Chemie), wie Wick MediNait (auch ein Vorjahressieger), dann kann ich die Zuerkennung des Preises an Präparate wie Wobenzym nur als „Ausrutscher“ werten. Oder doch nicht?
Ein anderer Gewinner ist Calcimagon®, eine Kautablette mit 500 Milligramm Calcium und 800 Einheiten Vitamin D3. Hier würde ich mich, jedenfalls was die Mengen an Vitamin D anbelangt, der Meinung von Prof. Glaeske anschließen wollen. 800 Einheiten täglich sind so gut wie wirkungslos, weil hoffnungslos unterdosiert. Mehr zum Vitamin D und seine Bedeutung für unsere Gesundheit gibt es im Vitmain-D-Report zu lesen.
Es scheint also bei den Apothekern und dem, was sie empfehlen würden, bunt und lustig durcheinanderzugehen. Wer hier noch an Wissenschaft glaubt, dem helfen jetzt auch die besten OTC-Präparate mit mehrfachem Gewinn des „OTC-Oscars“ nicht mehr.
Noch ein Einwand
Es ist klar, dass meine Einwände keine Priorität genießen. Denn niemand wird ernsthaft eine Oscar-Verleihung kritisieren wollen. Auch nicht, wenn es ums Geschäft mit der Gesundheit beziehungsweise Krankheit geht, und dann erst recht nicht.
Vielmehr treten jetzt die Juristen auf den Plan und kritisieren, dass diese Verleihung nichts anderes ist als Werbung, die gegen das Heilmittelwerbegesetz verstößt. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte im Februar 2015 Procter & Gamble untersagt, Wick MediNait mit der Kürung zum „Erkältungsmittel des Jahres“ zu bewerben. Obwohl weder ich, noch die Juristen einen weißen Kittel tragen, geht unsere Kritik an der Oscar-Hudelei sehr getrennte Wege. Während die Juristen einen Verstoß gegen irgend ein Gesetz bemängeln, sehe ich das Problem grundsätzlich in der Intention, die hinter dieser Veranstaltung steckt. Oder mit anderen Worten: Wenn es kein Heilmittelwerbegesetz gäbe, dann wäre die Veranstaltung für die Juristen vollkommen in Ordnung. Für mich aber nicht. Denn hier wird wieder einmal mit weißem Kittel der Schein von Wissenschaftlichkeit und Evidenzbasiertheit für Herr und Frau Otto Normalverbraucher inszeniert, was sich als nichts anderes als eine Werbe-Show für Einfaltspinsel entpuppt.
Fazit
Mit und ohne Heilmittelwerbegesetz ist die Oscar-Verleihung für OTC-Präparate, egal ob sie sie verdienen oder nicht (meist nicht), eine zynische Veranstaltung für Leute, die ihre Hoffnung auf „medizinische Durchbrüche“, „Medikamente des Jahres“ und so weiter setzen, weil sie aufgrund ihres miserablen Gesundheitsstatus keine andere Hoffnung mehr haben. Und die Industrie weiß, dass die Zahl dieser „Kundschaft“ alles andere als insignifikant ist.
Dieser Beitrag Medikament des Jahres 2015 – OTC hat einen „Oscar“ wurde erstmalig von Heilpraktiker René Gräber auf NaturHeilt.com Blog veröffentlicht.