„Wenn man mich nicht rausschmeißt, dann bleibe ich auch“

Wohin als Drogengebraucher, wenn man alt wird? Ein Modell für eine Bleibe am Lebensabend könnte das „DaWo“ sein. Manuel Izdebski hat das bundesweit erste Junkie-Altenheim bei Unna besucht. 

Der Weg zum ersten Altenheim für ehemalige Junkies ist weit. Das gilt im übertragenen Sinn für das bundesweit einmalige Modellprojekt, das vor sechs Jahren mit der Planung seinen Anfang nahm. Das gilt aber auch ganz praktisch, wenn man die Einrichtung besuchen will. „Nimm dein Navi mit“, empfiehlt mir Sabine Lorey im Vorgespräch am Telefon. Die Sozialarbeiterin ist Leiterin des Hauses und weiß um die verzweifelten Orientierungsversuche der Besucher, die sich seit der Eröffnung vor ein paar Wochen die Türklinke in die Hand geben.

Das Junkie-Altenheim findet sich in Hemmerde, einem dörflichen Ortsteil von Unna. Hier ist das östliche Ruhrgebiet zu Ende, die fruchtbare Soester Börde beginnt. „Dreihausen“ nennt sich das entlegene Fleckchen genau, viel mehr Häuser sind in der Bauernschaft auch nicht zu finden. Die Redewendung „Weit ab vom Schuss“ könnte hier ihren Ursprung gefunden haben.

„Reguläre Alten- und Pflegeheime scheuen sich vor dieser Klientel“

Mit dem Altenheim geht das Drogenhilfeprojekt „LÜSA“ aus Unna ganz neue Wege in der Versorgung für ältere Drogenkonsumenten, die oftmals eine jahrzehntelange Karriere hinter sich haben. „Reguläre Alten- und Pflegeheime scheuen sich vor dieser Klientel und sind schlicht nicht darauf vorbereitet“, erklärt Sabine Lorey.

Substitution in einem katholischen Altenheim? Undenkbar! Und doch hat ausgerechnet die katholische Kirche einen gewissen Anteil am ersten Junkie-Altenheim der Bundesrepublik, denn das Haus war zuletzt eine Erholungseinrichtung für Ordensschwestern. Nun profitieren die neuen Bewohner von großzügigen 600 Quadratmeter Fläche: 14 Einzelzimmer mit Pflegebett und eigenem Bad, Küche, Wohnstube, Kreativwerkstatt, Mehrzweckraum, Büros und ein herrlicher Wintergarten. Draußen eine riesige Freifläche und Wiesen und Wälder soweit das Auge reicht. Möglich machte das ein privater Investor, der das verlassene Gebäude gekauft und nach den Bedürfnissen der neuen Bewohner umgebaut hat. Im Gegenzug verpflichtete sich das Projekt „LÜSA“ zu einer zehnjährigen Mietdauer mit anschließender Verlängerungsoption. In Zeiten klammer öffentlicher Kassen ein gangbarer Weg, um innovative Ideen in der sozialen Arbeit zu ermöglichen.

„Das Haus war zuletzt eine Erholungseinrichtung für Ordensschwestern“

Fördergelder gab es für das Projekt nicht, aber die zuständigen Behörden haben ihren Segen gegeben und das Haus als Dauerwohneinrichtung anerkannt, die der Heimaufsicht unterliegt. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bescheinigt den Modellcharakter. Finanziell getragen wird die Einrichtung durch 14 Plätze, für die der jeweils unterbringende überörtliche Sozialhilfeträger aufkommt. Bei den meisten Bewohnern ist das der LWL.

Ein interdisziplinäres Team aus Sozial- und Pflegekräften betreut die Bewohner rund um die Uhr, ein ambulanter Pflegedienst leistet dabei Unterstützung. Eine ärztliche Betreuung findet im Wochenrhythmus statt. Für die Inneneinrichtung hat „LÜSA“ tief in die Vereinskasse greifen müssen, die ganze Ausstattung wurde günstig und gebraucht gekauft. Noch immer werden Sachspenden benötigt. Trotzdem hat das Haus eine behagliche Atmosphäre.

Um mich kümmert sich Walter (60), einer der ersten Bewohner. „Sie können mich auch Professor nennen“, erklärt er mir zu Beginn unseres Gesprächs. Den Spitznamen haben ihm die anderen gegeben. „Das hat etwas mit Geschäften bei ebay zu tun“, plaudert Walter augenzwinkernd aus dem Nähkästchen. Er hat sich binnen weniger Wochen zum inoffiziellen Pressesprecher der Einrichtung gemausert, denn die Eröffnung des ersten Junkie-Altenheims der Republik hat Schlagzeilen gemacht. „Der WDR, SAT1, die BILD, alle waren sie hier“, verkündet der Professor nicht ohne Stolz. Er empfängt die Pressevertreter eloquent und steht geduldig Rede und Antwort.

„Damals habe ich gedacht, dass ich in wenigen Jahren an Aids sterbe“

Sein eigener Lebensweg ist typisch für die Bewohner des Hauses. Vor 40 Jahren begann seine Drogenkarriere im tiefsten Münsterland mit dem ersten Schuss Heroin. „Einen Junkie findest du in jedem Kaff“, sagt Walter. Seine HIV-Infektion wurde 1985 diagnostiziert. Dass er einmal seinen Lebensabend in einem Altenheim für Junkies verbringen würde, war für ihn bar jeder Vorstellungskraft. „Damals habe ich gedacht, dass ich in wenigen Jahren an Aids sterbe. Ich kann froh sein, dass ich überlebt habe“, blickt er zurück.

Vor zwanzig Jahren hat sich Walter seinen letzten Druck gesetzt, seither wird er substituiert. Wie er profitieren viele andere Drogenkonsumenten von wirkungsvollen Präventionsmaßnahmen, die die Verelendung der Junkies und ihren frühen Drogentod gestoppt haben. Doch der jahrelange Drogengebrauch hat seinen Preis. „Unsere Leute sind zehn bis 15 Jahre vorgealtert. Alle sind mit Hepatitis infiziert, ein großer Teil ist HIV-positiv. Hinzu kommen psychische Erkrankungen, Demenz oder häufig auch COPD. Heute weiß man nicht wohin mit ihnen. Unsere Altenheime sind damit überfordert“, erläutert Sabine Lorey den Bedarf. Alle Bewohner des Hauses werden substituiert.

DAWO man bleiben kann-klein

Die Plätze der Einrichtung waren binnen weniger Tage belegt, doch täglich kommen neue Anfragen. Indes versucht Walter sein Glück in Worte zu fassen: „Ich fühle mich sehr wohl hier. Wenn man mich nicht rausschmeißt, dann bleibe ich auch. So eine Chance kriegst du nie wieder.“

„DaWo“ nennt sich das besondere Altenheim in Hemmerde: „Da, wo man bleiben kann“.  Für Walter und seine Mitbewohner_innen steht es für die späte Hoffnung, endlich einen Platz gefunden zu haben, um in Ruhe und in Würde zu altern. Das Modellprojekt aus Unna könnte bald Schule machen. Im gesamten Bundesgebiet braucht die Drogenhilfe dringend Einrichtungen dieser Art, um pflegebedürftige Altjunkies angemessen zu versorgen.

Der Professor ist sich der Pionierarbeit bewusst und sagt voraus: „In drei Jahren wird man vier, fünf solcher Einrichtungen finden“. Am mangelnden Bedarf wird es nicht scheitern. In Hemmerde ist die Warteliste jetzt schon voll.