„Als Gegengewicht zur Repression weiterhin gebraucht“

Am 28. April 1990 wurde akzept e.V. – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik in Bremen gegründet. Zum 25. Geburtstag eine Würdigung von Bernd Aretz

Was wurden da nur für Kriege gegen die Substitution geführt! Staatsanwälte ließen Ärzte verhaften und wollten sie, wie ein ganz besonderer Hardliner in Marburg, gar wegen Totschlags anklagen, nur weil sie substituiert hatten und, ja, auch mal ein Patient an Beigebrauch starb. Da ging es nicht um Opferschutz, sondern die hartnäckige Verteidigung einer Drogenpolitik, die auf Repression und Verelendung setzte.

Therapien mit Abstinenzanspruch im Rahmen von Strafverfahren waren, außer der Haft, das einzige Angebot der Justiz. Man meint, sich in den 1990ern, der Anfangszeit von akzept, zu befinden. Aber auch 2012 waren die Probleme noch nicht beendet. Elf Substitutionsärzte in Niederbayern drohten, zum Jahresende die Betreuung Drogenabhängiger zu beenden. Sie reagierten damit auf die Verurteilung zweier Kollegen, die aufgrund von Widersprüchen zwischen Gesetz und Therapie-Empfehlungen in die Mühlen der Justiz geraten waren.

„Kriege gegen die Substitution“

Repression, Verelendung und Abstinenz ist auch der Weg, den die JVA Kaisheim in Bayern mit Billigung des Oberlandesgerichts München für angemessen hält. Der Fall des Mannes, dem man trotz schwerer Suchterkrankung die Substitution vorenthielt und den man nicht einmal einem ausgebildeten Suchtmediziner vorstellen wollte, beschäftigt inzwischen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter dem Verdacht der Folter. Inzwischen hat Bayern immerhin eine Verfügung erlassen, nach der künftig in jeder bayerischen Vollzugsanstalt mindestens eine Ärztin oder ein Arzt eine suchtmedizinische Zusatzausbildung machen muss.

Beim 20-jährigen Jubiläum von akzept erzählte Dr. Robert Newman, Arzt und legendärer Fürsprecher der Substitutionsbehandlung, eine bewegende Geschichte. „1988 beging Max Klieber, einziges Kind der verwitweten Dorothea Klieber aus Markt Schwaben und 14 Jahre lang heroinabhängig, Selbstmord, als seine (äußerst erfolgreiche!) Methadonbehandlung abrupt beendet wurde, weil sein Arzt in Untersuchungshaft kam. Jahre später findet sich in einem Rundschreiben des Vereins für Drogenpolitik e.V. (13. April 2002) hierzu folgende Anmerkung: ‚Was andere in verzweifelte Starre gestürzt hätte, war für Dorothea Klieber Ansporn, den Kampf aufzunehmen.‘ Im April 2002 erhielt Dorothea Klieber mit 89 Jahren, in Anerkennung ihres außergewöhnlichen Engagements für die Methadonbehandlung, das Bundesverdienstkreuz.“

Widerstand aus Justiz, etabliertem Drogenhilfesystem und Medizin

Mutige Ärzte setzten ihre Zulassung aufs Spiel, weil sie suchtkranken Menschen die Medizin verschrieben, die zur Verhinderung völliger Verelendung vonnöten war. Widerstand kam nicht nur aus der Justiz und dem etablierten abstinenzorientierten Drogenhilfesystem, sondern auch aus dem Kollegenkreis. Die Frankfurter Rundschau berichtete fast täglich über neue Drogentote. Szenen der Vergesellschaftung Drogen gebrauchender Menschen wurden immer wieder zerschlagen. Man nannte das „Junkie-Jogging“. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft verlangte den Abbau von Spritzenautomaten an Orten, an denen sie genutzt wurden. Zulässig seien sie nur dort, wo es keine Drogengebraucher gebe.

In diese Gemengelage kamen Staatsanwälte – wie in Frankfurt Dr. Körner –, die nicht mehr einsehen wollten, ständig Kranke wegsperren zu müssen, vereinzelte kritische Geister aus dem etablierten Drogenhilfesystem und die Aidshilfen, die den Lebensweisen akzeptierenden Ansatz der Harm reduction (Schadensminderung) verfolgten. Schon der erste Jahresbericht der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) 1985/86 wies einen festen Mitarbeiter für Drogen und Strafvollzug aus, der erste Band der Reihe AIDS-FORUM DAH hieß „Aids und Drogen“ (1988), der dritte „ Die Zugänglichkeit von sterilem Spritzbesteck“ (1989) und der sechste „Der tolerierte intravenöse Drogengebrauch in den Angeboten der Drogen- und Aidshilfe“ (1991).

„Training fürs Überleben auf der Szene“

Ich kannte ein paar ganz nette Junkies in meinem persönlichen und beruflichen Umfeld, traf auch viele in der Ambulanz oder der Infektionsstation der Uniklinik Frankfurt. Über die DAH lernte ich faszinierende Menschen kennen, beispielsweise den Rechtsmediziner Prof. Friedrich Bschor auf einem Junkietreffen im Limburger Wald, bei dem er fürs Überleben auf der Szene ausbildete und ich mit den Anwesenden über Patientenverfügungen sprach, angeregt von Celia Bernecker-Welle, die beim Europäischen Positiventreffen 1988 in München vom Kreisverwaltungsreferat wegen ihrer Drogenvergangenheit nicht als mitverantwortliche Anmelderin der Demo akzeptiert wurde und nach der inzwischen ein vom Drogenselbsthilfenetzwerk JES verliehener Preis benannt ist.

Heino Stöver, inzwischen Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der FH Frankfurt war mir schnell ein Begriff. Er hatte, wie auch die DAH, wesentlichen Anteil daran, dass akzept gegründet wurde. Den örtlichen Aidshilfen wurde ihre zu große Nähe zu den Betroffenen abwertend entgegengehalten, ihr Dachverband galt als zu parteilich. Zur Repression brauchte es ein eigenständiges Gegengewicht mit wissenschaftlichem Renommee und, den Grundlehren der Ottawa-Charta folgend, die Partizipation der Betroffenen. Dieser neue Verein machte mit Veröffentlichungen und Kongressen von sich reden.

Aufbruchstimmung in den neuen Bundesländern

Der erste akzept-Kongress in Berlin 1991 habe unerwartet viele Teilnehmer aus den neuen Bundesländern angelockt, erinnert sich Prof. Gundula Barsch, Sozialwissenschaftlerin und Drogenforscherin. Und eine akzept-Fachtagung für die neuen Bundesländer 1993 in Potsdam habe „Ideen, Menschenbilder und Leitgedanken praktischer Arbeitsansätze akzeptierender Drogenarbeit“ in die neuen Bundesländer gebracht, gerade entstehende Projekte bestärkt und die Knüpfung neuer, sich fortan gegenseitig stützender Netzwerke angestoßen.

Nach dem 9. November 1989 seien die im ostdeutschen Suchtkrankenhilfesystem Tätigen hoch motiviert gewesen, sich auf die kommenden Herausforderungen einzustellen, so Barsch, damals Mitarbeiterin einer großen Klinik in Ostberlin. Auch viele junge Leute, die sich in der Sozialarbeit engagieren wollten, hätten sich zu dem neu entstehenden Arbeitsfeld hingezogen gefühlt.

In jenen Tagen der „Flutung des Ostens mit akzeptierendem Gedankengut“ sei die Drogenarbeit in der Deutschen AIDS-Hilfe längst so etabliert erschienen, dass sie von außen die Fragilität dieses Konstrukts nicht einmal ahnen konnte, merkt Barsch an, die dann wenige Jahre später – von 1994 bis 1998 – das DAH-Referat „Drogen/Menschen in Haft“ leitete.

„Die Fragilität akzeptierenden Gedankenguts“

Wie fragil es tatsächlich war, merkte ich selbst 1990, als ich in den DAH-Vorstand berufen wurde. In jenen Jahren waren Ilja Michels, inzwischen Leiter des Arbeitsstabs der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Werner Hermann und Helmut Ahrens im Drogenbereich der Deutschen AIDS-Hilfe zugange. Und die hatten eine wunderbare Harm-Reduction-Plakatserie entworfen mit den Titeln „Vom Kiffen krieg ich kein AIDS“, „Von Heroin kriegt man noch kein AIDS“ und „Von Kokain allein kriege ich kein AIDS“. Nachdem die staatlichen Stellen Belegexemplare dieser den Drogengebrauch akzeptierenden und aus DAH-Eigenmitteln finanzierten Plakate erhalten hatten, folgte postwendend ein Verteilungsverbot, und uns wurde unmissverständlich klargemacht, dass dies als grob unfreundlicher Akt gewertet werde, dessen Wiederholung nicht ohne ernste Konsequenzen möglich sei.

„Recht auf Rausch auch jenseits der Rotweinflasche“

Ein weniger am Staatstropf hängender Verein wie akzept gewährleistete, dass auch weiterhin Mängel in der Drogenpolitik klar benannt werden konnten und dass die Welt nicht zusammenbricht, wenn man über das Recht auf Rausch auch jenseits der Rotweinflasche nachdenkt.

Die Veränderungen seit der Gründung von akzept sind gewaltig. Aus Selbsthilfeprojekten etwa des Junkie-Bundes in Köln wurde unter dem Namen Vision ein anerkanntes Angebot innovativer Drogenhilfe. Die Diskussionen, ob man durch Spritzentausch strafbar den Drogenkonsum fördere, sind beendet. Heroin, 1886 von Bayer entwickelt, als Patent geschützt und als Warenzeichen eingetragen, ist heute als Diamorphin zur Substitution auf Rezept über den Pharmahandel erhältlich – was schon in der ersten Ausgabe des Magazins „DAH aktuell“ 1989 gefordert wurde. Es gibt den Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit und den von ihm initiierten Gedenktag für Drogentote am 21. Juli jeden Jahres. Und Drogengebraucher werden inzwischen alt, sodass die Diskussion über spezielle Altenpflege-Einrichtungen voll entbrannt ist.

„Zum Aufatmen ist es noch zu früh“

Zum Aufatmen ist es aber noch zu früh. Die Prohibition feiert muntere Urstände, Cannabis gibt es noch nicht einmal für Sterbenskranke problemlos. Die Haftanstalten sind überfüllt aufgrund von Delikten, die mit der Drogenabhängigkeit zu tun haben. Die Substitution und der Zugang zu sauberem Spritzbesteck sind nicht flächendeckend gesichert, in Haftanstalten schon mal gar nicht.

Die sauber recherchierten Fakten in dem 2014 von akzept, DAH und JES herausgegebenen Alternativen Drogen- und Suchtbericht werden im jährlichen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung ignoriert. Man muss sich das wirklich klar machen: Der Staat ist noch nicht einmal in der Lage, in den hoch kontrollierten Haftanstalten Drogenfreiheit zu erreichen, und verweigert sich einer offenen Diskussion darüber, wie dieses Dilemma zu beenden ist. Und dies, obwohl es akzept und der Drogenhilfe inzwischen gelungen ist, einen Aufruf von 121 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren zum Ende der Prohibition zu erreichen, obwohl hohe Polizeibeamte die Drogenpolitik für gescheitert erklären und selbst in Amerika, das den Drogenkrieg ja eröffnet hat, inzwischen ein Umdenken stattfindet.

akzept wird weiterhin gebraucht. Ich wünsche dem Verein Durchhaltevermögen, Nervenstärke und weiterhin die Unterstützung der kritischen Wissenschaft und der Betroffenen.

Website von akzept e.V.