Da hat sich Philippe Gerard Matern was vorgenommen: Ab Mai wird er quer durch Deutschland wandern. Mit im Gepäck sind Informationen zu HIV.
Am 1. Mai willst du in Stuttgart aufbrechen und dich zu Fuß auf nach Berlin machen. Was ist dein Anliegen?
Ich bin HIV-positiv und möchte mit der Aktion zum einen um Verständnis für Menschen mit HIV werben, zum anderen möchte ich damit auf die Leistungsfähigkeit von HIV-Positiven hinweisen. Und dabei geht es mir nicht nur um schwule, sondern um alle Menschen mit HIV.
Was ist deine Motivation?
Ich spiele schon länger mit der Idee. Vollends dazu entschlossen habe ich mich dann auf den „Positiven Begegnungen“ in Wolfsburg vor drei Jahren. Dort ist mir aufgefallen, dass mittlerweile eine ganz neue Generation von HIV-Positiven herangewachsen ist: die der 16- bis 18-Jährigen, die mit dem Virus geboren wurden. Ihre Situation hat mich richtig erschreckt: In diesem jungen Alter, in dem man Sexualität erst entdeckt, müssen sie ihrem Partner sagen, dass sie positiv sind. Die Gesellschaft heute ist tolerant, aber nur solange es einen selbst nicht betrifft. Ich möchte die Eltern sehen, deren Kinder erzählen, sie haben einen neuen Partner – und der hat HIV! Deshalb will ich für soziale Gerechtigkeit, Würde und Gleichberechtigung kämpfen. Jeder soll sich wohlfühlen in unserem Land, auch die Positiven. Niemand sollte wegen seiner HIV-Infektion ausgeschlossen werden.
Von Stuttgart nach Berlin quer durch die neuen Bundesländer
Warum führt dich deine Reise durch die neuen Bundesländer nach Berlin?
Es gibt bundesweit ungefähr 110 Aidshilfen, aber die meisten befinden sich in den alten Bundesländern. Vor drei Jahren habe ich an dem Projekt „Positive Stimmen“ teilgenommen. Kollegen berichteten damals, wie schwer es gerade in den neuen Bundesländern für Neuinfizierte ist. Oft müssen sie hunderte Kilometer fahren, um sich in der nächsten Aidshilfe oder Schwerpunktpraxis beraten lassen zu können. Auf dem Land findet man als HIV-Positiver oft keinen Arzt, der einen behandelt, weil er Angst um seine anderen Patienten hat. Es fehlt an Prävention und Aufklärung. Viele denken ja noch immer, man könnte sich über ein Wasserglas anstecken. Deshalb führt meine Strecke vor allem durch Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
Was tust du, damit deine Botschaft auch rüberkommt?
Ich habe meine Wanderung mit den Aidshilfen koordiniert, die auf meiner Route liegen. In Heilbronn, Halle an der Saale, Jena, Leipzig, Potsdam und schließlich Berlin sind verschiedene Aktionen geplant. In Potsdam werde ich zum Beispiel mit Schulklassen zusammenkommen. Im Berliner Café Ulrichs wird es einen Diavortrag mit meinen Erlebnissen geben. Am 22. Juli, meinem Geburtstag, komme ich schließlich in Berlin an und werde dort am Brandenburger Tor meine letzten Flyer verteilen. Aber auch überall sonst auf der Strecke werde ich die 12.000 Flyer unters Volk bringen, die ich mithilfe von Sponsorengeldern drucken lassen konnte. Und ich werde versuchen, in Gesprächen über HIV aufzuklären und auf die Rechte von Menschen mit HIV aufmerksam zu machen.
Wieder fit durch Spaziergänge und tägliches Training
Nun wären deine Ziele ja auch durch andere Aktionen zu erreichen. Warum hast du dich fürs Wandern entschieden?
Das hat persönliche Gründe. 2003 war ich durch eine Kleinhirnentzündung plötzlich halbseitig gelähmt und konnte auch nicht mehr sprechen. Eine Therapeutin hat dann angefangen, mit mir zu trainieren. Ganz langsam habe ich meine Bewegungsfähigkeit zurückerlangt – auch durch Spaziergänge. Zunächst ging es mir nur darum, wieder selbst einkaufen gehen zu können. Jeden Tag habe ich vier bis fünf Stunden trainiert. Mit der Zeit ging es mir immer besser. Jeder ist eben seines eigenen Glückes Schmied. Wenn man nur zu Hause sitzt, tut sich nichts. Man muss schon selber nachhelfen. Durch das tägliche Training bin ich schließlich auf den Geschmack gekommen. Wandern ist heute ein Hobby von mir.
Das heißt, du bist auf die Strapazen der Tour gut vorbereitet?
Es sind insgesamt gut 650 Kilometer. Ich habe mir pro Tag 13 Kilometer vorgenommen. Es geht mir ja nicht um Geschwindigkeit, sondern um Aufklärung und Information. Aber ich habe viele Wanderungen im Umland von Stuttgart gemacht und bin inzwischen gut in Form. Außerdem lasse ich mich demnächst noch vom Wanderverein beraten.
Haben die Medien dein Vorhaben schon aufgegriffen?
Ich habe das Gefühl, die Sache ist ein richtiger Selbstläufer. Es haben bereits viele berichtet – und die Aktion fängt doch erst noch an! Die Stuttgarter Nachrichten und ein regionaler Radiosender haben mich schon interviewt. Die Aidshilfen vor Ort werden noch die jeweilige Lokalpresse informieren. Und was ich unterwegs erlebe, werde ich auf Facebook und meinem Blog berichten.
„Ich freue mich über jeden, der mich ein Stück begleitet“
Wohin kann man spenden, wenn man deine Aktion unterstützen möchte?
Die Brücke e.V. hat für mich ein Spendenkonto eingerichtet. Man findet es leicht über die Facebookseite „HIV-bewegt“. Wenn Unternehmen spenden, werde ich ihr Logo auf mein T-Shirt drucken lassen. Von den 4.000 Euro, die ich für die Wanderung kalkuliere, habe ich bisher 2.000 zusammen. Vielleicht muss ich zwischendurch mal beim Pfarrer übernachten, zur Not habe ich auch einen Schlafsack dabei.
Wirst du denn die ganze Strecke alleine gehen?
Es haben sich schon einige bereit erklärt, ein Stück mitzulaufen. Und wenn es nur ein paar Kilometer sind: Ich freue mich über jeden, der mich ein Stück begleitet und mit dem ich mich unterhalten kann. Schön wäre es auch, wenn mich Leute zwischendurch für die Dokumentation fotografieren könnten. Das kann ich ja selber schlecht machen.
Du warst nicht immer so fit wie heute. Seit wann bist du positiv?
1987 muss es passiert sein, erfahren habe ich von der Infektion 1989. Ich war damals 29 und arbeitete als Barkeeper. Eines Abends kam mein Ex zu mir an den Tresen und wollte mit mir sprechen. Erst dachte ich, er will zu mir zurück. Aber dann erzählte er mir, dass er positiv getestet sei. Ich fiel aus allen Wolken. Ein Test brachte dann auch bei mir Gewissheit. Dann erinnerte ich mich auch, dass ich zwei Jahre zuvor zwei Wochen lang starkes Fieber und Schweißausbrüche hatte. Ich nehme an, dass das kurz nach der Infektion war. Als ich von dem positiven Testergebnis erfuhr, dachte ich natürlich: Das war’s! Es gab zu der Zeit ja nur AZT. Nachdem ich das Medikament eine Woche probiert hatte, habe ich beschlossen, es nicht mehr zu nehmen. Das hat mich wahrscheinlich gerettet. Viele sind ja damals an den schweren Nebenwirkungen gestorben.
Wie ist dein Umfeld mit der Infektion umgegangen?
Ich hatte damals ein Haus und sonntagnachmittags versammelte sich die Heilbronner Szene bei mir zum Kaffee. Als mein HIV-Status bekannt wurde, kam plötzlich keiner mehr. Von anderen musste ich mir ins Gesicht sagen lassen, dass Aids Gottes Strafe für die Schwulen sei. Es galt damals ja als reine Schwulenseuche. Und beim Arzt musste ich immer bis kurz vor Praxisschluss warten, weil er Angst hatte, andere Patienten könnten sich anstecken. Was natürlich unsinnig ist, jeder Grippevirus ist ansteckender als HIV.
„Ein Leben in Angst ist kein gutes Leben“
Erlebst du denn heute auch noch Stigmatisierung und Diskriminierung?
In der Schwulenszene in Stuttgart bin ich durch mein Engagement quasi eine öffentliche Person. Alle wissen, dass ich positiv bin. Und als Positiver kommt man offenbar nicht mehr als Sexualpartner infrage. Dabei kann einem jemand Besseres als ich gar nicht begegnen: Ich bin unter der Nachweisgrenze – bin also für Sexpartner nicht mehr infektiös – und habe auch keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen.
Bei dir hat dann also die Kombinationstherapie gut angeschlagen, seit wann nimmst du sie?
Seit 1996. Es hat jahrelang gedauert, bis sich mein Immunsystem gebessert hat. Ich kann nur jedem raten, brav seine Tabletten zu nehmen. Durch die heutigen Therapien können Infizierte genauso leistungsfähig sein wie Nichtinfizierte. Es gibt allerdings immer noch Leute, die die Tabletten schlecht vertragen. Sich gar nicht erst zu infizieren, ist deshalb immer noch erstrebenswert. Und dann gibt es ja noch andere Infektionen. Man sollte also weiterhin Kondome verwenden.
Was erhoffst du dir persönlich von deiner Aktion?
Hier in Stuttgart habe ich durch meine eigene Offenheit schon einige animiert, selbst offener mit ihrem HIV-Status umzugehen. Ich wünsche mir, dass mehr Leute die Angst verlieren, sich als Positive zu outen. Angst fördert nicht gerade das Selbstwertgefühl. Wenn Menschen mit HIV in Angst leben und sich selbst stigmatisieren, ist das kein gutes Leben.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!
Interview: Carsten Bauhaus
Weitere Infos:
Facebookseite der Aktion „HIV-bewegt“
Vorstellung des Projekts auf der Spendenplattform betterplace.org