Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, die Zahl der Beitragszahler sinkt. Krankenhäuser und Ärzte stehen unter Druck. Und Patienten wissen zudem heute recht genau, wie sie behandelt werden möchten. Einer, der sich intensiv mit „Dienstleistungsqualität im Gesundheitswesen“ beschäftigt ist Prof. Dr. Herbert Woratschek vom Lehrstuhl für Dienstleistungsmanagement an der Universität Bayreuth. Unter anderem hat er für die Kassenärztliche Vereinigung Bayern das Serviceangebot in Bayerns Hausarztpraxen untersucht. Im Interview spricht er über Dienstleistungsqualität im deutschen Gesundheitswesen.
Ein Interview mit Prof. Dr. Herbert Woratschek von der Universität Bayreuth, der sich mit Dienstleistungsqualität im deutschen Gesundheitswesen beschäftigt.
Von Michaela Schneider
Was eigentlich bedeutet Dienstleistungsqualität?
Dienstleistungsqualität ist ein sehr abstrakter Begriff – und im Gegensatz zur Materialqualität nicht objektiv messbar. Entscheidend ist: Wenn wir Dienstleistungsqualität messen wollen, ist wichtig, um wessen Perspektive es geht. Geht es um die Sicht der Mitarbeiter, der Manager oder aber der Kunden? Und oft sind mehr als drei Seiten beteiligt. Nehmen wir das Beispiel Kindergarten: Da sind die Kinder, die Eltern, die Erzieher, die Kirche, die Gemeinde,… Damit ist klar: Dienstleistungsqualität ist subjektiv.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie schätzen Sie die Dienstleistungsqualität im deutschen Gesundheitswesen ein?
Zunächst einmal müssen wir unterscheiden zwischen der medizinischen Kernleistung und der nichtmedizinischen Dienstleistung. Hinzu kommt: Die Gesundheitsbranche ist sehr heterogen, sie reicht von Allgemeinmedizin über sämtliche Fachbereiche bis zur Alternativmedizin. Und auch ihre Akteure sind heterogen – es gibt wie überall weiße und schwarze Schafe. Damit ist eine Einschätzung auf einer Skala kaum möglich. Das macht die Betrachtung des Gesundheitswesens für Wissenschaftler so schwierig.
Wie lässt sich Qualität aus Sicht des Patienten messen?
Medizinische Qualität können die meisten Patienten nicht beurteilen, deshalb sind Weiterempfehlungen oder Reputationen wichtig. Neue Möglichkeiten bieten Navigatoren im Internet wie der AOK-Navigator. Allerdings können die Patienten dort keine sinnvollen Aussagen zur medizinischen Kernleistung treffen. Hier bewerten Patienten online, wie zufrieden Sie mit ihrem Arzt sind. Zertifikate indes sind so eine Sache: Sie legen Mindeststandards fest, aber keine Höchstqualität.
Und wie steht es aus Sicht der Patienten um die nicht-medizinische Dienstleistungsqualität?
Hier können Patienten auf Umfrageergebnisse, Untersuchungen der Stiftung Warentest und verschiedener Testinstitute oder auf Navigatoren zurückgreifen. Übrigens sind solche Messungen älter als man vielleicht vermutet – dies hat bereits vor 20 Jahren mit Einführung des Servicebarometers begonnen, der deutschlandweit umfassendsten Benchmarkingstudie zur Verbraucherzufriedenheit in verschiedenen Branchen.
Bei so vielen Quellen ist es für Patienten ziemlich schwierig, sich ein realistisches Bild zu machen…
Das stimmt. Früher war es schwierig, überhaupt an Informationen heranzukommen. Heute ist der Patient mündiger geworden, doch ist es für ihn nicht leicht, seriöse Quellen herauszufiltern. Ich gehe aber davon aus, dass sich mit der Zeit Testagenturen herausbilden werden, die glaubhaft für ihre Untersuchungen stehen und Quasiobjektivität herstellen.
Was müssen Krankenhäuser in Zukunft beachten?
Zum einen sollten sie genau überlegen: Was kommuniziere ich in welcher Intensität? Zum anderen ist der Umgang der Mitarbeiter mit den Patienten für die Reputation entscheidend. Bewusst sein sollten sich Krankenhäuser auch: Kundenorientierung ist hier nicht so einfach wie bei Coca-Cola, denn: Medizinische Dienstleistung muss auch zugänglich sein für Menschen, die sie sich finanziell eigentlich nicht leisten können.
Womit wir auch beim Thema gesetzliche und private Versicherungen wären. Darf man von einer Zweiklassengesellschaft reden?
Seien wir ehrlich – diese nimmt jeder wahr. Und meiner Meinung nach muss es sie geben. Ärzte machen ein Plus bei Privatversicherten, dadurch können Sie sich erst die Zeit für gesetzlich Versicherte nehmen. Und dass jemand, der mehr zahlt, unterm Strich mehr bekommt, sollte selbstverständlich sein. Das ist keine Böswilligkeit, sondern ökonomische Konsequenz.
Was müsste sich mit Blick aufs Geld im deutschen Gesundheitswesen ändern?
Der deutsche Gesundheitsmarkt ist in einigen Bereichen durch die Politik überreguliert. Ich halte etwa den Risikostrukturausgleich der Kassen für falsch, dadurch kommt es unter anderem bei Kursen zu Überausgaben. Ich kann zudem sehr gut verstehen, dass Ärzte mit dem Abrechnungssystem unzufrieden sind. Auch der Pharmaziemarkt ist überreguliert. Ich frage mich, warum bei uns Medikamente so teuer sein müssen. Weniger Regulierung an den richtigen Stellen – das ist ein Spagat, über den man trefflich streiten kann. Es geht nicht darum, mehr Geld ins System zu pumpen, sondern man müsste dieses effizienter gestalten. Für ganz wichtig halte ich in diesem Zusammenhang auch, Mitarbeiter entsprechend zu motivieren.
Wer profitiert denn eigentlich von Dienstleistungsqualität im Gesundheitswesen?
In erster Linie der Patient, in zweiter Linie alle. Der Arzt profitiert, wenn er dadurch eine entsprechende Patientenbindung erreicht und weiterempfohlen wird. Das bringt Geld in die Kasse. Mitarbeiter haben etwas davon, wenn Sie statt mürrischen gut gelaunte Kunden betreuen. Und wenn bei Krankenkassen weniger Rückfragen eingehen, sinken die Bearbeitungskosten.
Was bedeuten die Veränderungen im Gesundheitswesen für die Ärzteschaft?
Früher war der Arzt ein Gott in Weiß, heute ist er Dienstleister. Ärzte müssen neue Pfade betreten, mit Umstellungen ist natürlich die ein oder andere Anfangsschwierigkeit verbunden. Aber ich bin sehr optimistisch, die meisten Ärzte sind offen für Veränderungen, wollen effizient arbeiten und Patienten behandeln, die sich wohl fühlen.