Internationaler Kaffeeklatsch

Langsam entspannt sich in unserer Gesellschaft der Umgang mit HIV und Aids. Schwierig bleibt aber die Situation für Migranten. Das Projekt Helping Hand im HIVCENTER Frankfurt will das ändern. Von Bernd Aretz  

Die Tulpen zur Verschönerung der Kaffeetafel hat Somporn nur leihweise mitgebracht. Vom Apfel- und dem Käsekuchen mit Heidelbeeren und Mandarinen hofft sie zu Recht, dass keine Reste bleiben. Anders als von Horst Herkommers Marmorkuchen, der in seiner Familie ob seiner Trockenheit auch gerne „Würgekuchen“ genannt wird – was dem Geschmack allerdings keinen Abbruch tut, und mit Somporns Sahne schmeckt er vorzüglich.

Leihblumen und Würgekuchen

Der lange Tisch ist reichlich und festlich gedeckt, und schnell sind alle Plätze mit Gästen aus verschiedenen Erdteilen besetzt. Acht Nationen sind bei meinem Besuch vertreten. Die Teilnehmer nehmen lange Anfahrtswege in Kauf. Das Einzugsgebiet reicht bis Würzburg. Das internationale Café des Projekts Helping Hand im Wartebereich der Frankfurter HIV-Ambulanz im Haus 68 bietet den 15 bis 25 Gästen an jedem ersten Freitag des Monats die Gelegenheit, außerhalb des Arztzimmers unbeschwert mit ihrer HIV- und/oder HCV-Infektion umzugehen.

Am Tisch versammelt sich alles – von der Jugendlichen aus Kamerun bis zur Altersrentnerin aus Hanau. Sie begreifen das Angebot als eine Begegnungsmöglichkeit, zu der sie beisteuern wollen. Zwischendurch zieht sich Horst immer mal wieder mit einem Besucher für eine Beratung in sein Arbeitszimmer zurück. Das geht ganz unproblematisch, ohne Anmeldung am Empfang und ohne Terminvereinbarung.

Somporns Mann war Hämophilie-Patient und hatte sich nicht getraut, ihr von seiner HIV- und HCV-Infektion zu erzählen. Das kam erst raus, als sie ihn vor mehr als 25 Jahren mal zu seinem Arzt begleitete. Sie hielt an der Ehe fest. Die Anfangszeit war schwer. Sie hatte ein Kind mit in die Ehe gebracht und machte sich Sorgen, es unversorgt zu hinterlassen. Therapien gab es noch nicht, und an ihrem Mann, den sie pflegte, sah sie, wie grausam die Erkrankung sein kann. Er liegt jetzt schon lange unter der Erde. Die Wunden sind vernarbt, und sie freut sich, dass es eine handhabbare Therapie nicht nur für HIV, sondern endlich auch für die Hepatitis C gibt. Nächsten Monat wird sie damit beginnen.

„Es tut ihr einfach gut, anderen Frauen helfen zu können“

Bis dahin wird sie wahrscheinlich noch den einen oder anderen Patienten aus Thailand im Rahmen des Dolmetscherdienstes von Helping Hand zu Arzt- oder Behördenbesuchen begleiten. Neben ordentlichen Deutschkenntnissen war es dafür notwendig, an einer Schulung über mehrere Wochenenden teilzunehmen. Ihre Ärztin hatte sie darauf angesprochen. Pro Stunde gibt es einen Aufwendungsersatz von 10 Euro. Darin sind auch Fahrtkosten enthalten, und die Anreisezeit wird nicht vergütet.

Aber das ist für Somporn nicht das Entscheidende. Es tut ihr einfach gut, anderen Frauen helfen, sie mit all ihren Erfahrungen begleiten zu können. Wenigstens solange, bis sie im Deutschkurs, den Helping Hand ebenfalls anbietet, genügend gelernt haben, um sich selber durchschlagen zu können. Somporn lebt heute offen mit ihrer Infektion. Sie bindet es nicht jedem auf die Nase, aber sie verschweigt es auch nicht. Wer nicht damit umgehen kann, soll ihr gestohlen bleiben.

Anako kam 2008 im Alter von 18 Jahren aus Uganda nach Deutschland. Als Erstes absolvierte sie bei der Volkshochschule sehr erfolgreich einen Deutschkurs, sodass sie sich neben Luganda, Swahili und Englisch nun auch in der vierten Sprache verständigen kann. Ihr Arzt hat sie auf Helping Hand und die Ausbildung zur Gesundheitsdolmetscherin aufmerksam gemacht. Neben den erworbenen Kenntnissen und einem schönen Zertifikat zum Abschluss hat ihr die Schulung Kontakte zu anderen Frauen und Männern mit HIV ermöglicht. Sie freut sich schon auf ihre Einsätze. Sie besucht regelmäßig das Café. Unter gleich Betroffenen kann sie völlig offen sein. Das ist ihr außerhalb noch nicht möglich – und wohl auch gar nicht nötig. Ihre Therapie funktioniert, und wen geht es schon etwas an, dass die Zahl der HI-Viren in ihrem Blut unter der Nachweisgrenze liegt!

„Unter gleich Betroffenen kann sie völlig offen sein“

Nina ist 32. Sie stammt aus Kamerun. Seit acht Jahren lebt sie in Deutschland. 2010 wurde ihr Blut bei einem Krankenhausaufenthalt in Darmstadt auf HIV getestet, ohne dass man sie vorher gefragt oder über HIV aufgeklärt hätte. Glücklicherweise wurde sie auf die Infektionsstation 68 in Frankfurt verlegt, wo sie eine kompetente Behandlung erhielt und an Helping Hand vermittelt wurde. Die umfassende Ausbildung, die sie in dem Projekt bekam, hat ihr gleichzeitig die Angst vor HIV genommen.

Als Dolmetscherin war Nina noch nicht im Einsatz, denn die Kommunikation in den Amtssprachen ihres Heimatlandes – Englisch und Französisch – bekommen die Ärzte oft auch ohne Übersetzer hin. In ihrer Community ist HIV leider immer noch ein großes Tabu. Das Café ist deshalb der Ort, an dem sie sich austauschen und neue Energien tanken kann. Der Termin ist ihr heilig.

Yordanis stammt ursprünglich aus Äthiopien, ging in Eritrea zur Schule und kam noch als Kind 1994 nach Deutschland, wo sie im Kinderheim lebte. Dort wurde sie auch mit der HIV-Diagnose konfrontiert. Viele Jahre glaubte sie, damit völlig allein auf der Welt zu sein, bis sie 2012 in die Frankfurter Ambulanz kam – und ein neues Leben begann. Der Arzt erklärte ihr, HIV sei heute kein Problem mehr, vermittelte sie in das Helping-Hand-Projekt und ermutigte sie, die Dolmetscher-Ausbildung mitzumachen. Sie habe schließlich noch lange zu leben.

„Das Café hat die Vereinzelung aufgebrochen“

Zweimal wöchentlich begleitet Yordanis nun andere Patienten, nicht nur mit HIV, sondern auch mit Tuberkulose. Die Schulung hat ihr viel gebracht. Vorher war die HIV-Infektion für sie überaus beängstigend, aber irgendwie auch nicht real. Sie hatte keine Schmerzen, ihre Organe funktionierten – krank war sie eigentlich nicht. Jetzt versteht sie, was da im Körper abläuft. Das Café hat ihre Vereinzelung aufgebrochen. In ihrer eritreischen Community ist HIV immer noch ein Tabu.

Benjamin, 49, kommt aus Malawi und ist Informatiker. Seine Augen machen ihm Sorgen. Seit seiner Kindheit verschlechtert sich die Sehkraft immer weiter. Das beängstigt ihn mehr als seine HIV-Infektion, denn die hat er medikamentös gut im Griff. Der Unterschied ist, dass er über seine Sehkraft im Grunde mit jedem reden kann, HIV jedoch jenseits des geschützten Rahmens ein Tabu ist. Deswegen kommt er, wann immer es ihm möglich ist, zum Patienten-Café. Den Weg dorthin hätte er ohne die Dolmetscherschulung allerdings nicht gefunden. Dort Menschen in vergleichbarer Lage kennenzulernen, hat erst die Türen für ihn geöffnet.

Horst Herkommer ist seit 25 Jahren in der psychosozialen Beratung des HIVCENTERs tätig. Anfangs ging es darum, Drogen Gebrauchende in den Behandlungsalltag zu integrieren. Die sind heute kein Problem mehr. Inzwischen gilt es, Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen beizustehen. Zurzeit arbeitet er mit den Patienten an einem multikulturellen Kochbuch, in dem dann auch HIV vorkommen wird. Durch Mitwirkung der Gesundheitsdolmetscher soll außerdem eine DVD zur Aufklärung der Patienten entstehen.

Multikulturelles Kochbuch als Gemeinschaftswerk

Helping Hand erleichtert die Arbeit im HIVCENTER. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher wissen um kulturell bedingte Hemmungen und die Möglichkeiten, sie zu überwinden. Mit ihrer Hilfe lassen sich manche Dinge schnell auch am Telefon klären. Die Gespräche zwischen den Patienten auf gleicher Augenhöhe – wenn auch mit höchst unterschiedlichem Wissensstand – erleichtern den Profis die Arbeit.

Helping Hand ist mehr als ein Dolmetscher- und Café-Projekt. Die dort Engagierten wie auch Interessierte treffen sich und sprechen über Themen wie HIV und Schwangerschaft, Wechseljahre, neue Medikamente oder was gerade aktuell ist oder bei der Begleitung von Patienten an Fragen anfällt. Dort werden auch Ideen für neue Unternehmungen wie etwa das internationale Kochbuch ausgetüftelt.

Es wäre gut, wenn die Krankenkassen die Finanzierung von Helping Hand übernehmen würden. Dann müsste man nicht ständig auf die Unterstützung der Deutschen Aids-Stiftung und der Pharma-Industrie oder auf Spenden hoffen.

Website von Helping Hand