Seit meiner Ausbildungszeit, wenn auch mit Pausen, bin ich mit dem Fachgebiet Pflege verwachsen. Doch erst heute lernte ich das Wort „Pflegeempfänger“ kennen. In der Klinik sprechen sie vom Patient, in Pflegeheimen kenn ich den Begriff Heimbewohner oder Klient. Im ambulanten Bereich lernte ich die Worte Kunde oder Pflegekunde kennen. Geläufig war mir die / der Zupflegende oder die / der Gepflegte.
Der Begriff „Pflegeempfänger“ klingt professionell wie Pflegekunde und für mich steckt darin ein Bruch. Professionell, weil die „Pflege“ als ein Produkt verstanden wird. Ich verstehe die Pflege nicht als ein abgeschlossenes Produkt1, es übersetzt sich für mich nicht aus der Bedeutung „sorgen für“ oder „betreuen“ 2. Doch stimme ich für das Produkt „Pflege“, betrachte ich einzelne, abgeschlossene Pflegeverrichtungen, zum Beispiel das endotracheale Absaugen. Es stellt ein Ergebnis durch eine Handlung dar: Der Schleim in der Luftröhre wurde entfernt und der Gasaustausch in der Lunge kann ungehindert verlaufen; die Sauerstoffsättigung auf dem Monitor steigt.
Ein Bruch für mich
Die Dienstleistung „Pflege“ ist ein Produkt. Der Empfänger der Plege bekommt mein Produkt „geliefert“, indem ich es an ihm verrichte. Diese Vorstellung bricht meine Idee von der Pflege, vollumfänglich und ganzheitlich zu sorgen und nicht jede einzelne Pflegemaßnahme als ein alleiniges Konstrukt zu betrachte. Die Begriffe Pflegekunde und –empfänger schieben den kommerziellen Charakter Alten– und Krankenpflege nach vorne. Wir pflegen, da wir damit Geld verdienen (wollen).
Je mehr Produkte (einzelne Pflegeverrichtungen) wir verkaufen, je größer wird unser Gewinn3. Es enthebt sich von der Idee, wie es für mich im Ehrenamt gilt: Für meine Tätigkeit in der Pflege erhalte ich eine Aufwandsvergütung (im Ehrenamt Aufwandsentschädigung); die Güte unseres Produkts zeigt sich nach einem definierten Zeitraum an den erreichten Zielen.
Doch wenn ich „gezwungen“ bin für meinen Lohn viele Produkte „Pflege“ zu verkaufen in kurzer Zeit, so wird der „Pflegeempfänger“ zu einem Kunden, zu einem zahlenden Ding. Dies mit der Gefahr, ich wähle die Pflegemaßnahmen nicht (nur) nach dem längerfristigen Pflegeziel sondern nach meinen Verkaufswillen aus. Ich will und muss diese Produkte verkaufen, denn ich will eine warme Wohnung haben.
Ich als Pflegeperson werde zum Verkäufer meiner Ware, jede einzelne Pflegemaßnahme oder –verrichtung wird vergütet. Kann der Kunde sie sich nicht leisten, zum Beispiel den dritten Windelwechsel am Tag, dann bekommt er diesen nicht vom mir. Ich als Pflegeperson muss dann den ethischen Konflikt annehmen, wenn ich den Pflegekunden in der Windel liegen lasse: Es stellt eine Körperverletzung dar (Hautschädigung). Mein Pflegeziel, die Haut intakt zu halten, steht in Gefahr. Aber wenn ich als Pflegefachkraft wiederum meine Produkte „kostenlos“ abgebe, bleibe ich ohne Lohn.