Starthilfe fürs Leben mit HIV

Die Diagnose HIV ist für die meisten Menschen ein tiefer Einschnitt, macht Angst und wirft viele Fragen auf. Im Buddy-Projekt Sprungbrett bieten erfahrene HIV-Positive nun bundesweit Unterstützung – als Begleiter bei den ersten Schritten

Die Wende in MoritSprungbrett_Logoz‘ Leben hatte einen Namen: Thomas*. Es passte einfach alles: Thomas war ebenfalls unter 30, ebenfalls schwul, ebenfalls Student. Und als die beiden sich trafen, machte es klick. „Ich sah ihn an und dachte nur: Wow, sexy!“, erinnert sich Moritz und lacht.

Auch wenn es so klingt: Es war keine Liebesbeziehung, die hier begann. Das erste Treffen fand in der Aids-Hilfe Freiburg statt, und Thomas war Moritz‘ Buddy, ein „Kumpel“ und ein Vorbild für die ersten Schritte im Leben mit HIV. Moritz hatte gerade erst sein Testergebnis bekommen. Ihn plagten Ängste vor sichtbaren körperlichen Veränderungen und viele Fragen.

Thomas war schon ein paar Jahre HIV-positiv und kam gut damit klar. „Mein Buddy sah erschreckend gesund aus“, fasst Moritz seinen ersten Eindruck zusammen. Außer sich selbst kannte er bis dahin niemanden mit HIV. „Ich hatte das dringende Bedürfnis, einen Positiven kennenzulernen“, sagt er. „Ich wollte wissen: Wie lebt man mit HIV?“

Ein authentisches Bild vom Leben mit HIV

Diese Chance haben Menschen mit einem frisch positiven HIV-Test ab sofort bundesweit. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat am 1. April das europaweit einmalige Buddy-Projekt Sprungbrett gestartet. Denn die Diagnose HIV bedeutet für die meisten Menschen noch immer einen tiefen Einschnitt, macht Angst und wirft viele Fragen auf.

„Die Buddys hören zu, erzählen von ihrer eigenen Geschichte, vermitteln ein authentisches Bild vom Leben mit HIV, ihre Erfahrung und ihr Wissen. Damit stärken sie diejenigen, die ganz am Anfang stehen und helfen, eine neue Perspektive zu entwickeln“, erläutert Heike Gronski, Referentin für das Leben mit HIV bei der Deutschen AIDS-Hilfe und Projektleiterin.

“Mein Buddy sah erschreckend gesund aus!”

Hervorgegangen ist das Projekt aus der Selbsthilfe. Eine Themenwerkstatt, gegründet bei der Konferenz Positive Begegnungen, entwickelte das Konzept. Die Koordination, die  Ausbildung der Buddys und die Qualitätssicherung hat die Deutsche AIDS-Hilfe übernommen.

Auf der Webseite des Projektes können Interessierte sich ab Anfang April ihren persönlichen Buddy selbst aussuchen. Wer einen passenden „Kumpel“ gefunden hat, kann ihm direkt eine Mail schreiben und um ein Treffen bitten.

30 HIV-Positive aus sechs Regionen präsentieren sich dort im April mit Bild und einem kurzen Steckbrief. Im Laufe des Jahres wird sich die Zahl verdoppeln.

Die Buddys werden für ihre Aufgabe in zwei Wochenendseminaren geschult. Sie setzen sich dort noch einmal mit der eigenen Geschichte auseinander und üben in Rollenspielen die Situationen, die auf sie zukommen. Regelmäßige Teamtreffen sichern die Qualität der Begleitungen ab. Die Buddys stehen unter Schweigepflicht.

Im selben Boot

Fuad Bruhn, 39, hat die Ausbildung als einer der ersten durchlaufen. „Nach meiner Diagnose 1996 hätte ich gerne jemanden gehabt, der selbst positiv ist“, sagt er. „So jemand möchte ich nun für andere sein.“

Buddy Fuad Bruhn

Buddy Fuad Bruhn

Die Buddys schließen eine Lücke, weiß Fuad aus eigener Erfahrung. „Man sucht in so einer Situation nach Menschen, die Ähnliches erlebt haben und im selben Boot sitzen. Das können professionelle Berater und Sozialarbeiter meist nicht leisten.“

Fuad, der sich auch in der Selbsthilfekampagne POSITHIV HANDELN der AIDS-Hilfe Nordrhein-Westfalen engagiert, kennt die Sorgen und Nöte von Menschen mit einer frischen Diagnose. „Die meisten haben mit veralteten Vorstellungen vom Leben mit HIV zu tun: Angst vor dem Tod und körperlichem Verfall, Angst vor Zurückweisung, Angst vor dem Ende der Karriere. Und nach wie vor spielen Schuldgefühle eine große Rolle.“

„Wir sind gelebtes HIV mit allen Höhen und Tiefen“

Dann gebe es noch all die Fragen nach dem Umgang mit der HIV-Infektion im Alltag. „Die Leute fragen sich: Wie sage ich es meinen Eltern und meinen Freunden? Was mache ich bei der Arbeit? Kann ich noch eine neue Partnerschaft eingehen oder eine Familie gründen?“

Es sind Fragen, auf die die Buddys schon Antworten gefunden haben. Und nicht nur das: Die ehrenamtlichen Unterstützer sind der leibhaftige Beweis, dass es Lösungen gibt. „Wir sind praktisch gelebtes HIV mit allen Höhen und Tiefen“, fasst Fuad Bruhn zusammen.

Das sieht man auch an dessen Biografie: Sein Lehramtsstudium hat der Wuppertaler vor dem zweiten Staatsexamen beendet, weil er glaubte, keine Perspektive mehr zu haben. Eine kaufmännische Ausbildung, die er parallel absolviert hatte, führte zum beruflichen Erfolg: Zuletzt arbeitete er als Personalleiter in der Automobilindustrie.

Bei Bedarf verweisen Buddys an Profis

Was die Buddys bei aller Kompetenz nicht sind: professionelle Beraterinnen und Berater. „Bei schweren psychischen Problemen, medizinischen oder sozialrechtlichen Fragen verweisen die Buddys an Aidshilfen und Ärzte“, erklärt Heike Gronski, Referentin für das Leben mit HIV bei der Deutschen AIDS-Hilfe. „In unseren Schulungen lernen sie, den Leuten bei Bedarf den Weg zu den jeweils passenden Ansprechpartnern zu zeigen. Das ist ein wichtiger Teil ihrer Aufgabe.“

Moritz’ Buddy spülte die Pillen mit Capuccino runter

Kommt der Kontakt über die Aidshilfe zustande, kann auf Wunsch auch ein Aidshilfe-Berater beim ersten Treffen dabei sein.

Moritz und Thomas trafen sich beim zweiten Mal vor Unibeginn in einem Café. Als Thomas seine Tabletten mit einem Cappuccino herunterspülte, machte Moritz große Augen. „Ich hab gedacht: Ach, so locker kann man damit umgehen?“, erinnert sich der heute 27-Jährige. „Er hat mir damit demonstriert, dass HIV normal sein kann.“

Erster Schritt zur Akzeptanz der neuen Lebenssituation

Für Moritz war das der entscheidende Schritt: „Bei mir ist damals ein Knoten geplatzt“, erinnert er sich. Das Treffen mit dem Buddy war für ihn der erste Schritt zur Akzeptanz seiner neuen Lebenssituation.

Der Bedarf für diese Art von Starthilfe scheint groß zu sein. Fuad Bruhn hat seine ersten Einsätze jedenfalls schon vor dem offiziellen Start des Projektes hinter sich. Kurz nachdem er seiner Ärztin und Aidshilfe-Mitarbeitern in Wuppertal davon erzählt hatte, erreichten ihn die ersten Anfragen.

Ein Treffen  mit einem jungen Studenten verlief bereits sehr erfolgreich: „Was ihm Mut gemacht hat, war mein Optimismus und dass er sehen konnte: Da lebt jemand seit fast 20 Jahren mit der Infektion und das anscheinend sehr gut.“

Die beiden wollen sich weiterhin treffen.

*Name geändert

Moritz‘ Geschichte in der „Wussten Sie eigentlich?“-Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe