Suizidalität bei Piloten – Aus oder Chance?

Gastartikel von einer anonymen Pilotin

In Bezugnahme auf einen Artikel vom Kinderdoc.

Ich als Ex- Pilotin, die aufgrund psychischer Probleme ihre medizinische Tauglichkeit abgegeben (!) hatte, möchte genau wegen meines Hintergrundes die gegensätzliche Perspektive beleuchten. Die Sicht eines kranken Piloten.

Die Anonymität ermöglicht Offenheit. Ich bin während meiner fliegerischen Ausbildung depressiv geworden. Später entwickelte ich eine Suizidalität, der ein Suizidversuch folgte. Ich wollte zu keinem Zeitpunkt jemand anderem schaden. Ich wollte einfach nicht mehr leben.

Die Depression hat keiner aus meinem Umfeld gemerkt. Die konnte ich erstklassig überspielen. Vor meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen und selbstverständlich auch vor dem Fliegerarzt. Und hätte ich mich nach dem Suizidversuch nicht meinem Fliegerarzt anvertraut, wäre das nie „aufgeflogen“.

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Jeder der mal an einem sportlichen Eignungstest teilgenommen hat, kennt das: Je näher, der Termin rückt, desto mehr trainiert man. Und so ist das auch bei Piloten. Vor jedem Check- up stellt man ein paar Wochen seine Ernährung um, geht wieder joggen in der Hoffnung den Lungenfunktionstest reibungslos über die Bühne zu bringen, usw. Man zeigt sich bei diesen Tests von seiner besten Seite. Selbstverständlich auch bei den psychischen Tests. Und kein Arzt dieser Welt kann mir erzählen, dass er innerhalb eines 30 minütigen Gesprächs feststellen kann, ob jemand depressiv ist, schizophren oder sonst irgendwie krank ist, wenn es nicht geradezu ins Auge springt. Und das tat es wahrscheinlich weder bei Andreas L., noch bei mir. Und dann gibt es da auch keine zu brechende Schweigepflicht. Die Lockerung der Schweigepflicht wäre ja erst sinnvoll, wenn der betroffene Fliegerarzt irgendwas merkt. Wäre das bei Andreas L. so drastisch aufgefallen, hätte er sein Medical definitiv nicht wieder bekommen. Und in ihn reinschauen kann keiner. Jetzt sowieso nicht mehr.

Im Gegensatz zu ihm, bin ich jedoch an einem entscheidenden Punkt freiwillig zu meinen Fliegerarzt, hab ihm mein Medical auf den Tisch gelegt und ihm alles erzählt. Ich hab einfach drauf los geredet und hab ihm mein Seelenleben anvertraut. Nicht weil ich ein Flugzeug mit 150 Menschen in den Boden gerammt hätte, aber weil ich mich selbst eventuell in den nächsten Strommast gejagt hätte. Die Vernunft hat gesiegt.

Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass ich wieder fliegen darf, wenn es mir besser geht. Ich hab mich gekümmert, hab mich therapieren lassen und fühlte mich wieder gut. Nach 18 Monaten stellte mir mein Therapeut endlich das Gutachten aus, das die Fliegerärzte von meiner Tauglichkeit überzeugen sollte. Abgelehnt.

Jetzt ist da ein junger Hüpfer, wie ich es war, der seine Eltern viel Geld gekostet hat und der wegen seiner Ehrlichkeit seinen Traum nicht mehr leben darf. Ein junger Hüpfer, der krank war und alles dafür getan und erreicht hat, um wieder gesund zu werden. Da sind andere, die ihre Familien ernähren müssen. Und statt, dass uns adäquat geholfen wird, belastet man uns mit existenziellen Ängsten. Ich hab die Kurve gekriegt. Ich bin inzwischen Student.

Ehrlichkeit wird bestraft und wenn man nicht ehrlich ist, wird womöglich alles schlimmer. Und dann kommt die menschliche Schwäche zum Zug: Jeder ist sich selbst der Nächste. Lieber krank fliegen und andere oder einfach sich selbst gefährden, als sich zusätzlichen Problemen, die die Grundfeste des Lebens betreffen, auszusetzen.

Aus meiner Sicht muss eine Pflichtberufsunfähigkeitsversicherung für ALLE Piloten her und zwar ab dem ersten Ausbildungstag. Und eine Anlaufstelle für sogenannte gegroundete Piloten. Eine Institution, die einen nicht mit den vollendeten Tatsachen alleine lässt, sondern Alternativprogramme mit und für den Betroffenen entwickelt.

Jetzt im Nachhinein kann ich nämlich sicher sagen: Hätte ich das gewusst, hätte ich mich NIEMALS meinem Fliegerarzt anvertraut. Der Preis für die Ehrlichkeit war zu hoch.

Allen Piloten weiterhin many happy landings, allen anderen alles Gute!

Übrigens: Mein Medical habe ich nach 3 Jahren wieder bekommen. Aber mein Studienabschluss geht für mich vor. Außerdem ist jetzt meine Lizenz verfallen. Das war´s mit der Fliegerei.

Danke Dir B. für deine Offenheit

Cheffe

Foto: Sorteando tempestades / Dodging storms von  Hernán Piñera auf flickr.com, unter einer Creative Commons-Lizenz (CC BY-SA 2.0))