„Wie die Bauern, so auch die Affen“

Die kirgisische LGBT-Community ist alarmiert: Das Parlament Kirgisistans will nach russischem Vorbild positive Äußerungen über Homosexualität unter Strafe stellen. Von Dominik Vorhölter

„Ihre Schwester dachte, sie hätte sich mit ihrem Freund verlobt und hatte Ainur (Name von der Redaktion geändert) und ihren Verlobten zu sich und ihrem Mann nach Hause eingeladen. Als sie aber erkannte, dass der ‚Verlobte‘ eine junge Frau war, verstieß sie ihre eigene Schwester.“ So das Skript eines Videos über familiäre Werte in Kirgisistan und die Situation von LGBT – Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen – in dem zentralasiatischen Land.

Ainurs Schicksal ist in der kirgisischen Gesellschaft Realität. Schwule und Lesben haben es schwer, sich in der eigenen Familie zu behaupten – und ein großer Teil der kirgisischen Gesellschaft teilt homophobe Einstellungen. Deutlich sichtbar wurde das, als vor einem Jahr die Abgeordneten des kirgisischen Parlaments eine Ergänzung des Gesetzes zum „Schutz traditioneller Familienwerte und historischer Werte der kirgisischen Gesellschaft“ zur Debatte stellte.

Verschärfte Version des russischen Gesetzes

Der Gesetzentwurf sieht vor, positive Äußerungen über Homosexualität sowie die Propagierung von Lebensmodellen, die nicht der traditionellen Familie entsprechen, unter Strafe zu stellen. Neben einem saftigen Bußgeld für juristisch Haftende würden dann sogar bis zwölf Monate Freiheitsstrafe für Privatpersonen drohen.

Kurmanbjek Dynkanbajew, stellvertretender Vorsitzender der Oppositionspartei „Respublika“, ist verheiratet und hat fünf Kinder. Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten, Torobai Zulpukarow, ebenfalls verheiratet, ist Vater von drei Kindern. Die beiden haben als Erste die homophobe Gesetzesinitiative unterzeichnet. Die Sozialdemokraten gehören zu den stärksten Kräften im kirgisischen Parlament und bilden mit der pro-russischen Partei „Ar Namys“ (= Würde) – und der Partei „Ata Meken“ (= Heimat) die Regierungskoalition.

Die Abgeordneten wollen, dass Kirgisistan dem Beispiel Moldawiens, der Ukraine und auch Russlands folgt, wo es bereits solche Gesetze gibt. Das Verbot der „Werbung“ (Propaganda) für „nichttraditionelle Beziehungen“ zeige Wirkung, heißt es in der Einführung zum Gesetzestext unter Verweis auf die „positiven“ Erfahrungen, die Russland mit seinem 2013 in Kraft getretenen Gesetz gemacht hat. Danach kann mit einer Geldstrafe belegt werden, wer sich gegenüber Minderjährigen positiv über sexuelle Vielfalt äußert, sei es in den Medien, in der Schule oder auf anderen öffentlichen Informationskanälen.

Im kirgisischen Gesetzentwurf ist allerdings nicht von Minderjährigen die Rede. Und anders als beim russischen Gesetz, das im weitesten Sinne auf die Massenmedien zielt, ist auch nicht klar, was unter „Propaganda“ genau zu verstehen ist: eine Äußerung in der Kneipe oder ein Fernsehbericht? Dafür soll die Verbreitung eines positiven Bildes von Homosexualität den Status von staatlich zensierten Informationen erhalten – sie könnte dann wie Pornografie oder Kriegshetze strafrechtlich geahndet werden.

Eine Straftat wie Pornografie oder Kriegshetze

Lilia Ten wundert sich nicht über die Kreativität der Abgeordneten. Sie arbeitet in der Werbebranche und leitet die Nichtregierungsorganisation „The Grace“. Diese NGO versucht, den engen öffentlichen Kommunikationsrahmen Kirgisistans zu nutzen, um in der Gesellschaft über die LGBT-Community zu informieren und auch über HIV und Aids aufzuklären.

„Natürlich haben sich unsere Abgeordneten ein Beispiel an der russischen Gesetzgebung genommen – getreu dem Sprichwort ‚Wie die Bauern, so auch die Affen’“, sagt Lilia Ten. „An die 90 Prozent der Menschen schauen hier russisches Fernsehen, und viele fühlen sich Russland nahe. Also ist man überzeugt, etwas Sinnvolles zu tun, indem man die Gesetze aus Russland kopiert.“

Sex ist im Grunde immer noch ein Tabu, das sich seit dem Zerfall der Sowjetunion aber gelockert hat. „Eigentlich gab es bei uns es keine Homophobie in dem Sinne, als auch niemand über Sex gesprochen hat. Das hat sich nach der Jahrtausendwende geändert. Die Homophobie ist schlimmer geworden, seit es diese Gesetzesinitiative gibt“, erklärt Ten.

„Homosexuelle zu Feinden der Gesellschaft stilisiert“

In der Tat haben die Abgeordneten dafür gesorgt, dass in Kirgisistan über Homosexualität geredet wird. Die Zahl der Medienberichte über Homosexuelle ist rasant gestiegen. Das ist freilich alles andere als positiv, denn in diesen Berichten werden sie zu Feinden der Gesellschaft stilisiert. Zugleich haben sich Jugendgruppen gegründet, die öffentliche Treffpunkte von Homosexuellen aufsuchen, um diese zu bedrohen oder einzuschüchtern. Im vergangenen Jahr hat die Gruppe „Kalys“ mit ihren Aktionen für Aufsehen gesorgt.

Die Übergriffe auf Homosexuelle haben zugenommen. Dabei greift die Polizei nicht ein – eher macht sie mit. Der NGO „Indigo Kyrgystan“ sind bereits zehn Fälle bekannt, in denen junge Homosexuelle Opfer von willkürlicher Polizeigewalt wurden. „The Grace“ versucht daher, Videos zu verbreiten, in denen erklärt wird, wie man sich gegenüber Polizisten am besten verhält. „Wir wissen, dass sich die Polizisten durch die Gesetzesinitiative im Recht sehen. Dabei sind sie es, die Unrecht begehen“, so Lilja Ten.

Wann das Gesetz in Kraft tritt, ist unklar. Die für den 26. Februar 2015 anberaumte zweite Lesung wurde verschoben. Erst nach der dritten Lesung kann ein Gesetz vom kirgisischen Parlament verabschiedet und dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Dass dieses Gesetz über kurz oder lang in Kraft tritt, daran zweifelt aber niemand.

„Wenn der Staat gegen einen ist, kann man wenig machen“

Auch Lilia Ten nicht. Sie befürchtet Folgen für ihre Arbeit: „Das Gesetz kann dazu genutzt werden, uns zum Schweigen zu bringen. Wenn der Staat gegen einen ist, kann man wenig machen.“ Trotzdem hofft sie, dass „The Grace“ auch dann noch Informationsvideos für die LGBT-Community verbreiten kann. Für diesen Zweck nutzt die NGO schon jetzt spezielle Wege. Wer sich beispielsweise für das Ainur-Video interessiert, muss persönlich vorbeikommen und es sich auf einen Mikrochip laden lassen – eine Maßnahme zum Schutz der NGO wie auch der betreffenden LGBT-Jugendlichen.

Auch Ilim Sadykow von Soros, einer Mitgliedsorganisation von AIDS Action Europe, die von HIV/Aids bedrohten Gruppen wie Drogengebrauchende, Prostituierte und LGBT rechtlich unterstützt und Aufklärungsarbeit leistet, ist überzeugt, dass das Gesetz Repressionen schüren wird: „Dieses Gesetz ermächtigt die Strafverfolgungsorgane und Behörden, LGBT-Angehörige aus der Gesellschaft zu vertreiben, und erlaubt es ihnen, ihre korrupten Spiele mit diesen Menschen zu treiben.“

Ilim Sadykow sorgt sich ebenso um die Aufklärungsarbeit. „Das Wort ‚Propaganda‘ kann von den Behörden willkürlich interpretiert werden. Keiner weiß, was der Staatsanwalt darunter versteht.“ Seine schlimmste Befürchtung: Das Propagandaverbot könnte dazu führen, dass sich Menschen aus den von HIV betroffenen Gruppen nicht mehr trauen, einen Arzt aufzusuchen, um einen HIV-Test zu machen.