Mit 20 schien Fuads Leben vorbei zu sein. Mit 39 unterstützt er im Buddy-Projekt Sprungbrett Menschen, die gerade erst von ihrer Infektion erfahren haben. Er selbst ist der beste Beweis: Mit HIV kann man leben.
Fuad Bruhn, 39, studierte Biologie, Geschichte und Philosophie auf Lehramt. Eine kaufmännische Ausbildung, die er parallel absolvierte, führte zum Erfolg: Zuletzt war er Personalleiter in der Automobilindustrie, zurzeit orientiert er sich beruflich neu. Der gebürtige Münsteraner wohnt in Wuppertal und zieht demnächst nach Köln. Er lebt in einer Beziehung.
Fuad, du bist einer der ersten Buddys, die bei Sprungbrett ausgebildet wurden. Warum bist du dabei?
Nach meiner eigenen Diagnose 1996 hätte ich gerne jemanden gehabt, der selbst positiv ist und mir mit seinen Erfahrungen hätte weiterhelfen können. So jemand möchte ich nun für Menschen sein, die heute mit der Diagnose konfrontiert werden.
1996 – das waren noch ganz andere Zeiten. Was ging dir nach deiner Diagnose durch den Kopf?
Ich habe mich gefragt: Wie lange habe ich noch? Und lohnt es sich überhaupt noch, für die Zukunft zu planen?
„Mit 30 habe ich festgestellt: Du lebst ja immer noch!“
Und deine Antwort?
Die lautete: Es lohnt sich nicht. Ich war 20 und ging davon aus, dass ich mit 30 tot sein würde. Und ich dachte, dass die verbleibenden zehn Jahre sicher furchtbar werden würden.
Wann hast du gemerkt, dass das Leben weitergeht?
Mit 30 habe ich festgestellt: Du lebst ja immer noch! Ich hatte einiges an schweren Nebenwirkungen erlebt, aber es ging mir relativ gut. Mittlerweile sind die Medikamente noch viel besser geworden, ich habe kaum noch Nebenwirkungen. Der medizinische Fortschritt war ja enorm. Aber die Ängste, mit denen Menschen bei ihrer Diagnose konfrontiert sind, haben sich interessanterweise kaum verändert. Denn die meisten haben veraltete Vorstellungen vom Leben mit HIV.
Was genau sind das für Ängste?
Angst vor dem Tod und körperlichem Verfall, Angst vor dem Ende der Karriere, Angst keine Beziehung und keine Sexualität mehr erleben zu können. Gerade die jungen Menschen glauben, dass ihr Leben im Prinzip gelaufen ist. Auch Schuldgefühle und Angst vor Ausgrenzung spielen eine große Rolle und hindern viele daran, konstruktiv mit der neuen Situation umzugehen. Die Leute glauben, dass ihre Lebensqualität dramatisch reduziert wird. Sie wissen nicht, dass man mit HIV gut leben kann.
Erstaunlich, die Medikamente gibt es schließlich schon fast 20 Jahre.
Das stimmt, aber die wenigsten Leute kennen jemanden, der ihnen beweist, dass ein erfülltes Leben mit HIV möglich ist!
Das ändert sich durch einen Buddy.
Genau. Im persönlichen Kontakt können wir zeigen: Wir sind HIV-positiv wie du, teilweise schon lange, und wir stehen mitten im Leben. Wir sind quasi gelebtes HIV mit allen Höhen und Tiefen (lacht).
„Wir sind quasi gelebtes HIV mit allen Höhen und Tiefen“
Eure Aufgabe besteht darin, ein Beispiel zu geben?
Genau, ein lebendiges Beispiel. Wir Buddys können vermitteln: Es ist okay, wenn jetzt mal für ein paar Wochen die Welt untergeht. So war das bei mir damals auch. Aber das Leben geht weiter, und du bist nicht von heute auf morgen jemand völlig anderes. Und es liegt jetzt an dir, wie du mit der Situation umgehst.
Und wenn die Menschen blockiert sind, zum Beispiel durch Schuldgefühle?
Ich versuche immer, gemeinsam mit den Leuten zukunftsorientiert zu denken. Was ist wichtig für die Zukunft? Was haben sie vor sich? Was hilft? Dann kommt man schnell darauf, dass einen die Schuldfrage nicht weiterbringt, sondern nur runterzieht. Hilfreich ist, sich auf sich selbst zu konzentrieren und sich Gutes zu tun.
Was für Fragen stellen sich Menschen mit einer frischen HIV-Diagnose noch?
Im Wesentlichen sind es immer die gleichen Fragen: Wie sage ich es meinen Eltern und meinen Freunden? Was mache ich bei der Arbeit? Kann ich noch eine neue Partnerschaft eingehen oder eine Familie gründen?
Du hast schon vor dem offiziellen Start von Sprungbrett zwei Einsätze gehabt. Wie kam es dazu?
Ich hab meine Ärztin und die Mitarbeiter der AIDS-Hilfe Wuppertal informiert, dass ich die Buddy-Ausbildung gemacht habe. Die waren sehr dankbar, weil sie immer wieder vor der Frage stehen, was sie Menschen mit einer frischen Diagnose anbieten können.
„Man sucht nach Menschen, die im selben Boot sitzen“
Aber die haben doch selbst Beratungskompetenz?
Man sucht in so einer Situation vor allem nach Menschen, die Ähnliches erlebt haben und im selben Boot sitzen. Das können professionelle Berater und Sozialarbeiter meist nicht leisten. Und nicht jeder möchte gleich in eine Selbsthilfegruppe gehen.
Wie lief der erste Einsatz?
Das war ein junger Student. Wir haben uns in einer ruhigen Ecke in einem Café getroffen. Er hat sich unter anderem Sorgen um seine berufliche Zukunft gemacht. Das kenne ich selbst sehr gut: Bei meinem Lehramtsstudium hab ich damals gedacht: Bevor ich Beamter werde, gibt es eine Gesundheitsuntersuchung, dann bist du draußen. Deswegen – und weil ich dachte, ich habe nicht mehr lange zu leben – hab ich das zweite Staatsexamen gar nicht mehr gemacht.
Wie hast du dem jungen Mann helfen können?
Was ihm Mut gemacht hat, war mein Optimismus und dass er sehen konnte: Da lebt jemand seit 19 Jahren mit der Infektion, und das anscheinend sehr gut.
Viele HIV-Positive haben anfangs Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität. Habt ihr auch über dieses Thema gesprochen?
Der junge Mann hatte gerade jemanden kennengelernt und wollte wissen, wann er es ihm sagen sollte. Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Ich selbst hab das Thema immer möglichst schnell angesprochen. Da HIV über Sex übertragen wird, ist Sexualität oft ein totales Angst- und Tabuthema. Da kann es helfen, wenn ich von meinen Erfahrungen erzähle.
„Ich hatte Angst, dass ich wegen HIV keinen Partner mehr finden würde“
Wie war es denn bei dir am Anfang?
Ich lebte damals in einer Beziehung mit einem Mann, der auch HIV-positiv war – da brauchte ich mir also keine Sorgen zu machen. Nach der Trennung von ihm hatte ich Angst, dass ich wegen HIV keinen Partner mehr finden würde. Das entsprach aber überhaupt nicht den Tatsachen – ich hatte danach eine längere Beziehung mit einem HIV-negativen Mann.
War das schwierig?
Für mich gab es noch eine gewisse Unsicherheit, auch wenn ich wusste, dass ich HIV aufgrund meiner gut wirksamen Medikamente nicht mehr übertragen kann. Ich hatte einfach Angst, ihn zu gefährden. Er hatte aber überhaupt kein Problem damit, dass ich positiv bin, das war kein Thema für ihn. Das war sehr erleichternd!
Und in deiner jetzigen Beziehung?
Ich habe meinen jetzigen Freund in der Ausbildung zum Buddy kennengelernt. Insofern gibt’s da kein Problem mit HIV (lacht).
Wie ging es dir eigentlich nach deinem ersten Einsatz als Buddy? Da werden doch bestimmt auch Erinnerungen wach.
Ich bin sehr nachdenklich nach Hause gegangen und habe in den folgenden Tagen immer wieder an Augenblicke meiner eigenen Geschichte gedacht.
„Wir legen viel Wert darauf, dass die Buddys mit sich im Reinen sind“
Bist du zurückgeworfen worden auf schmerzhafte Erlebnisse?
Nein. Zurückgeworfen werden kann man nur, wenn man die eigene Infektion noch nicht verarbeitet hat. Bei Sprungbrett legen wir sehr viel Wert darauf, dass die Buddys mit sich und ihrer Geschichte im Reinen sind. Aber natürlich tragen wir alle Erinnerungen mit uns herum, die wachgerufen werden können.
Menschen in einer Lebenskrise beizustehen kann auch leicht zur Überforderung werden. Was macht ihr eigentlich, wenn jemand bei euch Hilfe sucht, der total gelähmt oder panisch ist?
Bei psychischen Problemen oder anderem Beratungsbedarf verweisen wir natürlich an geeignete Fachleute. Wir alle wissen sehr genau, wo unsere Kompetenz endet. Es war ein wichtiger Teil unserer Ausbildung, Brücken zu den professionellen Angeboten zu bauen, zum Beispiel in die Aidshilfen.
Menschen sind verschieden. Gibt’s für jeden den passenden Buddy?
Ich sage immer: Das Leben mit HIV ist bunt. Also sind auch die Buddys ein kunterbunter Haufen. Das Spektrum reicht von jung bis alt, von langzeitpositiv bis zu Leuten, die gerade seit einem Jahr die Diagnose haben, es sind Menschen mit und ohne Therapie darunter.
Erlebst du es als erfüllend, Menschen beizustehen?
Als erfüllend kann ich es wahrscheinlich in anderthalb Jahren beschreiben. Vorerst weiß ich: Wir haben da ein einmaliges Projekt gestartet. Wir haben die Chance, Menschen emotional aufzufangen. Was viele von uns selbst gerne gehabt hätten, können wir jetzt anbieten. Jetzt geht es darum, dieses Konzept mit Leben zu füllen.
Interview von Holger Wicht
„Starthilfe fürs Leben mit HIV“ – Vorstellung des Buddy-Projekts auf magazin.hiv