…die Frage der Fragen, ausführlich beantwortet:
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Der Autor: strappato
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Stationäre Aufnahme? Da werden die schweren Fälle hin überwiesen. Das Gesundheitswesen und die Pharmaindustrie gehören dazu.
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Gastautor seit 26. November 2007: hockeystick.
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Ich freue mich &uum…
Reformbegeisterung bei der Bevölkerung
In unserem Nachbarland Österreich fordern laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts “Oekonsult” 91% der Bürger eine Gesundheitsreform. Angesicht der deutschen Erfahrungen mit ja nach Zählweise ein Dutzend und mehr Reformen im Gesundheitswesen, mag das recht naiv klingen. Man könnte daher meinen, die Deutschen hätten von Reformen, die in weiteren Kosten für die Patienten und Einschränkung der Versorgung enden, die Nase voll.
Dem ist nicht so. Wenn man der gestern vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) vorgestellen Emnid-Befragung glauben schenken darf, sprechen sich 62% der Bundesbürger weiterhin hartnäckig für Reformen im Gesundheitswesen aus. 70% gehen sogar davon aus, dass es ihnen persönlich nützt, obwohl die Zufriedenheit gross ist und das gegenwärtige medizinische Versorgungsniveau für gut empfunden wird.
Sieht nach dem Beweis aus, dass die tägliche PR der Interessensgruppen Wirkung zeigt, die jeweils für ihre Gruppe ein Horrorszenario entwerfen und den Versicherten klar machen, dass sie mit ihnen im Boot sässen. Gemeinsam ist den Pharmaunternehmen, Ärzten, Kliniken, und anderen der Ruf nach mehr Geld. Ohne Anstieg der Ausgaben sei der Forschritt nicht finanzierbar und das gegewärtige Versorgungsniveau nicht zu halten. Das Ergebnis überzeugt:
- 58% der Befragten sehen die Interessen der Patienten nicht in ausreichendem Masse im deutschen Gesundheitssystem berücksichtig
- 46% der Bevölkerung hält eine Leistungsbeschränkung der GKV für richtig
- 46% der Bundesbürger hält den Anspruch, allen Patienten die notwendige Behandlung zukommen zu lassen, für richtig, aber nicht bezahlbar
- 63% der Bevölkerung fordert mehr Wettbewerb
Der Boden für einen marktradikalen Umbau des Gesundheitssystems scheint bereitet zu sein.
Risiken und Nebenwirkungen des Pillenmarketings
In der Schweiz untersucht die Arzneimittelaufsichtsbehörde (Swissmedic) Daten und Studien sowie zu Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Antibabypillen. Auslöser war der Fall einer 16-jährigen Schweizerin aus Schaffhausen, die seit der Einnahme des Verhütungsmittels Yasmin® des Hersteller Bayer schwer behindert ist, nicht mehr sprechen kann und künstlich ernährt werden muss. In der Schweiz sind seit 1990 mindestens fünf Frauen verstorben, nachdem sie mit fünf gängigen Präparaten hormonell verhütet hatten.
Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte, dass für Yasmin® Meldungen eingangen seien zu “sieben Todesfällen im Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels Yasmin oder Wirkstoffkombination von Yasmin”. Einer dieser Fälle beziehe sich auf den Tod eines Embryos in der sechsten Schwangerschaftswoche bei einer Frau, die unter Yasmin schwanger wurde. Das BfArM sieht jedoch keinen Anlasse für neue Untersuchungen.
Yasmin® ist eine echter Blockbuster und Umsatzgarant für das Unternehmen. Die Produktfamilie um die Antibabypille war 2008 die stärkste Medikamentengruppe des Pharmageschäfts von Bayer. Im ersten Quartal erzielte der Konzern damit einen Umsatz von 319 Millionen Euro, ein Plus von 7,4 Prozent binnen Jahresfrist. Umso härter trifft das absehbare Ende des Booms. Den Informationen des Tagesspiegels zufolge will der Konzern in diesem Jahr jetzt nicht mehr wie noch zu Beginn des Jahres vorgesehen 240 Millionen Verpackungseinheiten in Berlin produzieren, sondern nur noch 180 Millionen, also ein Viertel weniger.
In den Fokus gerät dabei auch die Marketing-Strategie, die auf den “Zusatznutzen” der oralen Kontrazeptiva zielt. Schönere Haut, keine Gewichtszunahme durch das Gestagen Drospirenon, Linderung von PMS-Beschwerden, bis hin zum “Verlegen” der Periode. Die Verhütung gerät zur Nebensache.
Auch bei der neuen Pille Qlaira® zielt Bayer auf den Lebensstil und nicht auf die einzig zugelassene Indikation, der oralen Kontrazeption.
In den USA ist die FDA aufmerksam, wenn Pharmaunternehmen ihre Produkte mit irreführenden und überzogenen Aussagen bewerben, die nicht mit der Zulassung gedeckt sind. Das musste im Oktober 2008 Bayer für die Pille Yaz® erfahren. Das Unternehmen erhielt von der FDA einen Warnbrief, in dem zwei TV-Spots angemahnt wurden, in denen die Indikation der Pille erweitert, die Effektivität übertrieben und ernsthafte Risiken für Nebenwirkungen bagatellisiert worden waren.
In Europa dagegen verschliessen die Behörden die Augen, weil nicht sein kann, was nicht darf. Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist auf Fachkreise beschränkt. Obwohl gerade im Internet die Pharmaunternehmen immer dreister die Grenze zwischen erlaubter Information über Erkrankungen und verbotener Werbung für Arzneimittel zur Therapie dieser zu ihren Gunsten verschieben.
Nicht unerwartet daher das Statement des Leiters der Abteilung Pharmakovigilanz beim BfArM zu dem Lifestyle-Marketing für Antibabypillen, das die unbefriedigende rechtliche Situation bei der Medikamentenwerbung auf den Punkt bringt:
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Update
Hier ist einer der abgemahnten Spots:
Die Musik, ein Scandal Cover, liefert “The Veronicas”, ein angesagtes australisches Sänger- und Songwriter-Duo. Bayer hat sich schon 2005 die Zusamenarbeit mit der damals nur Australien bekannten Band gesichert.
Die Pharmaindustrie als Musikmanager. Auch mit Hilfe der Commercials haben die Veronicas den Durchbruch in den USA geschafft.
Der Lifestyle-Charakter der Medikamentenwerbung wird im Vergleich mit dem Spot aus dem Jahr zuvor deutlich.