“Die Achse des Süßen” lautet der Titel meines Radio-Features, das die Stiftung Gesundheit in diesem Jahr mit dem Publizistikpreis ausgezeichnet hat. Ich freue mich sehr, dass die Jury mit der Wahl dieser Sendung ein Thema würdigt, das kaum jemanden unberührt lässt. Als ich im Freundes- und Kollegenkreis erzählte, dass ich an einem Feature über Zucker arbeitete, kamen heftige Reaktionen. Die einen ereiferten sich über die versteckten Zucker im Brot und im Rotkohlglas, die anderen beklagten die Verteufelung eines doch für unser Gehirn angeblich so wichtigen Lebensmittels. Nun, wer hat Recht? Übertreiben Professoren und Buchautoren, die Zuckersucht mit Kokainabhängigkeit vergleichen? Oder bagatellisieren zum Beispiel die Vertreter der Zuckerwirtschaft die Gefahren, wenn sie behaupten, Zucker sei doch ein Naturprodukt und sein Verzehr wirke sich nachweislich nicht auf die Gesundheit aus?
Eine eindeutige Antwort gebe ich in meinem Feature nicht. Es wäre naiv zu glauben, dass man diese Frage in einer Stunde ausreichend beantworten könnte. Deshalb habe ich den Blick auf die Kulturgeschichte des Zuckers gerichtet. Auf die Zusammenhänge zum Beispiel zwischen bestimmten Macht- und Profitinteressen und dem stets wachsenden Konsum. Ich bin unter anderem der Frage nachgegangen, wer im Laufe der Geschichte von der Massenherstellung des raffinierten Zuckers profitiert hat und wer auf der Verliererseite stand. Das sind und waren nicht nur kariöse und adipöse Kinder und Könige, sondern es waren vor allem die unzähligen Sklaven, die auf den Zuckerrohrplantagen in der Karibik im wahrsten Sinne des Wortes verheizt wurden.
Bis heute arbeiten Kindersklaven in der Zuckerherstellung, natürlich nicht bei uns. Aber die globalisierten Märkte sind undurchsichtig und es lässt sich schwer nachvollziehen, wo der Zucker genau herkommt, der so weiß und verheißungsvoll in unseren Cappuccino rieselt. Wer profitiert heute vom hohen Zuckerkonsum? Ist es zynisch zu behaupten, dass die Pharmaindustrie an der zunehmenden Diabetes kräftig verdient? Es gibt Experten, die das tun.
Der Titel “Die Achse des Süßen” spielt auf den Titel eines Kongresses an. “Die Achse des Bösen” hieß eine Fachtagung über den Zusammenhang von Zuckerkonsum und Krebs. Ich habe mit meinem Titel “Achse des Süßen” aber auch an den dünnen Holzstab gedacht, um den sich wie durch Zauberei die Zuckerwatte spinnt. Denn auch das ist Zucker: ein Verwandlungskünstler, ein Genussmittel. Ein Hörgenuss sollte auch mein Feature werden, denn das ist die Ambition der Sendung FREISTIL im Deutschlandfunk: die Kombination von Radiokunst und kritischem Journalismus. Der Schweizer Gesundheitsökonom Dr. Gerhard Kocher hat einmal gesagt: “Pressefreiheit nützt nur, wenn es unbequeme Journalisten gibt.” Ich danke der Stiftung Gesundheit, dass sie uns mit ihrem Publizistikpreis ermutigt, den unbequemeren Weg zu gehen.
Das Radio-Feature können Sie über die Website der Stiftung Gesundheit anhören und nachlesen: https://www.stiftung-gesundheit.de/publizistik-preis/preis-2015-klausmann.htm