Ich nehme nicht gerne Tabletten!

Die gut angezogene, ältere Frau Noble, die mir bisher nur als Kosmetikkundin aufgefallen ist, kommt am späteren Vormittag in die Apotheke: „Messen Sie auch den Blutdruck?“

Pharmama: „Ja. Das kostet …“

Frau Noble: „Okay – Und Blutzucker?“

Pharmama: „Machen wir auch, dafür sollte man aber nüchtern sein, also über 8 Stunden nichts gegessen und …“

Frau Noble: „Ich bin nüchtern.“

Pharmama: „Gut – dann kann ich Ihnen das gleich messen?“

Frau Noble: „Ja, bitte.“

Im Beratungsraum. Ich mache erst den Blutzucker, damit sie dann für die Blutdruckmessung schon ein paar Minuten gesessen ist.

Pharmama: „Ihr Blutzucker ist 10,7 – das ist hoch, vor allem, wenn Sie wirklich nichts gegessen haben.“

Frau Noble: „Habe ich nicht.“

Pharmama: „Okay – er ist zu hoch. Da wäre es nötig etwas zu machen. Haben Sie einen Hausarzt?“

Frau Noble: „Ja, habe ich. Ich mag aber keine Medikamente nehmen.“

Pharmama: „Das wäre bei dem Blutzucker aber wichtig.“

Ich erkläre ihr was für einen Effekt ein zu hoher Blutzucker auf ihre Gesundheit hat.

Sie ist immer noch in Abwehrhaltung.

Pharmama: „Messen wir doch mal den Blutdruck.“

Der ist auf 201/90.

Pharmama:“Ihr Blutdruck ist auch viel zu hoch.“

Frau Noble: „Das sagt der Arzt auch, bei dem ich gerade war.“

… (Aha?)

„Ich habe es nur nicht geglaubt, Ich wollte mir noch eine zweite Messung einholen.“

Pharmama: „Nun – ich denke, sie können es ihm nach der Messung jetzt wirklich glauben. Ihr Blutdruck und ihr Blutzucker sind zu hoch. So hoch, dass man etwas machen muss.“

Sie will diskutieren: „Früher, da hat man das alles nicht gemessen!“

Pharmama: „Ja, das ist richtig. Man wusste früher aber auch einiges nicht, was man heute weiss – auch das Wissen in der Medizin macht Fortschritte. Man weiss heute, dass zu hoher Blutzucker und zu hoher Blutdruck sehr schädlich sind für die Gesundheit und man, wenn man das behandelt vielen Schäden vorbeugt.“

Frau Noble (abwertend): „Was kann da schon passieren?“

Pharmama: „Ehrlich? Sie bekommen eher einen Schlaganfall oder ein Herzinfarkt, wenn Sie da nichts machen.“

Frau Noble: „Aber die Messgeräte – die zeigen auch nicht immer das selbe an, das sehe ich auch an meinem. Wie genau sind die schon?“

Pharmama: „Die dürfen gewisse Abweichungen haben, aber, schauen sie – das Blutdruckmessgerät: wenn das +/- 5 mm anzeigen darf vom „richtigen Wert“ – egal, ob sie 206 oder 196 systolischen Blutdruck haben – das ist beides immer noch viel zu hoch.“

Frau Noble: “Und ich habe gelesen, dass die Pharmafirmen die Vorgaben, immer weiter nach unten anpassen, damit sie mehr Medikamente verkaufen können!“

Pharmama: „Das stimmt nur bedingt. Sehen Sie, wir wissen, dass ein hoher Blutdruck schadet und man damit früher stirbt, speziell an Schläglein und Infarkten. Also will man einen normalen Blutdruck. Was ist ein normaler Blutdruck? Für einen gesunden Menschen im mittleren Alter ist das um die 120/90. Ab wann würden sie dagen ist der Blutdruck zu hoch? 123 wohl noch nicht. 130 auch nicht 140? 150? Jetzt kommen wir in die Zone, wo es für den Körper unangenehm wird, wenn das langfristig hoch ist. Mit 200 … da sind sie weit drüber. Da müssen sie etwas machen. Wir müssen ihn nicht auf die 120 herunter bringen, aber unter 140 wäre ein erstrebenswertes Ziel – Und dafür müssen Sie Medikamente nehmen.“

Ich warte.

Sie zückt ein Rezept.

AHA!

Auf dem Rezept: Metformin Tabletten und Atorvastatin Tabletten.

Pharmama: „Oh: das ist gut! Das ist das, was sie brauchen.“

Frau Noble: „Ich nehme nicht gerne Tabletten.“

Pharmama: „Das verstehe ich. Das mache ich auch nur, wenn es nötig ist. Bei ihnen ist es nötig.“

Aber … auf dem Rezept fehlt in meinen Augen ein Blutdruckmittel.

Pharmama: „Ich finde, sie sollten unbedingt auch etwas für den Blutdruck haben.“

Frau Noble: „Steht denn da nichts auf dem Rezept?“

Pharmama: „Nein – etwas gegen den Blutzucker und ein Cholesterinsenker … wenn es okay für sie ist, würde ich gerne den Arzt anrufen und ihn fragen, ob er auch ein Blutdruckmedikament aufschreibt.“

Frau Noble: „Hmmm …. Na gut.“ willigt sie eher widerstrebend ein.

Also verlasse ich den Beratungsraum und laufe zum Telefon.

Da ruft sie mir quer durch die Apotheke hinterher: „ABER SAGEN SIE DEM ARZT NICHT, WAS SIE BEI MIR GEMESSEN HABEN!!“

Ach neee … und wie mache ich das jetzt?

Vielleicht so. Ich rufe dem Arzt an.

„Guten Tag Herr Doktor, ich habe gerade Frau Noble bei mir in der Apotheke. Sie hat mir ein Rezept gebracht für Metformin und Atorvastatin – sie hat aber auch einen hohen Blutdruck … sollte da nicht noch ein Blutdruckmedikament auf dem Rezept stehen?“

Doktor: „Oh – sie löst das Rezept tatsächlich ein? Das ist gut. Nein, ich weiss, dass sie einen zu hohen Blutdruck hat … aber Frau …. ist ziemlich incompliant ..” (bedeutet: sie befolgt die Arztanweisungen nicht und nimmt ihre Medikamente nicht richtig)

Pharmama: „Jaaa, das habe ich gemerkt“

Doktor: “… Sie soll erst mal diese Medikamente so nehmen, wie ich es aufgeschrieben habe – und sie hat nächste Woche einen Termin, dann sehen wir weiter.“

Das ist schon mal nicht schlecht, aber mit einem Blutdruck über 200 – da mache ich noch einen Versuch:

Pharmama: „Das sage ich ihr so – aber … ihr Blutdruck IST wirklich hoch.“

(Noch deutlicher kann ich nicht werden, wenn ich ihm nicht sagen darf, dass ich ihn gemessen habe)-

Doktor: „Ja, ich weiss – aber sie hat zu Hause ein Messgerät, sie soll diese Woche noch selber messen und die Daten eintragen und mitnehmen.“

Je nun – ich hab’s wirklich versucht.

Ich gebe der Frau Noble neben den Medikamenten noch einen Blutdruckpass mit – auf dem geschrieben steht, was denn die Werte sein sollen. Erinnere sie noch einmal daran, wie wichtig es ist, die Medikamente zu nehmen (auch wenn sie das nicht gerne nimmt) und hoffe das Beste für die Zukunft.

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