Stars in der Manege

Vor 30 Jahren fand in Berlin Deutschlands erstes Aids-Benefiz statt. Mit einem Aufgebot an Stars wurde Geld für die Aidshilfe gesammelt und damit das erste Safer-Sex-Plakat finanziert.

Rund um den Reichstag und entlang des Mauerstreifens herrschte am 17. Juni 1985 die bereits gewohnte Betriebsamkeit. Nach den Mahnwachen und Feierstunden anlässlich des Staatfeiertages bevölkerten die Touristen das Areal am Spreebogen, die das lange Wochenende für einen Kurztrip zur Insel West-Berlin nutzten.

Aber auch wenige hundert Meter davon entfernt, dort, wo man später das neue Kanzleramt errichtete, strömten am Abend Menschenmassen zusammen. Das Tempodrom, ein zum alternativen Veranstaltungsort umfunktioniertes Zirkuszelt, war heillos überfüllt. Das Publikum, so erinnern sich Zeitzeugen, war eine wilde Mischung aus Schwulenszene und Sympathisanten sowie Menschen aus der „bürgerlichen Mitte“.

Die hatte wohl vor allem das Aufgebot an Stars aus Film, Funk und Fernsehen und weniger die Solidarität mit Homosexuellen oder gar mit HIV-Positiven an diesen Ort gebracht. Denn angekündigt waren unter anderen Inge Meysel, die amtierende Mutter der Nation, TV-Moderator Alfred Biolek und die Liedermacher Wolf Biermann, Konstantin Wecker, Klaus Hoffmann und André Heller als auch Rockmusiker wie Herbert Grönemeyer und Ina Deter.

Ein Aufgebot an Stars aus Film, Funk und Fernsehen

Sie alle waren gekommen, um Spenden für die noch im Aufbau befindliche Deutsche AIDS-Hilfe zu sammeln. Zwar hatte es zu Jahresbeginn bereits erste Kontakte mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gegeben, allerdings war noch kein Geld für die Präventionsarbeit geflossen. Doch Aufklärung war dringend notwendig.

Alfred Biolek und Inge Meysel

Alfred Biolek und Inge Meysel

Ob dieser Abend unter der Zirkuskuppel auch dazu dienen sollte, darüber war man sich in der Vorbereitung uneins, wie Rosa von Praunheim erzählt. Er hatte das Event mit der von ihm gegründeten „Aktionsgruppe AIDS“ maßgeblich mitinitiiert und befreundete Künstlerinnen wie Lotti Huber, Katja Ebstein und Evelyn Künnecke als Showgäste dazu eingeladen. Die Kontakte zu den prominenten Sängerinnen und Sängern hatte eine Musikmanagerin hergestellt.

„Ich war damals von einem langen New-York-Aufenthalt zurückgekommen. Dort hatte ich zum einen gesehen, welche verheerenden Folgen die Epidemie in den USA bereits hatte, aber auch, wie programmatisch die Amerikaner darauf reagierten: mit Wut und politischem Engagement – und auch mit ganz handfesten Safer-Sex-Kampagnen. Das hatte mir sehr imponiert“, erinnert sich Praunheim.

Dass auf der Tempodrom-Bühne nicht nur Künstler ihre Solidarität zum Ausdruck brachten, sondern auch das damals noch spärliche Wissen zu den Infektionsrisiken und die Lebenssituation der Infizierten zum Thema wurden, fanden offenbar nicht alle Beteiligten richtig. „Manchen schwebte eher eine Wohlfühlveranstaltung vor und sie hatten Angst, damit die Leute zu verschrecken“, sagt Praunheim. „Mir war aber wichtig, dass auch Ärzte und die frisch gegründeten Positivengruppen eingeladen waren.“ Letztlich wurde im Tempodrom gesungen und getanzt wie auch Auskunft über den Forschungsstand gegeben, so etwa von Prof. Dr. Ulrich Bienzle vom Landestropeninstitut oder Sexualwissenschaftler Erwin J. Haeberle.

Und: Einige HIV-Infizierte und Aidserkrankte hatten den Mut, offen und vor großem Auditorium über ihre Situation zu sprechen – damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Selbst einige positive Aidshilfe-Mitarbeiter verschwiegen aus Angst vor negativen Folgen in der Öffentlichkeit ihren HIV-Status.

Geld fürs erste Safer-Sex-Plakat

Als am Ende dieses langen Abends Kassensturz gemacht wurde, konnten rund 30.000 D-Mark aufs Konto der Deutschen AIDS-Hilfe überwiesen werden. Der Erlös wurde vor allem für die Produktion des ersten DAH-Präventionsplakats „Sicher besser – Safer Sex“ verwendet. Die beiden dekorativen Männertorsi hingen nicht nur in so ziemlich jeder Homobar und Szene-Einrichtung zwischen Rosenheim und Westerland, sie wurden auch unmittelbar nach der Veröffentlichung von der britischen Aidsorganisation Terrence Higgins Trust und den Pariser Kollegen von AIDES übernommen.

In dieser Hinsicht war das erste Aids-Benefiz ein außerordentlicher Erfolg. Zugleich zeigte sich an diesem Abend aber auch, welche Unsicherheiten es im öffentlichen Diskurs noch gab. Die Presseaktionen beispielsweise waren ungeachtet der prominenten Beteiligung und des Neuigkeitsfaktors überschaubar und spärlich. Der Berliner „Tagesspiegel“ widmete dem Ereignis lediglich wenige Zeilen, die Blätter des Springer-Verlags reagierten mit völliger Nichtbeachtung.

Prof. Dr. Ulrich Bienzle und Lea Rosh

Prof. Dr. Ulrich Bienzle und Lea Rosh

Ob es daran lag, dass Aids zu jenem Zeitpunkt vor allem als ein Problem der Homosexuellen gesehen wurde? Prominente Schwule, mal abgesehen von Gastgeber Rosa von Praunheim, waren auf der Bühne nicht zu finden. Das kritisierte in einem Nachbericht auch der Journalist Matthias Frings. Die Showmaxime lautet: Heteros für Homos. Schwule laden sich Heteros ein, um ein bisschen Glanz abzubekommen.“ Aber, so Frings in seinem Aufsatz in „AIDS – Die Lust an der Seuche“: „Der Glanz ist nur geliehen für die Dauer einer Abendunterhaltung.“

Es ist letztlich ein Hetero, der dieses Manko zur Sprache bringt. Solange sich schwule Fernsehstars nicht öffentlich machen, so der Musiker Herbert Grönemeyer, werde sich in der Gesellschaft und an der Situation von Homosexuellen nichts ändern. Dass er mit dieser Bemerkung auf Alfred Biolek anspielte, war womöglich nicht allen Zuschauern, aber sicherlich den meisten der versammelten Stars klar. Moderatorin Lea Rosh versuchte das Outing jedoch zu verhindern und rettete die Situation, indem sie die Bemerkung scherzhaft auf sich bezog. Geoutet wurde Biolek dann sechs Jahre später schließlich doch noch, durch Rosa von Praunheim. Als einen „Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise“ begründete er die Aktion später.

Das Publikum reagierte mit Pfiffen und Buhrufen

Wie schwierig das Verhältnis der Schwulen und der Mehrheitsgesellschaft in den Zeiten der Aidskrise war, zeigte sich auch bei einem anderen Auftritt an diesem legendären Benefizabend. Ein Kabarettist des Berliner Ensembles Die 3 Tornados hatte es als Einziger gewagt, das schizophrene Verhalten der Schwulenszene im Umgang mit Aids zu thematisieren: im Fummel, und wie es sich für die Anarchotruppe gehörte, derb und direkt auf den Punkt gebracht. Das Publikum reagierte mit Pfiffen und Buhrufen. Der Auftritt musste abgebrochen werden.

Der „Spiegel“, seinerzeit alles andere als ein homosexuellenfreundliches Magazin, hatte die Veranstaltung allerdings ganz anders wahrgenommen und schrieb von einer „lustvollen Stimmung“, die in den Rängen des Tempodrom geherrscht habe, „insbesondere dann, wenn die Rede auf den ‚Analverkehr’ oder, präziser noch, auf den ‚tödlich gefährlichen Arschfick‘ kam“.