Ein Safer-Sex-Handbuch für alle Geschlechter, sexuellen Orientierungen und Lebensweisen gibt in leicht verständlicher Sprache Ratschläge und Tipps, wie man sexuell übertragbare Infektionen (STIs) vermeiden kann.
Okay, mag man denken: Noch eine Präventionsbroschüre, als gäbe es nicht schon reichlich davon, etwa von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) oder der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH). Das erste große Kapitel, in dem die Leser_innen aufgefordert werden, sich ihrer sexuellen Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben bewusst zu werden, könnte so oder ähnlich tatsächlich auch anderswo veröffentlicht worden sein.
„Vagina, Muschi, Yoni, Neo-Vulva, Penis, Dick(clit), Klitpen, Pimmel, Po“
Auf Seite 14 spätestens („Wie kann ich mich vor STIs schützen?“) werden viele dann allerdings über eine in diesem Zusammenhang sicherlich ungewohnte wie einmalige Aufzählung stolpern: „Wie schütze ich meine Vulva, Möse, Vagina, Muschi, Scheide, Yoni, Neo-Vulva, meinen Penis, Dick(clit), Schwanz, Cock, Klitpen, Pimmel, Po, Arsch?“
Mit „Safer Sex – und wie machst du das so?“ möchte die Berliner Sexualpädagogin Daniela Stegemann eine Lücke füllen und nicht viel weniger als ein Handbuch liefern, „das sich an erwachsene Menschen aller Geschlechter und aller sexuellen Orientierungen und Lebensweisen richtet“, egal ob „Frau, Mann, Inter*, cis, trans* oder non-binary, ob hetero, lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell, queer oder undefiniert“.
In ihrer Arbeit in sexualpädagogischen, queeren, feministischen und anderen Bildungskontexten habe sie immer wieder mit Menschen zu tun, die nicht nur ausschließlich hetero- oder homosexuellen Sex haben, sondern auch mit Trans*menschen, die sich in den vorhandenen Präventionsmaterialien nicht wiederfinden, erklärt die Sexualpädagogin und Trainerin für Diversity und Inklusion.
Mensch kann sich informieren, ohne sich erst zuordnen zu müssen
„Ich dachte: Menschen haben Sex mit Menschen! Warum kann das nicht ein Ansatz für alle sein? Es ist doch blöd, wenn Menschen sich erst in Bezug auf Geschlecht und sexuelle Orientierung zuordnen müssen, um dann die passende Information zu bekommen.“ Sie legt deshalb den Fokus nicht auf sexuelle Praktiken oder einzelne STIs, sondern auf die Körperteile oder Flüssigkeiten, die bei der Übertragung von Erregern, Viren und Bakterien eine Rolle spielen.
Einige Unterkapitel widmen sich daher beispielsweise den Fingern und Händen. Die Informationen reichen von der Handpflege („Vorsicht bei künstlichen Nägeln, denn hier sammeln sich gerne Bakterien“) bis hin zu Schutzutensilien wie Einmalhandschuhe und Fingerlinge. Andere Seiten wiederum machen Mund, Lippen und Zunge zum Thema – und folglich auch „Dental Dams“, also Lecktücher, oder Verletzungen im Mund durch Zahnseide und Zähneputzen – oder gehen auf Vagina, Penis und Hintern oder Sexspielzeug ein.
Informationen darüber, welche Infektionen jeweils übertragen werden können und wie hoch das Risiko dabei ist, wird man allerdings vergeblich suchen. Vielmehr versucht das Handbuch, eine möglichst zusammenfassende Beschreibung der Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten zu liefern.
Ihr gehe es vor allem darum, das Prinzip der Übertragungswege verständlich zu machen und darzulegen, was Eintritts- und Austrittspforten sein können, erklärt Daniela Stegemann. In ihrer Arbeit als Sexualpädagogin sei ihr nämlich immer wieder aufgefallen, dass keineswegs nur Jugendlichen diese grundlegenden Abläufe unverständlich sind.
Im Fokus sind Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten
Stegemanns Herangehensweise wird erfahrene Präventionist_innen sicherlich irritieren. Der Autorin ist auch bewusst, dass man darin sogar eine Schwäche des Handbuchs sehen könnte. Sie habe allerdings auch schon erlebt, dass manche es toll finden, dass hier gerade nicht auf Krankheiten fokussiert wird, sondern den Leser_innen vielfältige Ideen des Infektionsschutzes aufgezeigt werden, „ohne dass sie sich moralisch positioniert fühlen, weil alles offen ist und nicht bewertet wird“.
Kritischen Einwänden begegnet Daniela Stegemann daher gelassen. Wie sie es sieht, ersetzt ihr Handbuch keineswegs andere Aufklärungsmaterialien wie etwa jene der DAH oder BZgA. Vielmehr solle man es als eine Ergänzung sehen, in der Menschen „vielleicht etwas finden, was sie woanders vermissen“.
Finanziert hat Daniela Stegemann das von Andrea Rick illustrierte Handbuch übrigens via Crowdfunding. 163 Unterstützer_innen brachten die rund 4.500 Euro zusammen, die für die Produktion benötigt wurden. Das Handbuch kann nun gegen eine Schutzgebühr von einem Euro über die Webseite der Autorin bestellt werden.