Für ein wirkliches Miteinander

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Wir alle sind Menschen. Das scheint ein banaler Ausdruck und die meisten werden sagen: Ja, natürlich. Doch geht dieses Gespräch weiter, werden irgendwann Unterschiede gemacht. Auch, weil man in verschiedenen Ländern geboren ist. Migration. Allen ein Begriff. Nur wenigen eine Herzensangelegenheit. Doch es gibt Menschen, die den Menschen sehen und helfen. Sie zeichnen wir aus. Mit dem transkulturellen Förderpreis von Vitos Hadamar.

Ich bin Teil der Jury für den transkulturellen Förderpreis und Migrationsbeauftragte von Vitos Hadamar. Mit dieser Arbeit will ich aufmerksam machen. Auf die Menschen hinter den Begriffen, wie „Flüchtlinge“ und „Migranten“ und auf die Menschen, die diese Personen als gleichwertige Menschen sehen und ihnen helfen.

Wir müssen die Menschen kennen, um ihnen zu helfen

Der Umgang mit seelischen Beschwerden hat viel damit zu tun, woher man kommt und welche kulturellen Hintergründe man hat. Das Land, die Kultur formt einen Menschen. Macht ihn zu dem, der er ist. In anderen Ländern sind Beschwerden somit auch anders zu deuten. Nur weil wir in der westlichen Welt gelernt haben, Erkrankungen durch gewisse Symptome zu definieren, treffen diese nicht zwangsläufig auf alle zu. Wenn wir einfach übertragen, kann es sehr schnell zu Fehldiagnosen kommen.

Voneinander lernen

Wir müssen bei den Menschen in die Lehre gehen, um zu lernen, was ihre Kultur bedeutet und was somit auch bestimmte Symptome bedeuten – mit Respekt und einer gesunden Neugier für ihre Tradition und Kultur. Und dann können wir helfen und den Menschen die Behandlung geben, die sie wirklich brauchen. Diesen Respekt und diese Neugier beweisen jedes Jahr aufs Neue Menschen, die uns für den Förderpreis vorgeschlagen werden.

In diesem Jahr gibt es zwei Preisträgerinnen

Gestern haben wir zum sechsten Mal Initiativen, wissenschaftliche Arbeiten, Projekte und Einzelpersonen gewürdigt, die sich in der Region in besonderer Weise um die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund verdient gemacht haben bzw. über dieses Thema gearbeitet haben. Der transkulturelle Förderpreis von Vitos Hadamar wurde erstmalig 2010 von Herrn Dr. Matthias Bender, ärztlicher Direktor von Vitos Hadamar und Vitos Weilmünster, ins Leben gerufen. Bislang war er mit 500 Euro dotiert. Das Preisgeld wurde 2015 das erste Mal verdoppelt. Der Preis ist nun mit 1.000 Euro dotiert.

Dieses Jahr wurden im Rahmen einer Fest- und Fortbildungsveranstaltung zwei Frauen ausgezeichnet. Eigentlich ist es nicht üblich, dass es zwei Preisträger gibt. Doch wir konnten uns hier einfach nicht entscheiden. Diplom-Psychologin Iryna Struina bekam den Preis für ihre wissenschaftliche Studie an der Universität Frankfurt zum Thema „Kulturelle Einflüsse auf Stolz und Scham bei Jugendlichen“ überreicht.

Zweite Preisträgerin war Ursula Green. Sie engagiert sich schon seit mehreren Jahren ehrenamtlich für die Flüchtlingsbetreuung. Sie wurde von der Ortsgruppe von Amnesty International vorgeschlagen. Sie hat bereits 21 Flüchtlinge erfolgreich untergebracht, organisiert Gottesdienste, hilft bei rechtlichen Angelegenheiten und bei Bewerbungen. In akuten Härtefällen ist sogar Kirchenasyl ein Thema, vor dem sie nicht zurückschreckt. Zwei würdige Preisträgerinnen.

Wir wollen anerkennen und würdigen

Es ist wichtig, dass diese Arbeit gesehen und anerkannt wird. Denn das geschieht im Alltag doch viel zu selten. Menschen, die wirklich etwas tun, etwas bewegen, sind nicht allzu oft zu finden. Die Arbeit unserer Preisträger und auch die Vorschläge sind unglaublich vielfältig. Ob Ehrenamt, Projekt, wissenschaftliche Arbeit oder eine andere Art des Helfens. Bei uns wird jeder gehört.

Wir sind immer für Vorschläge offen

Wie so oft sind die, die wirklich helfen, auch die, die sich nicht oft selbst zu Wort melden. Also sind wir darauf angewiesen, dass uns diese Menschen vorgeschlagen werden. Dazu sind die Anzeigen in der Regionalzeitung sowie unsere Vernetzungen und Kooperationen mit psychosozialen Einrichtungen so wichtig. So finden wir potenzielle Preisträger. Doch auch wenn Sie jemanden kennen, der eine angemessene Würdigung diesbezüglich verdient hat: Zögern Sie nicht, sich zu melden.

Migration, weil es keinen anderen Ausweg gibt: Flucht

Die Flüchtlingsdebatte, die derzeit fast täglich Thema in den Medien ist und mit der sich, zumindest theoretisch sehr viele Menschen auseinandersetzen, spüren wir in unserer transkulturellen psychiatrischen Ambulanz jeden Tag. Zu uns kommen deutlich mehr Flüchtlinge. Sie fürchten sich vor drohender Abschiebung und kommen nach ihrer Flucht mit hohen Belastungen zu uns. Diese äußern sich in Traumata, Depressionen oder auch posttraumatischen Belastungsstörungen. Es kommen auch sehr viele akute Notfälle. Menschen, die sofort Hilfe benötigen. Viele sind gerade einmal 18 Jahre alt. Auch im stationären Bereich merken wir die wachsende Anzahl an Flüchtlingen. Sie kommen vor allem aus Kriegsregionen wie Syrien oder dem afrikanischen Kontinent und wurden vom IS oder andere Rebellen verfolgt und bedroht.

Sich selbst verlieren

Menschen mit Migrationshintergrund, die als Flüchtlinge zu uns kommen, sind nicht aus ökonomischen Gründen nach Deutschland gekommen. Sie mussten ihre Heimat verlassen, ihr Zuhause, wo sie eine richtige Persönlichkeit waren, so wie du und ich. Sie konnten dort alles gut: Sich darstellen, repräsentieren, waren integriert und fester Teil der Gesellschaft. Und plötzlich ist alles anders. Auf einmal können sie sich nicht mehr selbst als Mensch behaupten und sich als Person ausleben. Sie kommen in einen Kreislauf, wo sie sich fragen: Wer war ich und wer bin ich jetzt? Ob sich diese Erfahrungen zu einer psychischen Erkrankung ausweiten, hängt individuell von der Person, der Intensität der Traumata, Dauer und Länge der traumatischen Erlebnisse sowie genetischen und biografischen Faktoren ab.

Ständige Bewegung im Migrationsprozess und plötzlich Stillstand

Flüchtlinge haben traumatisches erlebt und sind während des Migrationsaktes, also vom Herkunfts- bis zum Ankunftsland, immer in Bewegung. Der ganze Migrationsprozess ist eine einzige Anspannung. Bis sie nach Deutschland kommen, sind sie nicht einmal zur Ruhe gekommen – über Wochen und Monate. In Deutschland spüren sie dann das erste Mal wieder ein wenig Schutz. Doch Sicherheit finden sie auch hier nicht. Denn jeden Tag droht die Abschiebung. So können die Menschen nicht zur Ruhe kommen und das Erlebte verarbeiten.

Das Schlimmste ist genau diese Ungewissheit. Je länger es in der Schwebe ist, was mit einem Menschen passiert, desto eher folgen Hoffnungslosigkeit und Trauer. Sie verlieren sich selbst nach und nach, wenn niemand hilft.

Umso wichtiger sind unsere Preisträger. Sie fangen Menschen auf unterschiedlichste Weisen auf und sind ihnen eine Stütze.

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Headerbild: © Dieter Schütz / pixelio.de