Dass nicht nur biologische Traditionen – wie zum Beispiel Pflanzen – evolvieren, sondern auch kulturelle Traditionen – wie zum Beispiel Sprachen oder Religionen – wusste bereits Charles Darwin. Doch nachdem deutsche Stimmen wie Ernst Haeckel gleich im 19. Jahrhundert mit “monistischen” Ansprüchen völlig überzogen, setzte nach dem zweiten Weltkrieg eine ebenso gründliche Distanzierung ein: Selbst unter deutschsprachigen Evolutionsforschenden kann man heute noch auf die irrige Auffassung vertreten, Evolution sei “nur biologisch” zu verstehen – oder es gebe nur krude Modelle zur kulturellen Evolution (Darwinismus vs. Lamarckismus, Gen – Mem o.ä.). Tatsächlich finden jedoch unter den Stichworten der Gene-Culture-Coevolution oder eben der biocultural evolution seit Jahrzehnten eine wachsende Zahl empirisch orientierter Forschungen statt, die nicht nur längst bekannte Beispiele wie die Laktoseintoleranz erkunden, sondern auch zum Beispiel darauf hinweisen, dass sich ohne die menschlichen, kulturellen Traditionen des Kochens auch unsere Anatomie (Zähne, Gebiss, Darm, Gehirn etc.) überhaupt nicht hätte in seine heutigen Formen entwickeln können. Natur und Kultur sind evolutionsgeschichtlich gesehen keine Gegensätze, sondern wechselwirkende “Tanzpartner”.