Dr. Alexander Schachinger ist der Geschäftsführer der EPatient RSD GmbH, Berlin. Außerdem ist er seit 2006 im Bereich Digital Healthcare für Unternehmen der Gesundheitswirtschaft sowie internationale Digitalstrategieagenturen tätig. Nach der Ausbildung zum Physiotherapeuten und dem Studium der Medienwirtschaft arbeitete Dr. Schachinger bei internationalen Medizintechnik- und Arzneimittelherstellern sowie bei Digitalstrategieagenturen in Berlin und Frankfurt. 2013 promovierte er zum digitalen Patienten in Deutschland und gründete 2014 die EPatient RSD GmbH in Berlin.
Im Rahmen der re:publica hielt er den Vortrag „40 Millionen Deutsche Gesundheits-Surfer: Eine Bottom-up Bewegung gegenüber einem Top-Down Gesundheitssystem?“ Darin beschäftigte er sich mit den neuen Einflussfaktoren, Abhängigkeiten und Chancen für die Akteure und Entscheider des Gesundheitssystems durch die neue Wirklichkeit einer digitalen Gesellschaft. In dem Zusammenhang haben wir mit Dr. Schachinger sprechen können.
Spricht man von Gesundheits-Surfern, ist es zunächst wichtig, zwischen den bereits bekannten Termini E-Health sowie Telemedizin und dem Terminus Health2.0 zu trennen. E-Health und Telemedizin beschäftigen sich mit Hardware – Health2.0 hat damit nichts zu tun. Die Welt von Health2.0 stellt das Internet bereit – ob Browser- oder App-basiert. „E-Health sehen viele Akteure der Gesundheitswirtschaft als Überbegriff, fassen aber zum Beispiel Apps nicht mit darunter“, bedauert Dr. Schachinger. „Das darf auf keinen Fall vermischt werden, doch leider haben wir immer noch zwei Welten, die sich untereinander nicht verstehen. In der einen sind 40 Millionen deutsche Gesundheits-Surfer, in der anderen die traditionellen Akteure wie Krankenhäuser, Ärzte, Krankenkassen.“
Mit den Themen rund um Health2.0 beschäftigen sich auch eigene Fachmagazine und -konferenzen, wie das führende Journal of medical internet research sowie die weltweit führende Konferenz Health2.0.
Eine grundsätzliche Fehlannahme besteht seiner Meinung nach auch darin, dass sich Patienten in erster Linie über Behandlungen informieren und Fehlinformationen, die es im Internet natürlich auch gibt, fatale Auswirkungen haben könnten. „Die Vertreter des Gesundheitssystems haben definiert, was gut und schlecht, richtig und falsch ist und bleiben in ihrer rein informationsbezogenen Broschürenmentalität stecken“, so Schachinger. Dies sei ein deutlicher Indikator, dass die Vertreter des Gesundheitssystems die neuen Dynamiken des webbasierten Marktplatzes im Jahr 2015 immer noch nicht verstanden haben. Den Patienten geht es aber nicht nur um Informationen, sondern um Austausch und Empfehlungen von anderen.“ Dabei entsteht eine „ähnlich-wie-ich“-Dynamik und geht so auf die sozialpsychologischen Fragen und Wünsche der User ein. Hier sieht Dr. Schachinger wieder deutlich die zwei Welten, die sich untereinander nicht verstehen: „Es geht nicht um richtige oder falsche Informationen. Den Patienten geht es, und das ist international belegt, um alltags- und patientensoziologisch relevante Lösungen und Orientierungen als Chroniker mit bestimmten Alltagsproblemen.“
Wenn man den Ausführungen von Dr. Schachinger folgt, stellt sich schnell die Frage, warum der digitale Wandel bei den Akteuren des Gesundheitssystems bislang so gut wie vorbeigegangen ist. Die Frage beantwortet der Experte auf mehreren Ebenen: Zum einen bilden die Gesundheitssurfer ein neues „Ökosystem“, das nicht verstanden wird. „Langsam ändert sich das jetzt aber“, betont Dr. Schachinger. „Einige Apps werden jetzt bereits mit Beiträgen der Krankenkasse finanziert. Es gibt eine Annäherung und die Welten lernen dabei langsam aber stetig mehr voneinander.“
Vor allem ist es wichtig, die Wirkung und Effekte der Angebote zu messen. Ohne Evaluation ist der Einsatz der Apps und Angebote in dem Umfang, wie er eigentlich möglich wäre, nicht machbar. Start-Ups und Ideen gibt es viele: „In Berlin gibt es offensichtlich bald mehr Acceleratoren als Dönerbuden.“, kommentiert Schachinger die Situation. Die unabhängige wissenschaftliche Evaluation fehle aber noch nahezu vollständig. Da es ohne Wirkungsmessung unmöglich ist, die beiden Welten einander näher zu bringen, plant Dr. Schachinger derzeit, eine kleine Forschungsgruppe zu gründen, die sich dem Thema widmet. „Die Finanzierung fehlt in Deutschland. Andere Länder kriegen das aber problemlos hin – Deutschland hinkt da stark hinterher.“
Die Stelle, an der die alte und die neue Welt am Stärksten aufeinandertreffen, ist nach Schachinger neben anderen Kontaktpunkten, oft der Arzt. In der Umfrage gaben die meisten User den Wunsch an, von ihrem Arzt angeleitet zu werden. „Das ist aber auch das Dilemma. Der Arzt weiß nicht Bescheid, er wird auch nicht dafür begeistert. Dabei hat der Arzt die beste Position, eine Behandlung digital zu begleiten.“ Dafür fehlt es aber an Anreizen für den Arzt, genauso wie an Hilfsmitteln. Zudem gibt es keine Liste von evaluierten Apps, also eine Auflistung der digitalen Versorgungsforschung, anhand derer sich der Arzt orientieren könnte.