Heutzutage leben wir schneller, weiter, lauter. Es wird gebaut, entwickelt und sich insbesondere technisch immer wieder selbst übertroffen. Und das ist auch gut so. Doch verlieren wir in diesem Alltag all zu oft den Blick für unsere eigentliche Basis. Für das, was uns Menschen hilft, uns persönlich weiterzuentwickeln und mit sich selbst in Einklang zu kommen. Die Natur. Die Wildnis. Die eigentliche Basis. Um hierhin wieder zurückzufinden, ebenso wie zu sich selbst, gibt es bei Vitos Rheingau seit diesem Jahr etwas ganz besonderes.
Nach der Arbeit Ideen für die Arbeit
Die Idee entstand vor rund eineinhalb Jahren bei einer Jahresabschlussfeier der Station. Aufgrund meiner Erzählungen und die meines Kollegen über unsere Erlebnisse in der Natur und im Wald und meiner damaligen Weiterbildung zum Wald- und Erlebnispädagogen hatten wir die spontane Idee, ein „Waldevent“ für alle Mitarbeiter der Station durchzuführen.
29 Mitarbeiter machen mit
Bis zur Umsetzung dieser Idee dauerte es noch knapp ein halbes Jahr. Nach einem erfolgreichen Probelauf hatten wir dieses Jahr die Möglichkeit und die Erlaubnis dies als eintägiges Kontrastprogramm in dem innerbetrieblichen Fortbildungsprogramm von Vitos Rheingau anzubieten. Am 28. Mai wurde es dann innerhalb der innerbetrieblichen Fortbildung, kurz IBF, erstmalig durchgeführt. Die Teilnehmerzahl belief sich auf 15 Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen: Pflege, Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Verwaltung. Bei der zweiten Veranstaltung am 9. Juli hatten wir einen Gesundheits- und Krankenpflegekurs mit 14 Teilnehmern zu Gast.
Die Workshops
In Verknüpfung von Wald- und Erlebnispädagogik und Wildnistraining wurden für diese Erlebnistage folgende Workshops durchgeführt:
- Die Kunst des Feuermachens – mit natürlichen und künstlichen Hilfsmitteln
- Nahrungsbeschaffung aus der Natur/Pflanzenkunde/Wild- und Heilkräuter
- Wahrnehmungsübung/Sign-tracking (Tierzeichen)
- Knotenkunde/einfacher Seilsteg/Tipibau
- Element Wasser: Gewässergütebestimmung und Trinkwassergewinnung
- Kooperationsspiele
- Abschlussreflexion
Zurück zur Natur
Green Networking ist kein hartes Survival Training, wie wir es teilweise aus den Medien kennen. Es bedeutet eigentlich nichts anderes, als den Aufbau einer Beziehung zur Natur (wieder-)herzustellen, mit dem Ziel, durch eine kontinuierliche Pflege, diese Verbindung zur Natur aufrechtzuerhalten.
Hierzu ist folgende Einstellung nötig: „Die Natur ist nicht gegen uns, sondern sie nimmt uns auf und begleitet uns.“
Unheimlich ist nur das, was man nicht kennt
Dieses Bewusstsein ist den Menschen im Laufe der Zeit jedoch immer mehr verloren gegangen. Ohne ein Zugehörigkeitsgefühl werden Dinge fremd. Wildnis ist dann ein Ort, wo gefährliche, bedrohliche, eklige Dinge existieren und Unannehmlichkeiten auf uns warten. Natürlich ist und kann die Natur auch ein gefährlicher Ort sein, vor allem aber erst dann, wenn wir nicht wissen, uns in ihr zu bewegen. Wenn wir kein „Wildniswissen“ besitzen. Sind wir jedoch einigermaßen im Einklang mit ihr und fühlen uns in ihr sicher, so zeigt sie uns Orte auf, von denen wir Brücken in unseren zivilisierten Alltag schlagen können, um ihn souveräner und gelassener meistern zu können.
Über den Tellerrand blicken
Das Leben und Überleben in der Natur bzw. Wildnis ist das Gegenmodell zu dem Leben, was wir kennen und genau das ist es, was es für uns so wertvoll macht. In der Natur werden neue Verbindungen geknüpft. Unser Gehirn lernt außerhalb der Palisaden unseres Alltags neu und neues zu denken. Das Vermitteln primitiver, traditioneller, aber auch moderner (Über-) Lebenstechniken im Wildnistraining ist kein Selbstzweck, sondern soll den Teilnehmern die Fähigkeit geben, die Natur um sich herum wahrzunehmen und insbesondere in der heutigen Zeit, zu schätzen und zu schützen lernen.
Zurück zur Basis: Sinne schärfen
Um eine Verbindung mit der Natur aufzubauen ist es notwendig, unsere Sinne wieder in ein Gleichgewicht zu setzen. Die hierzu notwendige Schärfung der Sinne geschieht draußen in der Natur teils automatisch, wenn man sich über einen längeren Zeitraum in ihr aufhält. Aber auch durch spezielle Wahrnehmungsübungen, bzw. durch einfache Achtsamkeits- und Aufmerksamkeitsübungen kann man seine eigenen Wahrnehmungsfelder und die Achtsamkeitsspannen erweitern. Dadurch lernt man natürliche Zusammenhänge zu erkennen und somit ein größeres Verständnis für die Natur zu entwickeln. Man wirkt dadurch gleichzeitig der Naturentfremdung entgegen. Für unseren Alltag bedeutet dies zugleich, die Fähigkeit und Möglichkeit einen Perspektivwechsel durchzuführen und unsere Mitwelt, aber auch sich selbst, mal aus einer anderen Sicht zu betrachten.
Sind die Sinne geschärft und wieder in ein harmonisches Gleichgewicht gerückt, lernen wir zudem durch Intuition ganzheitlich zu handeln und bewusster zu leben. Das Bewusstsein über die notwendige Nachhaltigkeit auch gegenüber vermeintlich selbstverständlichen Dingen wird gefördert.
Persönliche Weiterentwicklung
Psychologische und neurologische Studien bestätigen die Bedeutung, der sinnlichen und emotionalen Beziehung zur Natur für die Entwicklung eines Menschen. Darüber hinaus werden die persönlichen Kompetenzen (Handlungs- und Sozialkompetenzen) durch Erfahrung der vielfältigen Anforderungen und Herausforderungen erweitert, sei es durch teambezogene Kooperationsaufgaben oder beim Feuermachen mit dem Drillbogen.
Feuer, Wasser, Tierzeichen, Pflanzen – Aus einem anderen Blickwinkel sehen
Diese Art Feuer zu machen ist ein komplizierter Prozess. Man muss sich damit beschäftigen und Problemlösungsstrategien entwerfen, um zum Erfolg zu kommen. Das Wissen liegt hierbei hauptsächlich im Tun.
Bei dem Thema Wasser werden zwangsläufig ökologische Aspekte der Nachhaltigkeit aufgezeigt.
Das Thema Sign-tracking (Suche nach den Tierzeichen) betrifft die Wahrnehmung unter dem Motto: Wir sehen nur das, was wir kennen, erwarten und für möglich halten. Die Schulung des Weitwinkelblicks ermöglicht uns die Wahrnehmung außerhalb unseres Tunnelblicks.
Bei der Pflanzenkunde lernen wir, dass es eine Fülle von Pflanzen gibt, die wir nicht nur als Nahrung, sondern auch zur Heilung bzw. Linderung von Krankheiten und zur Herstellung von Materialien verwenden können. Es ist das Vermitteln von uraltem Wissen.
Wildniswissen bedeutet nicht, dass wir Regenwürmer essen müssen
Das erworbene Wildniswissen bedeutet, ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen. Je sicherer wir spüren ohne die materiellen Dinge leben zu können, desto weniger wird unser, dann einfacheres Leben, durch das Gefühl des Verzichts geprägt sein. Wildniswissen bedeutet ja nicht, dass wir Regenwürmer essen müssen, sondern zu wissen, dass man den Hunger aushalten kann, bis wir was Besseres finden.
Natur kann auch der Stadtpark sein
Natürlich kann man dies nicht alles an einem Tag erfahren und natürlich kann man nicht jedes Thema an einem Tag oder in ein paar Stunden abhandeln. Allein für das Thema Feuer bedarf es ein paar Wochen. Es geht hierbei vielmehr darum, dass die Beschäftigung mit den Themen des Wildnistrainings nicht folgenlos bleibt. Unabhängig, mit welchem Teilbereich man sich beschäftigt, kommt es früher oder später zu einer Entdeckung weiterer Bereiche und wird so zum Weiterlernen angeregt. Irgendwann lotet man seine noch so kleinen Grenzen aus und entdeckt verschlummerte Fähigkeiten und Ressourcen in sich selbst. Durch die Gabe von kleinen Impulsen und Einblicke in die weitreichende Thematik, soll dieses Erleben und Erlernen in und von der Natur gefördert werden. Jede Nische der Natur gibt uns dazu Gelegenheit, sei es im Stadtpark oder im Wald hinterm Haus.
Letztendlich gilt es, die Pfade zu entdecken, die uns dorthin führen, wo wir tiefe Verbundenheit mit der Natur erleben können.
Vielen Dank!
Ich danke allen Teilnehmern für ihr positives Feedback, die Anregungen und Ideen.
Ich danke der Geschäftsführung von Vitos Rheingau und deren IBF-Beauftragte für die Erlaubnis und Unterstützung zur Umsetzung dieser Idee, diesen „Erlebnistag“ in das Fortbildungsprogramm aufzunehmen und für das Jahr 2016 an jeweils zwei weiteren Tagen, mit erweiterten Themen stattfinden zu lassen.
Ebenso danke ich dem zuständigen Revierförster von Eltville für die Genehmigung dieser Veranstaltung. Ebenso für die freundliche Genehmigung mit den Autos etwas weiter in den Wald hineinfahren zu dürfen, als normalerweise erlaubt. Vielen Dank auch dem Revierförster von Wiesbaden-Chausseehaus für seine spontane Unterstützung.
Einen besonderen Dank auch an Schwester Coretta, Leitung des Klosters Tiefenthal, für die herzliche Erlaubnis zur Benutzung der hauseigenen Parkplätze.
Zu guter Letzt danke ich meinem Kollegen Markus Eglin für die kompetente Unterstützung als Mitwirkender, sowie für die Bereitstellung seines Waldgrundstückes, ohne dessen eine Durchführung nicht möglich gewesen wäre.