Ein Bericht von Dr. Urban Pachlatko über seinen Einsatz in Dhaka/Bangladesch
Von Ende Februar bis Mitte April habe ich als German Doctor in Dhaka – der Hauptstadt von Bangladesch – gearbeitet und einen sechswöchigen medizinischen Einsatz absolviert. Wie sieht unser Tagesablauf dort aus? Vormittags fahren wir raus in unterschiedliche Slums und arme Wohngebiete, nachmittags arbeiten wir in einer Ambulanz in dem Haus, in dem wir auch wohnen. Außerdem ist im gleichen Haus eine Schule für Kinder aus armen Familien untergebracht. Wir kümmern uns sozusagen um die hausärztliche Versorgung der Ärmsten, die sich das Geld für einen Arzt- oder Krankenhausbesuch nicht leisten können. Wir, das sind, zwei deutsch sprechende Ärzte und ein Team aus Einheimischen, die für uns Übersetzen, die Patienten aufnehmen, sich um die Medikamente kümmern und uns hin und her fahren.
Am Morgen packen wir einen Minibus mit allen nötigen Sachen für eine Klinik. Die wahrscheinlich benötigten Medikamente wurden vorher schon bereitgestellt, aber auch alles Verbrauchsmaterial wird gekonnt und gut eintrainiert eingepackt. Am Schluss kommen dann noch wir Menschen hinein und dann geht es los durch die von Rikschas oft verstopften Straßen in einen anderen Bezirk der 16-Millionen-Stadt. Dort fahren wir in einen Hof, laden alles aus und machen den uns zur Verfügung stehenden Raum für die Sprechstunde bereit. Es ist „nur“ ein Raum für die eigentliche Untersuchung vorhanden, warten müssen die Patienten selber draußen im Freien.
Ich sitze an einem Metalltisch, gegenüber von mir sitzt der Übersetzer und an der Schmalseite des Tischchens gibt es einen Stuhl für den Patienten. Da wir zwei Ärzte sind, werden also zwei solcher Konsultationsecken aufgebaut und dann fängt unsere Arbeit auch schon an. Die Patienten die zu mir kommen, wurden alle vorher gewogen, der Blutdruck und die Temperatur wurden gemessen. Dann fängt die Befragung über den Übersetzer an und da werden manchmal ganz lange Wortwechsel mit einem oder zwei Worten übersetzt! Wenn wir mit allen Patienten durch sind, wird wieder alles zusammengepackt und es geht zurück an den Ausgangsort. Nach einer kurzen Pause, um etwas zu Essen, beginnt dann die gleiche Arbeit hier, wo wir stationiert sind, nur dass hier alles schon eingerichtet ist und jeder der zwei Ärzte ein eigenes Zimmer hat.
Als Krankheiten sehen wir sehr oft, Husten, Fieber, Rückenschmerzen, verschiedenste Verdauungsbeschwerden und „all over body pain“, was eher als ein allgemeines Unwohlsein zu verstehen ist. Viele der Beschwerden sind auch typische Folge der harten körperlichen Arbeit. Dass die Rikschafahrer und die Leute, die mit Hämmern Backsteine zerkleinern an Überlastungsschmerzen leiden, wundert keinen – aber wirksame Therapien dagegen stehen leider auch nicht zur Verfügung. Eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bleibt ein Wunschdenken.
Einige Patienten sind mir besonders in Erinnerung geblieben:
- Eine Frau kommt mit Magenbeschwerden, Rückenschmerzen und allgemeiner Schwäche. Die Untersuchung ergibt nichts jetzt speziell Auffälliges. Als ich nach ihren „wirklichen“ Beschwerden frage, kommt zum Vorschein, dass ihr Mann zu Hause sei und nicht arbeiten könne. Er habe eine Bauchoperation gehabt. Es sei alles gut gegangen, aber der Brotverdiener ist nun arbeitsunfähig und damit die Familie vom Betteln abhängig…
- Eine alte Frau, die nicht mehr arbeiten kann: Schwäche und Appetitlosigkeit, Magenschmerzen (Hunger ?) und verschiedene Gelenkschmerzen sind ihr heutiges Leiden. Bei weiterem Nachfragen kommt dann heraus, dass sie nun bei ihrer Tochter lebt, die aber selber eher am Existenzminimum ist. Die Tochter arbeitet als Textilarbeiterin, das heisst den ganzen Tag Nähen oder Zuschneiden oder Bügeln oder…. Sie verdient zwar genug für sich und vielleicht ein Kind, aber für die Mutter reicht es einfach nicht mehr. So sagt die Mutter einfach, sie habe keinen Appetit, damit sie den andern nichts wegisst, selber aber verhungert sie langsam….
- Ein persönliches „Zückerchen“ für mich war eine alten Frau, die vor vier Tagen gestürzt war, und den Vorderarm an typischer Stelle gebrochen hatte. Wir machten eine lokale Anästhesie in den Bruchspalt und gipsten dann den Arm mit „richtigen“ Gipsbinden ein, und das ohne Röntgen einfach nach Gefühl ! Mir kam zu Gute, dass ich in Valbella vor 30 Jahren viele Radiusfrakturen reponieren und gipsen musste. Die Frau kam dann am nächsten Tag zur Gipskontrolle und war begeistert, dass sie keine Schmerzen mehr hatte.
- Ein alter Mann, beidseitige Hüftarthrose, ist unstabil auf den Beinen und fällt oft hin. Heute kommt er mit einer Verletzung des rechten Knies, einer offenen Wunde, weil er vor ein paar Tagen wieder einmal gefallen ist. Durch Schmerzen geschwächt, dadurch kaum mehr erwerbstätig dreht sich die Armut Spirale weiter. Er wird schwächer werden, noch häufiger fallen bis er dann nicht mehr aufstehen wird…
- Eine Frau mit 6-jährigem Sohn. Sieht eher etwas ängstlich aus. Auch sie hat viele eher unspezifische Beschwerden. Sie ist erst vor ein paar Tagen nach Dhaka in die Stadt gekommen und wohnt bei ihrer Schwester. Will nach Arbeit suchen, um sich und den Sohn durchzubringen. Auf weiteres Nachfragen hin erfahren wir dann, dass im Dorf, woher sie herkommt, sich ihr Mann eine andere Frau genommen habe. Sie konnte und wollte das nicht länger mit ansehen…
- Eine ausgemergelte 85-jährige Großmutter kommt. Ihre Tochter begleitet sie, da sie bei ihr wohnt. Die Tochter selber hatte einen Schlaganfall und nun eine Facialis Parese, das heisst ihre Gesichtsmuskeln sind auf einer Seite gelähmt. Diese Tochter muss nun neben ihrer Mutter auch noch für ihre eigene Tochter schauen, da ihr Mann drogenabhängig ist und alles, was er mit dem Rikscha fahren verdient sofort für seine Sucht verbraucht.
Bei vielen unserer Patienten ist ihr soziales Umfeld oft schlimmer als die eigentlichen Beschwerden, die sie angeben. Ich fühle mich dann so hilflos, da wir ja wirklich eigentlich „nur“ medizinisch helfen können, wenn das eigentliche Übel gar nicht angegangen werden kann. Die Armut, die kaum vorhandenen staatlichen sozialen Strukturen und der schiere Bevölkerungsdruck findet auf dem Buckel der Gesundheit eben dieser Bevölkerung statt. Die Regierung gibt sich Mühe Spitäler zu bauen, was gut ist und auch einigermaßen funktioniert, aber solange andere Strukturen fehlen, haben solche Menschen, wie diejenigen, die ich beschrieben habe, kaum eine Überlebenschance.
Die Regierung hat in den letzten Jahren mehrere Spitäler aufgemacht, die auch die Ärmsten behandeln und so können wir in komplizierteren Fällen die Leute auch dorthin schicken. Wenn sie von uns geschickt werden, werden sie gut diagnostiziert, erhalten dann Medikamente für einen Tag und ein Rezept für die Fortführung – da sie aber kein Geld haben, hören sie mit der Behandlung nach ein paar Tagen wieder auf. Wir selber haben ein beschränktes, der Situation gut angepasstes Medikamentensortiment. Die allermeisten Medikamente werden im Inland hergestellt und sind von guter Qualität, soweit ich das beurteilen kann. Die Arbeit ist sehr befriedigend und die Patienten sind froh, dass jemand sie anschaut und ihnen auch zuhört, ihnen ein sympathetisches Ohr leiht.
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