Online-Datingportale gibt es zuhauf. Es gibt sogar welche, die sich speziell an Menschen mit HIV richten. Was bieten solche Singlebörsen? Warum und von wem werden sie genutzt? Frauke Oppenberg hat mit Usern und Machern gesprochen.
Eigentlich war Anne gar nicht auf der Suche nach einem neuen Partner, als sie sich vor fast drei Jahren bei der Online-Datingplattform „Positiv-Treff“ angemeldet hat. Damals hatte sie noch einen Mann und mit ihm zwei Kinder. Ihr beschauliches Leben in einem kleinen Ort in Rheinland-Pfalz war aber gerade ordentlich aus den Fugen geraten. Ihr Mann hatte erst sich bei einem Seitensprung und dann sie mit HIV angesteckt.
Als Krankenschwester wusste Anne, was diese Diagnose bedeutet. Aber sie wusste auch, wie selbst ihre Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus mit HIV-Infizierten umgingen. Dass sie sich weigerten, Blut von Positiven abzunehmen zum Beispiel.
Angst vor Zurückweisung
Anne hatte Angst vor Zurückweisung. Sie brauchte Unterstützung, doch ihren Freunden wollte sie sich nicht anvertrauen. „Klar, ich hätte mich an die Aidshilfe wenden können“, sagt die 38-Jährige, „aber ich wollte halt so anonym wie möglich bleiben“.
Also suchte sie im Internet nach Hilfe und wurde ausgerechnet bei einer Online-Singlebörse fündig. „Ich habe dort wundervolle Leute gefunden, die mir ganz viel Mut gemacht haben. Die mir gesagt haben: Das Leben hört jetzt nicht auf.“
„Mehr als nur Dating“ verspricht die Website Positiv-Treff. Ihr Macher Thomas hat sich an sozialen Netzwerken orientiert, als er die Seite im vergangenen Jahr grundlegend umgebaut hat. Außer den Profilen, die jeder Nutzer von sich anlegen kann, gibt es ein Forum, Blogs, einen Veranstaltungskalender oder aktuelle Nachrichten, die für HIV-Positive interessant sein können.
In Gruppenchats werden neueste Forschungsergebnisse erklärt, Erfahrungen mit Ärzten und Kliniken ausgetauscht, Behandlungsarten oder der optimale Therapiebeginn diskutiert. Sogar ein Internetradio hat Thomas geplant. „Ich wollte den Leuten etwas Ordentliches bieten, die vereinsamen sonst“, so der 36-Jährige, der selbst seit vier Jahren HIV-positiv ist. Thomas freut sich, dass sich in den knapp neun Monaten, die seine erneuerte Seite online ist, schon über 400 Menschen angemeldet haben. „Bis zu fünf User kommen jeden Tag dazu“, erzählt der Hamburger stolz von seinem Erfolg. „An manchen Abenden sind bis zu 30 Leute im Chat.“
„Positiv-Treff“, „Flirt-Projekt“, „HIV-Dating“
Trotzdem gehört Positiv-Treff zu den Kleinen auf dem Markt. Der große Pionier ist Flirt-Projekt.com. Hartmut Neidiger ist mit dieser Singlebörse für HIV-Positive schon vor elf Jahren ins Netz gegangen. „Ein Bekannter von mir hatte eine Freundin kennengelernt“, erzählt der Coburger Geschäftsmann von seinen Beweggründen, „und als er ihr nach vier Wochen gebeichtet hat, dass er HIV-positiv ist, hat sie ihn verlassen“.
Neidiger, der schon eine Datingseite für Menschen mit Behinderung betrieb, erkannte den Markt und gründete eine Online-Singlebörse für Menschen mit HIV. Heute sind nach Angaben des Betreibers beim Flirt-Projekt rund 30.000 HIV-Positive aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner. Eine Community wie bei Positiv-Treff ist hier aber nicht entstanden. „Im Forum sind die Leute scheu“, berichtet Neidiger, „die gehen gleich in den Privatchat“.
Ein anderer Mitbewerber ist die Seite „HIV-Dating“, auf der über 4.000 User angemeldet sind. Allerdings wird diese Seite nicht mehr betreut, der Administrator hat sie schon vor Jahren aufgegeben. „Die Leute dort sind nur auf der Suche nach Sex“, sagt Thomas von Positiv-Treff.
„Positiv-Treff“ und „HIV-Dating“ sind kostenlos. Das „Flirt-Projekt“ auf den ersten Blick auch, aber wer hier Nachrichten verschicken oder Fotos der anderen User sehen will, muss einen Jahresbeitrag von knapp dreißig Euro zahlen. „Das geschieht auch aus Schutzgründen“, verteidigt Hartmut Neidiger sein Bezahlkonzept, „es gibt tagtäglich fingierte Anmeldungen von Menschen, die mal schauen wollen, wer alles HIV-positiv ist“. Für die sei der Mitgliedsbeitrag eine Hürde, die meist nicht überschritten würde.
Fake-User unerwünscht
Auch Thomas hat auf seiner Seite Positiv-Treff Probleme mit gefakten Profilen. Um sie auszusortieren, prüft er jede Anmeldung. Vor allem Fotos sind vorher nicht sichtbar. Einen Mitgliedsbeitrag lehnt er aber ab. Positiv-Treff solle kostenlos bleiben, „damit diese Seite so besonders bleibt, wie sie ist“, sagt er. Um seine Kosten zu decken, hat er allerdings einen Spenden-Button eingerichtet.
Pascal würde auch zahlen, um sich vor Fake-Usern zu schützen. „Ich bin schon bereit, dafür Geld auszugeben, aber ich bin auch finanziell nicht schlecht gestellt“, meint der Handwerker, der seit drei Jahren bei Positiv-Treff angemeldet ist. Nach der Trennung von seiner Freundin wollte er hier „nur mal gucken, wer da so ist“. Und eine Beziehung zu einer Frau, die nicht HIV-positiv ist, kommt für ihn nicht infrage.
Pascal nimmt zwar Medikamente und seine Viruslast ist unter der Nachweisgrenze, aber die Angst, jemanden zu infizieren, sei immer noch da. „Ich kann auch nachvollziehen, wenn das für einen negativen Partner immer ein Schatten ist, der auf der Beziehung liegt“, sagt er.
Nur eine Handvoll seiner Freunde weiß, dass er HIV-positiv ist. Und das soll auch so bleiben. Er bedauert nur, dass er seine Erfahrungen nicht mit allen Menschen teilen kann, die ihm nahestehen. „Ich habe zwei Nichten“, erzählt Pascal, „denen würde ich schon gerne etwas erzählen, damit sie von meinen Fehlern lernen können“. Getraut hat er sich das aber bisher nicht. Also gibt er seine Erfahrungen stattdessen auf Positiv-Treff weiter. „Dem ein oder anderen hilft das auch“, ist sich Pascal sicher.
Auf der Suche nach Menschen, die Ähnliches durchmachen
Auch Anne ist auf Positiv-Treff mittlerweile nicht mehr nur einfache Userin. Sie hilft Thomas bei dessen Aufgaben als Administrator, prüft Neuanmeldungen oder stellt Umfragen online. Sie hat mittlerweile ein ziemlich genaues Bild davon, wer sich warum bei der Datingplattform anmeldet. Es sind vor allem HIV-Positive, die auf der Suche nach Menschen sind, die Ähnliches durchmachen wie sie selber.
Überdurchschnittlich viele Heterosexuelle melden sich hier an, auch der Frauenanteil ist besonders hoch. „Und die wollen alle anonym bleiben“, erzählt Anne, „weil es leider so ist, dass die Gesellschaft HIV-Positive verurteilt“. Was bliebe ihnen also anderes übrig, meint sie, als in eine Parallelwelt abzutauchen. Die Community im Netz nennt die zweifache Mutter ihre HIV-Familie. „Das ist das andere Leben, das man führt, wenn man nicht geoutet ist“, sagt sie. Und trotzdem: Nächste Woche hat sie ein Date mit jemandem, den sie auf Positiv-Treff kennengelernt hat. Sie werden sich zum Kaffee treffen, im ganz realen Leben.