„In Dänemark darf ein Patient regelhaft sicher sein, dass sein neuer Hausarzt weiß, was der frühere über den Zustand des Kniegelenks bereits herausgefunden hat“, sagt Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. „In Deutschland muss der neue Arzt erst einmal nachfragen, worum es eigentlich geht.“ Der Chef von Baden-Württembergs größter Krankenkasse spielt damit auf die mangelhafte Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen an. Zahlen der EU-Kommission belegen, dass in Dänemark 92 Prozent der Allgemeinmediziner untereinander Daten digital austauschen, während es in der Bundesrepublik gerade 24 Prozent sind. Hermann fordert mit Nachdruck eine flächendeckende Vernetzung der Versorgungslandschaft in Deutschland.
Eigentlich hatte der Gesetzgeber im Fünften Sozialgesetzbuch bereits den 1. Januar 2006 für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) festgeschrieben. Einer intelligenten Karte, die Ärzten, Patienten und Kassen den Austausch von Gesundheitsdaten erleichtern soll. Zehn Jahre später können die Strukturen einer Vernetzung noch immer nicht genutzt werden. Im Herbst 2015 – zuletzt mit einer Expertenanhörung am 4. November – hat der Bundestag den Weg für das sogenannte „E-Health-Gesetz“ freigemacht. Das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen“ soll endlich verbindliche Fristen für die Einführung von Anwendungen zur Karte schaffen. Praktisch möglich ist der Datenaustausch zwischen den Akteuren des Gesundheitssystems aber noch lange nicht. AOK-Vorstandschef Hermann: „Ärztinnen und Ärzte, Kassen und Patienten können sich auch deshalb nicht vernetzen, weil das Softwaresystem, das eine bestimmte Praxis im Einsatz hat, vielfach gar nicht kompatibel zu dem der Nachbarpraxis ist.“ Nur vereinzelte Projekte belegen derzeit, dass es auch anders gehen kann.
Anfang 2015 startete unter Federführung der AOK Baden-Württemberg und der MEDIVERBUND AG, die bereits seit vielen Jahren im Rahmen des AOK-Facharztprogramms zusammenarbeiten, ein gemeinsames Projekt mit dem „Praxisnetz Heilbronn“. Es zeigt regional, was ein flächendeckend digitalisiertes Versorgungsnetzwerk im Gesundheitswesen einmal leisten könnte. Bis heute haben sich im Heilbronner Raum über 100 Haus- und Fachärzte aus mehr als 50 Praxen unter Einsatz der Softwarelösung „ViViAN“ („Virtuelle Vernetzung im Arztnetz“) vernetzt. Fast 4.000 Versicherte sind bereits in die Netzpatientenakte eingeschrieben. Die Mediziner verwalten die Daten ihrer Patientinnen und Patienten dezentral mit der eigenen Praxissoftware, medizinische Befunde tauschen sie untereinander – nach Einwilligung der Versicherten – über eine gemeinsame Schnittstellenanwendung digital aus. Von der regionalen Netzpatientenakte profitieren neben Ärztinnen und Ärzten vor allem die Patienten: Ihre Krankengeschichte ist allen Beteiligten stets umfassend bekannt, Doppel- oder Mehrfachuntersuchungen werden vermeidbar, und die Kommunikation zwischen den einzelnen Arztpraxen läuft insgesamt mit deutlich weniger Reibungsverlusten. Der vom E-Health-Gesetz geforderte Medikationsplan ist als Online-Tool bereits Bestandteil des Pilotprojekts. Durch einen integrierten Medikations-Check werden unerwünschte Wechsel- und Nebenwirkungen deutlich reduziert.
Für AOK-Vorstandschef Hermann ist das Heilbronner Projekt nur der Einstieg. Er will vergleichbare Strukturen im landesweiten Maßstab: „Wir möchten, dass die digitale Versorgungslandschaft nicht nur in Heilbronn funktioniert. Anstelle von Insellösungen brauchen wir die möglichst breite, flächendeckende Vernetzung unseres Gesundheitswesens.“
Pressemitteilung der AOK Baden-Württemberg
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