Zeitreise in Wort und Bild

In der Ausstellung „AIDS – nach einer wahren Begebenheit“ zeigt das Deutsche Hygiene-Museum Dresden mehr als 200 Plakate aus 30 Jahren und aller Welt.

Schon das Ausstellungsplakat, vier fettgedruckte Buchstaben, verziert mit einem Kondom, einem Totenschädel, einem Virusmodell und der roten Schleife, macht deutlich, warum bei internationalen Kongressen die lebens- und sexualitätsbejahenden Plakate der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) weggingen wie warme Semmeln.

Nachdem HIV in unseren Breiten mittlerweile eine gut behandelbare chronische Erkrankung ist, wagt das Deutsche Hygiene-Mmuseum Dresden (DHMD) mit einer von Vladimir Čajkovac kuratierten Ausstellung einen Rückblick. Gezeigt werden etwa 240 Plakate aus der mehr als 10.000 Aids-Plakate umfassenden Sammlung des Museums, dazu noch Videoinstallationen und Kunstwerke, gegliedert in die Abteilungen „Die Krankheit der anderen“, „Das Schweigen wird gebrochen“, „Aids als Medienereignis“, „Der Virus“, „Das Zusammenleben“ und „Aids weltweit“.

Seuchenrecht gegen Lernstrategie

Begrüßt wird man mit dem riesigen quadratischen Bild „AIDS“ von einem Dresdner Graffitikünstler nach einer Idee des kanadischen Künstlerkollektivs General Idea. Dessen Original hängt als Leihgabe der Deutschen AIDS-Stiftung ebenfalls in der Ausstellung und ist eine Verfremdung der Vorlage „LOVE“ des New Yorker Künstlers Robert Indiana.

Dann wird der Besucher auf eine Zeitreise geschickt.

Die ersten Artikel im Spiegel über die neue Seuche malten den Untergang des Abendlandes an die Wand, in Amerika gründete sich ACT UP und geißelte die Untätigkeit und das Schweigen des Präsidenten Ronald Reagan. Es war die Zeit des erbitterten Kampfes von Befürwortern der strikten Anwendung des Seuchenrechtes gegen die aus dem Public-Health-Wesen geforderte Lernstrategie. Die Schwulenfeindlichkeit feierte fröhliche Urständ, und die Junkies wollte man am liebsten auf der Straße verrecken lassen.

Es waren Selbsthilfeorganisationen und Aktivisten, mutige Gesundheitsbehörden und in der BRD die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – gestützt vom Gesundheitsministerium –, die sich dagegen stemmten.

Prävention in der DDR

In der DDR hatte das DHMD die Aids-Prävention übertragen bekommen, wobei es berücksichtigen musste, dass die „Ständige AIDS-Beratergruppe“ des Gesundheitsministeriums und das ZK der SED eine zielgruppenspezifische Aufklärung nicht für nötig hielten. Anders erging es wohl dem Arbeitskreis von schwulen Männern und lesbischen Frauen, der sich 1985 im Dunstkreis der Kirche gebildet hatte, nachdem in der DDR die erste Diagnose bekannt wurde. 1989 konnte das DHMD eine Dia-Serie zum Kondomgebrauch produzieren.

Erstes Safer-Sex-Plakat der DAH aus dem Jahr 1985

Erstes Safer-Sex-Plakat der DAH aus dem Jahr 1985

Ein Beispiel, wie schwierig es auch in der BRD sein konnte, ist von 1987 und kommt aus dem Siegerland: Ein Kalender für Jugendliche wurde als jugendgefährdend beurteilt und vom örtlichen Jugendwohlfahrtsausschuss zurückgerufen, weil darin die Botschaft „AIDS bekommt man nicht beim Schmusen. Und beim Sex schützen Kondome. Rettet die Liebe“ enthalten war. Die lokale Presse mokierte sich und bildete das Rathaus mit einem übergezogenen Kondom ab.

Während in Amerika Masturbation und Partnermassage empfohlen wurden, zeigte die DAH zwei nackte Männertorsi mit der Aufschrift „Sicher besser – Safer Sex“ und erteilte schon mit dem ersten Plakat der Vorstellung, es gebe eine sichere Liebe, eine klare Absage zugunsten des Risikomanagements. Eine Installation mit Kombinationen aus je drei Buchstaben des Malers Allen Grubesic aus dem Jahr 2010 verweist auf die Verschwörungstheorie, HIV sei einem Labor der CIA zu verdanken. Heute wissen wir, dass dieses Gerücht gezielt von KGB und Stasi verbreitet wurde. Marksteine der öffentlichen Wahrnehmung waren der Tod Rock Hudsons (1985) und der Kinofilm Philadelphia (1993).

Gräber, Kriegsmetaphern, Totenschädel …

Es war schnell klar, dass Kondome und saubere Spritzen Schutz bieten. Das geben weltweit nicht nur Plakate wieder, sondern auch die ebenfalls ausgestellten afrikanischen Skulpturen. Was heute eigentlich Allgemeinplätze sein müssten, nämlich, dass Homophobie tötet und dass es häufig erst die Bedingungen sind, die Drogenkonsum gefährlich machen, ist mancherorts noch immer nicht zu vermitteln. So gab – und gibt es –, entgegen allen Erkenntnissen der Gesundheitswissenschaft, immer wieder Versuche, mit Angst zu arbeiten, statt die besonders vulnerablen Szenen zu stabilisieren.

Und so sieht man dann Plakate mit Gräbern, Kriegsmetaphern, Totenschädeln, mit bluttriefenden Spritzen und so zauberhaften Motiven wie ein Baby – flankiert von dem Kommentar: „Die Augen hat es vom Vater und AIDS von der Mutter.“ Es scheint unmöglich, HIV als das zu nehmen, was es ist: eine Infektion, die man mit einfachen Mitteln verhindern und, falls es doch passiert, mittlerweile gut behandeln kann.

Platz ist in Museen ein kostbares Gut. Trotzdem ist es schade, dass sich nicht ein paar Quadratmeter für den Kampf für Substitution und für gleiche Rechte unabhängig von Gender und sexueller Orientierung fanden. Teilhabe, die Möglichkeit zur Mitgestaltung, ist nämlich, folgt man der Ottawa-Charta, eine wesentliche Bedingung für Gesundheit. Man braucht gar nicht bis nach Osteuropa zu gehen, um die Mängel zu finden. Ein Besuch in einer bayerischen Haftanstalt reicht völlig, um festzustellen, was zum Beispiel für Drogen Gebrauchende alles noch im Argen liegt.

Aids-Aktivist David Kirby auf dem Sterbebett

Besonders lobend ist hervorzuheben, dass das „neue Aids“ auch in der Ausstellung angekommen ist, etwa in Spots der DAH („Wussten sie eigentlich …“), und dass die weniger privilegierten Teile der Welt angemessen Raum finden. Etwa die Hälfte der Menschen mit HIV weltweit hat keinen Zugang zu Therapien. Das ist ein Skandal. Ebenso ist es nicht hinzunehmen, dass Nichtversicherte hierzulande von engagierten Ärzten mit durchgeschleppt werden müssen.

Ausstellungsplakat (© Dina Fluck / DHMD)

Ausstellungsplakat (© Dina Fluck / DHMD)

Der Besuch der Ausstellung lohnt trotz Kritik. Unverzichtbar ist das Motiv aus der Benetton-Werbung mit dem Aids-Aktivisten David Kirby und dessen Familie am Lager des Sterbenskranken. Altbekanntes wie „Tina, wat kosten die Kondome?“, Ikarus mit der Zahl seiner Helfezellen auf dem T-Shirt und die niederländische Vorlage eines Mannes mit Kaposi-Sarkomen und der Frage „Willst Du mit mir Liebe machen, sicher?“ erinnern an eine Zeit, deren Zeuge ich nun einmal bin, und an manchen Menschen, der meinen Weg gekreuzt hat.

Man kann sich in kurzen Videosequenzen verlieren und bei einem indischen Plakat, das für Kondome wirbt, fragen, wie die Beteiligten ihre Glieder verknoten mussten, um die erwünschte Stellung hinzubekommen. In meinem Alter wäre das nichts mehr für mich. Und auch die Testhelden der DAH sind angesichts der Supermänner, die auf einigen Plakaten fliegen, so neu auch nicht.

Spannend fand ich internationale Plakate zur Familienplanung und zum aktuellen Umgang mit HIV. Ein Plakat aus der deutschen Kampagne zum Welt-Aids-Tag 2012 mit einem glücklichen Mann mit Baby im Arm und dem Spruch „Ich habe HIV. Und bin Vater geworden“ straft alle düsteren Fantasien Lügen. Im Kinoraum kann man sich dann bei vierzig Videoclips zur Prävention ärgern, erholen oder über die Gleichzeitigkeit und Unterschiedlichkeit der Ansätze staunen.

Die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden läuft noch bis zum 21. Februar 2016. Es gibt ein Begleitprogramm und einen kleinen, reich bebilderten Katalog.

Von Bernd Aretz