PrEP in der Praxis

Auch in Amsterdam ist mit AMPrEP eine Studie zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP, auf Deutsch etwa „Vor-Risiko-Vorsorge“) gestartet – während die gesellschaftliche Diskussion über die Pille zur Vermeidung einer HIV-Infektion gerade erst beginnt.

Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeousHerzlichen Dank an Herausgeber und Autor Leo Schenk sowie Fotografin Jeannette Cornelisse für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Styling: Studio Dirk / Angelique Berend

370 Teilnehmer können mitmachen, aber schon einen Tag, nachdem der Gesundheitsdienst Amsterdams im Juni die geplante Studie zur HIV-PrEP mit dem HIV-Medikament Truvada bekanntgemacht hatte, meldeten sich 350 Interessierte, und nach vier Wochen waren es 550 – wodurch die erste Frage der Studie, nämlich die nach dem Bedarf an PrEP, beantwortet ist. Die beiden Ärzte Elske Hoornenborg (40) und Roel Achterbergh (26) sind das Gesicht des Forschungsteams, das den Gebrauch von und die Erfahrungen mit der PreP unter schwulen und Trans*-Menschen untersuchen soll. Dass Truvada wirkt, ist wissenschaftlich erwiesen: Eine englische und eine französische Studie konnten beide eine Effektivität Schutzwirkung von mindestens 86 Prozent feststellen.

Pläne für AMPrEP gab es schon einige Jahre lang. Warum hat es so lange gedauert, bis ihr loslegen konntet?

Roel: „Wir arbeiten mit einem HIV-Medikament, das nicht als Präventionspille zugelassen ist. Da muss man vorher schon ganz genau wissen, was man untersuchen möchte, weil hinterher nichts mehr verändert werden darf. Wenn man dann alles gut beschrieben hat, bittet man die Ethikkommission um Zustimmung. Das kostet Zeit.“

Dass Truvada wirkt, ist wissenschaftlich erwiesen

Elske: „Ohne Medikamente kein Projekt. Der Truvada-Hersteller Gilead hat seine Mitarbeit zugesagt, weil er Teil des H-Teams (Hiv Transmissie Eliminatie Amsterdam) ist, das die Verbreitung von HIV in Amsterdam auf unterschiedliche Weise angeht. Bis alles stimmte mit den Pillen und dem Vertrag, war dann auch schon wieder ein Jahr verstrichen.“

Nach der Bekanntgabe im Juni habe ich keine einzige Anzeige gesehen, die für die Teilnahme warb. War das eine bewusste Entscheidung?

Elske: „Unser Plan war, Männer anzusprechen, die in die Sprechstunde der Ambulanz für sexuell übertragbare Infektionen kommen. Das ist der passende Ort für ein gutes Gespräch über die PrEP. Innerhalb von zwei Jahren wollten wir so Teilnehmer für die Studie zusammen haben. Doch diesen Plan mussten wir fallen lassen, weil wir mehr Anmeldungen als verfügbare Plätze bekamen.“

Es gibt einige Kriterien für die Teilnahme an der Studie. So muss man zum Beispiel im Laufe des zurückliegenden Jahres eine sexuell übertragbare Infektion und mindestens einmal Sex ohne Kondom mit einem Mann gehabt haben, der nicht der feste Partner ist. Denkt Ihr, dass ihr die richtige Gruppe gewinnen konntet?

Elske: „Ja, ich glaube schon, dass wir einen Teil der Gruppe, die wir suchen, gewinnen konnten. Aber natürlich gibt es noch mehr Menschen, die wir brauchen könnten, aber auf diese Weise nicht erreichen. Wenn ich noch tausend Plätze mehr zu vergeben hätte, würde ich sicher viel Zeit investieren, um diese Menschen anzusprechen.“

Das Screening der Teilnehmer hat inzwischen begonnen. Wie geht das?

Elske: „Wir screenen zehn Teilnehmer pro Woche, das heißt, wir überprüfen ihre Nierenfunktion [Truvada beeinträchtigt die Nierenfunktion, bei einer Nierenfunktionsstörung ist daher besondere Vorsicht angesagt; Anm. d. Red.] und testen auf sexuell übertragbare Infektionen. Nach dem Ausfüllen einiger Fragebögen bekommen die Teilnehmer dann Truvada für einen Monat mit. Nach einem Monat führen wir die Kontrollen und Tests erneut durch. Ab dann kommen die Kandidaten alle drei Monate wieder.“

Uns interessiert: Wie wird über die PrEP gesprochen?

Was fragt ihr?

Roel: „Wir stellen Fragen zum sexuellen Verhalten, um sehen zu können, ob sich durch die PrEP etwas verändert: Hat er mehr Sex oder gebraucht er weniger Kondome? Wir fragen auch nach den Erfahrungen mit der PrEP, zum Beispiel, ob dadurch die Angst beim Sex sinkt. Außerdem interessiert uns, ob über die PrEP gesprochen wird. Daran können wir die soziale Akzeptanz erkennen und ob jemand sich dafür schämt. Und wir schauen auch, ob mehr Drogen gebraucht werden. Das wäre dann eine der weniger positiven Effekte der PrEP.“

Wir wissen, dass die PrEP funktioniert. Was gibt es dann noch zu untersuchen?

Elske: „Wir erforschen nicht die Effektivität von PrEP, sondern wie Truvada in der Praxis funktioniert. Das ist wichtig, bevor es breit eingesetzt wird. Das Projekt wird so einen Schatz an Informationen über die Einführung der PrEP in den Niederlanden liefern.“

Wo stehen wir in drei Jahren?

Elske: „Ich fände es sehr schade, wenn wir den Teilnehmern nach den drei Jahren sagen müssten: Okay, das war das Projekt, aber jetzt habe ich leider keine PrEP mehr für dich – du weißt doch noch, wie das mit den Kondomen geht? Das wäre sehr schade, aber die Gefahr besteht. Wir können nicht versprechen, die PrEP länger als die drei Jahre ausgeben zu können. Hoffentlich gibt es bis dahin einen regulären Weg, an die PrEP zu gelangen.“

Bedeutet das, dass die PrEP bis dahin vielleicht nicht allgemein verfügbar ist?

Roel: „Der erste Schritt liegt beim Hersteller. Gilead wartet auf offizielle Resultate von Studien in Frankreich und vor allem England. Der europäische Druck auf Gilead ist groß, die Zulassung bei der European Medicines Agency (EMA) zu beantragen. Es kann daher sein, dass die PrEP schon innerhalb von zwei Jahren auf dem niederländischen Markt verfügbar sein wird.“

Ich fände es nicht gut, wenn jemand ohne Geld für die PrEP bezahlen müsste

Bislang werden vor allem die Kosten kritisiert, à la „Meine Mutter kriegt ihren Rollator nicht vergütet, warum wird dann für den Schwulen und seine Spaßpille bezahlt?“ Wie reagiert ihr darauf?

Roel: „Ich fände es nicht gut, wenn jemand ohne Geld für die PrEP bezahlen müsste. Wir haben in den Niederlanden zum Glück ein gutes Versorgungssystem, bei dem es keine bessere Versorgung für Reiche als für Arme gibt. Trotzdem ist es kompliziert, weil Präventionsleistungen hier kaum erstattet werden. Wenn die Pille zwei Cent kosten würde, würden wir jetzt ein anderes Gespräch führen. Das Patent auf Truvada ist in zwei Jahren abgelaufen. Das wird das Medikament viel billiger machen.“

Es gibt auch HIV-Positive, die wegen Truvada Beschwerden haben und sich deshalb scharf gegen die PrEP positionieren.

Elske: „Die Forschung belegt, dass die Nebenwirkungen beim PrEP-Gebrauch nicht schlimm sind. In den ersten vier Wochen kommt es bei einem von zehn Gebrauchern zu etwas Übelkeit, aber das geht meist vorbei. Nierenprobleme sehen wir sehr selten. HIV-Positive nehmen die Pille viel länger in Kombination mit anderen Medikamenten. Außerdem haben sie HIV im Körper. Das Immunsystem ist also aktiver und setzt diverse Stoffe frei. Deshalb haben Menschen mit einer HIV-Infektion zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für „normale“ Krebsarten. Man kann die beiden Gruppen nicht miteinander vergleichen.“

Werdet ihr euch jetzt drei Jahre lang für eure Untersuchung zurückziehen, oder nehmt ihr an der öffentlichen Debatte teil?

Roel: „Klar nehmen an der Debatte wir teil. Die PrEP steht im Scheinwerferlicht. Auf dem jährlichen nationalen Kongress SOA HIV Sex am Welt-Aids-Tag wird es dazu einen Workshop geben. Und wir halten diverse Vorträge für Pflegepersonal und andere Interessierte.“

Elske: „Viele Leute denken doch erst mal: Warum soll man eine teure Pille mit Nebenwirkungen einnehmen, obwohl man doch ein Kondom gebrauchen kann? Wenn man darüber eine Weile nachdenkt und es dann pragmatisch betrachtet, versteht man, dass die PrEP funktioniert: Als Ergänzung bestehender Präventionsmittel und in Kombination mit der sofortigen Behandlung einer neu diagnostizierter HIV-Infektionen.“