„Ehrenhafte Ideen“ im Gesundheitswesen brauchen Leuchtturmprojekte und Kontakte zu Machern: Im Gespräch mit Dr. Matthias Kaiser

Der Ausschuss Wettbewerb interviewte Herrn Dr. Matthias J. Kaiser zu dessen Idee des patientenorientierten Diabetesmanagementprogramms „DMP 2.0“ sowie der Anbindung von digitalen Begleitanwendungen. Herr Dr. Kaiser ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Innovations- und Dialogmarketing an der Universität Bayreuth und kann auf eine langjährige Erfahrung im nationalen und internationalen Bereich von Marketing, Vertrieb und Innovation zurückgreifen. Dabei liegt sein Schwerpunkt u. a. auf dem Gesundheitswesen, speziell bei Versorgungsinitiativen, Market Access und Leistungsträgerseite. Peggy Zimmermann und Annegret Schnick baten den Experten um eine Einschätzung der Ergebnisse des Ausschusses Wettbewerb.

Dr. Kaiser mit Annegret Schnick und Peggy Zimmermann vom Ausschuss Wettbewerb

Dr. Kaiser mit Annegret Schnick und Peggy Zimmermann vom Ausschuss Wettbewerb

Schnick: Der Ausschuss verwendet den Begriff „Solidarischer Wettbewerb“, d. h. sowohl eine einkommensabhängige Beitragszahlung als auch beitragsunabhängige Leistungen einer Basisversicherung bleiben für alle Bürger bestehen. Durch das zusätzliche Angebot von einzelnen Leistungen, Heil- und Hilfsmitteln sowie Arzneimitteln für Diabetes-Patienten, welche nicht im Leistungskatalog der Basisversicherung aufgenommen wurden, können die Versicherungsanbieter und die Leistungserbringer einen direkten Preis-, Qualitäts- und Leistungswettbewerb eingehen.

Schätzen Sie die Definition des Ausschusses als realistisch ein, Herr Dr. Kaiser?

Dr. Kaiser: “Zunächst muss der Ausschuss beachten, dass der Begriff Solidargemeinschaft im allgemeinen Verständnis des Gesundheitswesens den freien Wettbewerb in gewissem Maße einschränkt. Die Akteure definieren hier unabhängig vom Patienten das Leistungsangebot. Natürlich bestehen einzelne Wettbewerbselemente, wie bspw. die individuelle Festlegung der Zusatzbeiträge, jedoch besteht dabei die Frage inwieweit das vom Ausschuss gestellte Ziel der Patientenorientierung unterstützt werden kann. Um die Eigenverantwortung des Patienten zu erhöhen, empfehlen sich zunächst eine Segmentierung geeigneter Zielgruppen sowie deren gezielte Ansprache durch individuelle Strategien für in Frage kommende Patientengruppen. Die Einbindung von digitalen Begleitanwendungen, wie bspw. Apps, kann bei der jüngeren Generation geeignet sein.”

Zimmermann: Das DMP 2.0 stellt nicht nur ein Angebot für Patienten mit Diabetes dar, sondern lässt ihn durch eine eigenverantwortliche und aktive Teilnahme sowohl zum Adressaten als auch zum wesentlichen Kunden des Versorgungsangebots werden. Durch eine (verpflichtende) kontinuierliche digitale Rückkopplung zwischen Patient, Leistungserbringer und Krankenkasse, beispielsweise durch eine Diabetes-App, können die zentral beschriebenen Elemente des DMP 2.0 den Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Patienten angepasst werden.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten einer erhöhten Eigenverantwortung des Patienten?

Dr. Kaiser: “Grundsätzlich ist eine verstärkte Eigenverantwortung zu begrüßen, jedoch geht dies nicht ohne die richtigen Anreize für die beteiligten Akteure. Dabei müssen Sie die Alltagspraktikabilität der einzelnen Anreize, wie Smartphones, Beiträge etc. beachten. Wenn der Patient bspw. ein Smartphone von der Krankenkasse bei Teilnahme am DMP 2.0 erhält, muss geklärt sein, was bei Verlust passiert. Die richtige Anreizsetzung pro Patientengruppe kann sehr komplex sein. Die Integration der Patienten ist eine ehrenwerte Aufgabe, jedoch sollten Sie bspw. mit Patientenvertretern diskutieren, was hierbei realistisch erreichbar und sinnvoll ist.”

Schnick: Der Patient soll in dem erdachten DMP 2.0 individuelle Jahresziele der Behandlung zusammen mit dem Arzt festlegen. Hierbei können auch gezielt digitale Begleitanwendungen, wie Apps, unterstützend eingreifen.

Worin sehen Sie die Herausforderungen, solche Apps im Gesundheitswesen gezielt einzusetzen?

Dr. Kaiser: “Hinsichtlich der Herausforderungen sehe ich vielfältige Aspekte:

  1. Datenschutz und -hoheit: Hierbei liegt die Aufgabe, Patientendaten sinnvoll und sektorenübergreifend nutzbar zu machen. Der Patient muss dazu hinsichtlich des Umgangs und der Freigabe seiner eigenen Daten geübt und aufgeklärt sein und jederzeit die Hoheit über seine Daten haben.
  2. Das Verhältnis zwischen Krankenkassen, Leistungserbringern und pharmazeutischen Unternehmen ist sehr fragmentiert. Neue Versorgungsideen lohnen sich vor allem als regionale Leuchtturmprojekte, bei der eine gute Managementstruktur und ein entsprechendes „Relevant Set“ vorhanden ist. Dadurch können Kosten und Nutzen Ihrer Idee gemessen werden und weiteren Akteuren nachhaltig und glaubhaft vorgestellt werden.
  3. Bei dem Angebot von Apps durch Krankenkassen müssen Sie das Image und die Strategie des jeweiligen Kostenträgers beachten. Negative Aspekte, wie bspw. eine Sanktion der Patienten bei Nichtteilnahme am DMP 2,0 sind wenig realistisch. Zudem werden Krankenkassen das Interesse haben, die Ausgestaltung der Apps zu definieren und durch Exklusivverträge mit den Herstellern über eine gewisse Zeit an sich zu binden.

Suchen Sie sich bundesweit nach regionalen Akteure und sprechen Sie auch die Ärzteschaft hinsichtlich Ihrer Ideen an. Beginnen Sie mit Leuchtturmprojekten um den Effekt Ihrer Ideen darzustellen und dann auf potentielle Partner zuzugehen. Dies unterstützt Sie auch bei einer möglichen Finanzierung durch den Innovationsfonds (erst Partnerschaft stärken, dann weiter kreativ bleiben). Die Weiterentwicklung des DMP sehe ich aber als positive und ehrenwerte Aufgabe an. In Zukunft werden sich sicher weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Stakeholdern des Marktes eröffnen – bleiben sie am Ball!”

Vielen Dank Herrn Dr. Kaiser für das aufschlussreiche Interview!