Mit HIV kann man heute dank Medikamenten ganz normal alt werden. Aber welchen Einfluss hat das Älterwerden mit HIV auf den Alltag? hello gorgeous hat darüber mit Lenore, Paul und Marlies gesprochen – alle drei in den 30ern und HIV-positiv.
Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeous. Herzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, Autor Wim Don (Interviews) und Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
Lenore (35)
„Ich war 23 und schwanger, als ich von meiner HIV-Infektion erfuhr“, erzählt Lenore. „Ich dachte damals noch nicht wirklich über das Älterwerden nach. Ich nahm das Leben so, wie es kam.“ Die Nachricht dringt nicht gleich zu ihr durch, und Lenore fragt sich erst später, was das für ihre Zukunft und ihr Kind bedeutet.
Angst hat sie trotzdem nicht. „Ich habe Informationen gesammelt, um mich selbst zu beruhigen. Ich denke, das tut eigentlich jeder. Dann überzeugt man sich auch selbst davon, dass man damit alt werden kann. Das habe ich ab einem gewissen Moment auch wirklich gefühlt. Für jeden ist das Leben unsicher und für mich ist es durch mein HIV nicht unsicherer. Wir werden sehen.“
Beschwerden
Dank dieser nüchternen Betrachtung geht es Lenore, die jetzt seit 16 Jahren mit HIV lebt, vor allem um Qualität in ihrem Leben. „Einerseits will ich Rücksicht darauf nehmen und so gesund wie möglich leben. Andererseits will ich auch einfach leben, ohne dauernd über alles nachdenken zu müssen. Ich will den Augenblick genießen. Leider geht das körperlich nicht immer gleich gut. Na ja, ich werde auch ganz einfach älter. Ich weiß nicht, wie das ohne HIV wäre.“ Was nicht heißen soll, dass sie sich mit Beschwerden abfindet: „Vor Kurzem habe ich meine Therapie umgestellt. Vielleicht fühle ich mich damit besser, und die Beschwerden werden etwas weniger.“
Ich weiß nicht, wie Älterwerden ohne HIV wäre
Lenore denkt ab und an auch über die Frage nach, wie lange man mit HIV leben kann. „Aber eigentlich ist das nicht wichtig“, sagt sie. „Das ist einfach mein Leben. Ich bin gläubig: Wenn es an der Zeit ist, gehe ich – HIV-positiv oder nicht. Das kann morgen sein, aber ich peile die 100 an, obwohl ich es nicht so wichtig finde, ob ich das schaffe. Ich hoffe, dass ich lange und bei guter Lebensqualität leben kann.“
Paul (35)
Acht Jahre lebt Paul jetzt mit HIV. „Ich war Ende 20 und hatte noch keine genauen Vorstellungen vom Älterwerden. Das war für mich eher etwas, das von selbst passieren wird. Ich wollte schon gerne alt werden, mindestens 80. Aber wie, damit habe ich mich damals noch nicht beschäftigt.“ Die HIV-Infektion sorgte dafür, dass Paul heute gesünder lebt. „Wenn ich es denn schon so lange schaffen möchte, dann muss ich auch etwas dafür tun. Durch HIV ernähre ich mich bewusster und trinke weniger Alkohol als vorher. Und ich muss echt mit dem Rauchen aufhören, aber das finde ich noch sehr lästig.“
Paul kennt aus seinem engeren Umfeld einige ältere Menschen mit HIV. Einige von ihnen haben Beschwerden, andere nicht. Aber das lässt ihn eigentlich kalt. „Es kann schließlich alles passieren. Also probiere ich einfach, gesund zu leben und mich weiterhin zu bewegen. Aber alles in Maßen, nicht zu extrem. Ich hoffe, das langt, um die 80 zu schaffen.“
Naiv
Weil er seine Medikamente regelmäßig einnimmt und kaum Beschwerden hat, setzt Paul darauf, dass er alt wird, wenn auch nicht extrem alt. „Über das Älterwerden mit HIV ist noch nicht viel bekannt, und es können viele Komplikationen auftreten, auch dadurch, dass man über viele Jahre Medikamente nimmt. Aber darüber mache ich mir keine Sorgen. Das mag vielleicht naiv sein, aber auf der anderen Seite ist es angenehm so. Ich könnte mir schon Sorgen darüber machen, was alles passieren kann, aber das kann ich echt nicht brauchen. Und was ist schon alt? Ich denke schon, dass ich 60 werde, aber vielleicht nicht 80.“
Marlies (34)
„Vor meiner HIV-Diagnose bedeutete Älterwerden für mich, Mutter zu werden. Ich verband damit kein bestimmtes Alter und dachte schon daran, dass ich älter werde, aber Mutter zu werden war für mich wichtiger. Als ich dann erfuhr, dass ich HIV-positiv bin, hatte ich keine Angst, dass ich gleich sterben würde, aber ich dachte schon, dass sich dadurch – in Kombination mit meinem Asthma und meinen Allergien – mein Leben verkürzen würde.“
Inzwischen lebt Marlies seit vierzehn Jahren mit HIV, doch auch wenn ihr Internist ihr erzählt, sie könne damit 80 werden, ist sie skeptisch. „Das Gefühl von damals ist eigentlich stärker geworden. Ich arbeite ehrenamtlich bei der HIV-Vereinigung, wo ich regelmäßig mit dem Tod konfrontiert werde, zum Beispiel in Folge eines Herzstillstands oder von Krebs. Das bestätigt jedes Mal wieder mein Gefühl, dass ich wegen HIV nicht so lange leben werde, und ich frage mich, ob die Menschen ohne HIV länger gelebt hätten.“
Bewusster
Marlies erschrickt jedes Mal wieder, wenn jemand in ihrer direkten Umgebung stirbt. „Das bringt den Tod schon näher ran“, sagt sie. Auf der anderen Seite weiß sie auch, dass sie medizinisch aufgrund der regelmäßigen Untersuchungen gut kontrolliert wird. „Vor Herz- und Kreislaufkrankheiten habe ich aber schon Angst, auch weil die in meiner Familie häufig vorkommen und ich einen zu hohen Cholesterinspiegel habe.“ Außerdem leidet Marlies unter einem gestörten Hormonhaushalt. „Ich frage mich, ob ich das sowieso gekriegt hätte oder ob das kommt, weil ich HIV-positiv bin.“
Wie dem auch sei: Marlies versucht, so viel wie möglich aus dem Leben herauszuholen. „Ich will vor allem genießen. Ich lebe bewusster und mache mir nicht mehr so schnell über alle möglichen Dinge Sorgen. Meine drei Kinder geben mir Zufriedenheit und eine Zukunft. Ich denke, dadurch bleibe ich jung. Wenn ich alleine geblieben wäre, wäre das anders gewesen.“