Egal ob schwul, lesbisch, ob HIV-positiv oder nichts von alledem. Die Türen des Sozial- und Rehazentrums West stehen allen offen. Bernd Aretz hat die Pflegeeinrichtung in Frankfurt-Rödelheim besucht.
Der Speiseplan für die Woche hängt außen aus, auf der Eingangstür klebt der „Regenbogenschlüssel“, die jeweils für ein Jahr geltende Zertifizierung der niederländischen Organisation „Roze Zorg“ („Rosa Pflege“) für ein Haus, das die besonderen Bedürfnisse von Homosexuellen ernst nimmt und für eine diskriminierungsfreie Umgebung sorgt.
Das Sozial- und Rehazentrum West in Frankfurt-Rödelheim bietet alles von der Kurzzeitpflege über dauerhafte stationäre Pflege bis hin zu Wohngruppen, eine davon sogar speziell für schwule Männer. Es ist ein offenes Haus, dessen Restaurant- und Caféangebote auch gerne von der Nachbarschaft angenommen werden. Darüber hinaus ist es spezialisiert auf die Versorgung von Menschen mit HIV oder Aids und arbeitet eng mit dem Infektiologikum Frankfurt zusammen. Derzeit befindet sich das Haus im Umbau, das ändert aber nichts an seiner Herzlichkeit.
Die Empfangsdame bietet mir sofort einen Kaffee in den unterschiedlichsten Variationen an. Ich setze mich in den Aufenthaltsraum, sehe vereinzelte, in sich versunkene alte Männer. Es dauert ein wenig, bis ich auch das plaudernde Pärchen wahrnehme, das sich verzieht. Unterdessen holt mich Ilka Richter ab, die Hausleiterin. Mit einem Blick auf mich als potenziellen Bewohner bietet sie völlig selbstverständlich an, meine Tasse in ihr Zimmer zu tragen, was ich wegen meines gelegentlichen Tremors dankend annehme.
Klare Haltung gegen Diskriminierung
Das Rehazentrum gehört zum Frankfurter Verband, der sich als gemeinnütziger Verein nach dem Ersten Weltkrieg gegründet hat, um die Versorgung der Kriegsversehrten und plötzlich alleinstehenden Witwen durch einen runden Tisch und die Zusammenarbeit aller Engagierten zu koordinieren und zu sichern.
Was das Besondere an ihrem Verband ist, vermag Ilka Richter nicht so recht zu benennen: „Wir waren halt immer schon etwas anders.“ Vielleicht hat dabei mitgespielt, dass er aus bürgerschaftlicher Verantwortung heraus entstanden ist. Zu ihm gehört auch das ebenfalls mit dem „Regenbogenschlüssel“ zertifizierte Julie-Roger-Haus und das Café Karussell für homosexuelle Männer ab Sechzig im Switchboard der Frankfurter AIDS-Hilfe.
Vor etwa sieben Jahren meldete sich Norbert Dräger, Leiter des „Schwulen Zentrums Frankfurt“ der dortigen Aidshilfe, bei Ilka Richter, um mit ihr über die Sensibilisierung ihres Teams in Sachen Homosexualität zu reden. Wenn ich mich recht erinnere, war die Idee, ein „Altenpflegayheim“ in Frankfurt einzurichten, gerade mangels Nachfrage zu Grabe getragen worden und hatte dem Gedanken Platz gemacht, bestehende Einrichtungen zu öffnen. Daraus hervor gingen ein fortlaufender Sensibilisierungsprozess für die im Haus Tätigen und eine klare Haltung gegen jegliche Form der Diskriminierung, auch durch Bewohner_innen und deren Angehörige.
Travestieabende und schwule Filme
Denn angesichts der hin und wieder wechselnden Bewohner_innen und der gelegentlichen Veränderungen im Kollegium darf man nicht auf das Erreichte vertrauen. Daher wird Norbert Dräger regelmäßig zum Gespräch mit den Mitarbeiter_innen eingeladen. Aber auch das Haus selbst ist aktiv, um ein offenes Klima zu schaffen: Es gibt zum Beispiel Travestieabende, und in einer Filmreihe werden schwule Filme gezeigt.
Alle Bewohner_innen des Hauses müssen die Vielfalt aushalten können und sollten diese möglichst schätzen lernen. Bei Fällen von Beschwerden und Konflikten haben sich zwei Männer der Gruppe 40plus aus dem Umfeld der Frankfurter AIDS-Hilfe als externe Schlichter bereit erklärt. Die Rosa Paten, Ehrenamtliche, die homosexuelle Senior_innen besuchen, sind häufig im Haus anzutreffen.
Der Blick war wohl deswegen auf das Rehazentrum gefallen, weil es auch vorher schon keine Schwierigkeiten mit der Aufnahme von Menschen mit Aids hatte und auf Wunsch der Uniklinik auch Kurzzeitpflege übernahm. Das war alles eine Sache der Schulung, und für Ilka Richter ist es immer noch verblüffend, dass das Haus mit seinen inzwischen achtzehn Plätzen und seiner auch nach außen getragenen Offenheit ein Alleinstellungsmerkmal hat.
Betreuung durch das Frankfurter Infektiologikum
Jedes Haus hat unterschiedliche Schwerpunkte. Die Betreuung erfolgt regelmäßig durch das Infektiologikum. Bei uns, erzählt Ilka Richter, sind die Pflegebedürftigen oft besser aufgehoben als im bisherigen Umfeld. Das schützt die Familie und Freunde vor Überforderung und gibt Raum für gemeinsame Zeitgestaltung.
Auf die Frage, ob bei ihr, wie im Julie-Roger-Haus, auch Stripper zum Tanz auf den Tischen eingeladen werden, antwortet sie, sie seien ein traditionelles Haus. Darin könne man durchaus offen schwul sein, aber sie sei überzeugt, dass es den einen oder anderen älteren Herrn gibt, dem es ganz recht ist, sich nicht outen zu müssen. Man muss ja sehen, dass die heutigen Bewohner noch vom §175 StGB mit voller Wucht und in der von den Nazis verschärften Fassung betroffen waren, teilweise auch schon während des Nationalsozialismus. Aber auch ihnen mag es helfen, deutliche Zeichen zu bekommen, dass sie so sein dürfen, wie sie sind. Der Wohnbereich für schwule Männer setzt schon ein anderes Selbstverständnis voraus.
Im Julie-Roger-Haus tanzen auch mal Stripper auf den Tischen
Das Julie-Roger-Haus mit seiner schwulen Hausleitung ist da flippiger. Das geht mit der Einrichtung los und endet mit den Festen. Das hat für viele Vorteile, macht es aber gleichzeitig schwerer, versteckt zu leben, wenn man es denn nun will. Einer der Unterschiede ist, dass man die „Julie“ mit viel Nippes im Stil einer Pension der Dreißiger- oder Vierzigerjahre eingerichtet hat, was den dort überwiegend an Demenz erkrankten Bewohner_innen ein Gefühl von Heimat vermittelt. Die schon erwähnte Sitte, Stripper einzuladen, begann übrigens mit der Geburtstagsfeier einer hundertjährigen Dame, die noch mal einen nackten Mann sehen wollte – aber nicht so einen alten Knacker. Daraus hat sich inzwischen ein jährliches Stadtteilfest entwickelt.
Im Rehazentrum West gibt es nur wenige Doppelzimmer, berichtet Ilka Richter, alle Zimmer sind recht großzügig und mit einem eigenen Sanitärbereich versehen. Gefrühstückt wird vom Buffet, also dann, wann die Damen oder Herren möchten. Auf die Frage, ob es auch offen lebende lesbische Frauen gebe, erzählt sie von einem Paar, das mal bei ihr gewohnt hat. Sie kennt zwar die Beratungsstelle für lesbische Frauen, diese habe aber nie den Dialog gesucht wie die schwule Szene. Vielleicht hat sich da durch Aids trotz aller Schrecken bis in die Neunzigerjahre eine Sorgsamkeit füreinander entwickelt, die immer noch trägt.
Ilka Richter schätzt ehrenamtliches Engagement, das das soziale Leben bereichert, auch wenn sie vorsorglich darauf hinweist, dass bei einer gleich verabredeten halbstündigen Lesung der eine oder andere sicherlich einschlafen werde. Das geht mir manchmal auch nicht anders.