Donnerstag Nachmittag, etwa 4 Uhr. Heute in der Apotheke: Drogist Urs, Lehrling Anna, Apothekerin: ich – normalerweise wären wir noch mindestens eine Person mehr, aber die ist heute krankheitshalber ausgefallen Und Pharmaassistentin Donna ist in den Ferien. Das soll sich rächen.
Urs wurde inzwischen eingeführt und hat auch angefangen in der Apotheke zu helfen, kann aber natürlich nicht alles. Der Lehrling kann / darf noch gar nichts was die Rezepte angeht, also bin ich gefordert. Urs hat mir eine Liste gegeben, die er von einer Patientin mit Dauerrezept bekommen hat, wo er die Medikamente schon herausgesucht und sie bereitgelegt hat. Ich bin gerade dabei sie zu kontrollieren und einzulesen, da drückt mir der Lehrling ein neues Rezept in die Hand.
Ich kenne den Namen: Roth – der Mann dieses älteren Pärchens (beide fast 80) war diese Woche schon 2 mal hier, einmal hat er Bioflorin verlangt, weil seine Frau Durchfall hat, das zweite Mal fragte er, was sie sonst noch machen kann – es sei ziemlich heftig. Nachdem ich gründlich nachgefragt habe, habe ich Imodium empfohlen – und ihm gesagt, dass, wenn es damit nicht bald besser wird, er mit dem Arzt Kontakt aufnehmen soll.
Offenbar ist es nicht besser geworden. Der Arzt hat bei seinem Hausbesuch (ja, es gibt auch hier noch selten Ärzte, die das machen) ein Rezept ausgestellt
Vancomycin 250mg
Oh weh. Er vermutet also einen Clostridium difficile (einen schwierig zu behandelnden Darmkeim. Woher sie den wohl hat?) … aber Vancomycin als Reserve-Antibiotikum ist jetzt wirklich nicht etwas, was man so an Lager hat. Also gehe ich zum Mann und frage, wie es ihr geht – denn: ich kann versuchen, das zu bekommen, aber bestellen kann ich es nur auf morgen früh und die Chancen das vor Morgen zu erhalten (von einer anderen Apotheke) sind sehr klein.
Herr Roth: „Es bleibt rein gar nichts drin, was sie reinschüttet kommt unten wieder raus. Auch mit dem Imodium. Der Arzt hat gesagt, das sei ein letzter Versuch, sonst muss sie ins Spital.“
Ja, da reicht morgen nicht. Ich setze den Lehrling daran, die grösseren Apotheken in der Umgebung abzutelefonieren, ob sie das haben, während ich die Medikamente vom ersten Rezept kontrolliere und – da die Patientin jetzt kommt – gleich abgebe.
Kleiner Check, wie es aussieht: Keine andere Apotheke hat das Antibiotikum.
Also gebe ich dem Lehrling den Auftrag zu versuchen den Arzt zu erreichen, damit wir einen Ersatz finden.
Das zweite Telefon läutet (hier sollte ich noch anmerken, dass in der Zwischenzeit andere Kunden und Patienten kommen). Urs nimmt ab, ich übernehme den nächsten Kunden – eine einfache Nachfrage nach Neocitran, die ich schnell (“für Sie selber? Was für Beschwerden? Andere Medis?”) abkläre und abgebe.
Urs drückt mir danach einen Zettel in die Hand auf dem nur steht: Herr Dose 2mg Risperdal morgens.
Urs: „Das war die Psychiatrie, sie haben die Dosierung für das Risperdal von Herrn Dose auf 2mg morgens geändert, wir sollen das Dosett entsprechend anpassen.“
„Was?“ sage ich „Aber er bekommt doch schon 2mg morgens und abends? Das ist keine Änderung.“
Ich drehe mich um, um das nachzukontrollieren, komme aber nicht weit, denn genau jetzt kommt Herr Dose zur Tür herein.
„Haben Sie die Änderung bekommen?“ begrüsst er mich schon.
„Wir haben gerade ein Telefon bekommen, aber da stimmt noch etwas nicht. Bitte warten Sie einen Moment, bis ich das geklärt habe“
Der Lehrling hinten am Telefon hält mich auf: „Ich erreiche niemanden.“
„Versuche es weiter, aber sag erst Herrn Roth dass Du jetzt versuchst den Arzt zu erreichen“.
Ich schaue beim Dosett von Herrn Dose nach – wo auch der Behandlungsplan steht. Er hat schon 2mg morgens. Ich gehe ans Telefon um in der Psychiatrischen Klinik anzurufen.
Zum Glück erreiche ich gerade die richtige Person. Sie schaut nach und erklärt: „Das stimmt. In dem Fall sind es jetzt 2mg und 0.5mg zusätzlich morgens.“
„Gut, ich ändere das im Dosett – könnten Sie mir die Änderung auch gleich noch schriftlich, per Fax schicken für die Unterlagen? Danke.“
Also rasch Nachricht an Herrn Dose vorne, dass ich jetzt die richtigen Angaben habe und das Dosett ändern werde – dauert etwas – dann gleich wieder nach hinten.
Der Lehrling hat den Arzt immer noch nicht erreicht.
Ich gehe zu Herrn Roth das Problem besprechen.
Herr Roth meint: „Ja, der Arzt ist schwer erreichbar, wir haben es heute auch ein paar Mal versucht.“
Ich sage ihm, er soll nach Hause gehen (so weit hat er nicht), dass wir es weiter versuchen und dass wir uns melden, sobald wir eine Lösung haben, dass er aber schauen soll wegen der Frau. Wenn wir es nicht schaffen in den nächsten 2 Stunden etwas zu finden, dann sollte er sich sicherheitshalber vielleicht doch ins Spital begeben mit seiner Frau.
Echt – man sollte das nicht unterschätzen. Durchfall macht, dass man rasch viel Wasser verliert – und Dehydration ist sehr ungesund, vor allem schlimm bei sehr jungen und sehr alten Personen. Wir brauchen Wasser und die Salze darin zum überleben – und Frau Roth nimmt Herzmedikamente …. das Herz ist abhängig von einem korrekten Kaliumspiegel … Ja, das kann gefährlich werden.
Er geht, ich geh ins Labor das Dosett umrüsten, Urs arbeitet Kunden und Patienten ab und der Lehrling hilft tapfer mit.
Kaum fertig mit dem Dosett geht schon wieder das Telefon. Ich nehme ab und es ist (Oh Wunder!) die Praxis vom Hausarzt von Frau Roth. Ich erkläre mein Problem – und die Praxisassistentin verspricht mir zurückzurufen, sobald sie ihn erreicht hat.
Ich gebe das Dosett an Herrn Dose und erkläre die Änderung – aber das wusste er ja schon alles …
Ich kontrolliere das nächste Rezept, das mir Urs bringt.
Das Telefon geht.
Es ist wieder die Hausarztpraxis – der Ersatz ist Metronidazol. Haben wir!
Ich rufe bei Roths an um zu sagen, dass wir etwas gefunden haben und dass es abholbereit ist.
…
Ja – so geht das gelegentlich. Das ist anstrengend und fordernd, dafür hat man am Ende des Tages auch wirklich das Gefühl, etwas gemacht und erreicht zu haben. Das ist es, was diese Arbeit auch befriedigend macht. Trotzdem ist das Multitasking nicht ideal … ich hoffe, ihr verzeiht es Eurer Apothekerin, wenn sie deshalb gelegentlich etwas abgelenkt erscheint …