Die Neurologie bekommt Orbis! Endlich fängt die ‚Ära Informationstechnologie‘ auch hier im Krankenhaus an. Ade, ihr dicken Patientenakten mit handgeschriebenen Protokollen und mal mehr und mal weniger säuberlich abgehefteten Arztbriefen, Rezepten und Untersuchungsergebnissen. Manche werden euch vermissen, andere machen drei Kreuze, wenn es euch nicht mehr gibt.
Weil Studenten Zeit haben und zudem fit sind am Computer, sind wir die ersten, die geschult werden. Danach werden wir den Ärzten hilfreich zur Seite stehen – keine ganz schlechte Idee!
Die Schulung findet direkt neben der Kantine statt
Der Seminarraum versprüht den Charme eines in die Jahre gekommenen, prätentiös vornehm aber nicht sonderlich hochwertig eingerichteten Besprechungsraumes für die Führungsetage. Die Stühle aus dunklem Holz sind lackiert und die Sitze und Lehnen bezogen mit besticktem Stoff, auf dem Tiermotive zu sehen sind. Für zehn Leute stehen Computer bereit, nur fünf Studenten sind anwesend. Grinsend hat mir einer von ihnen kurz zuvor erzählt, dass dies seine dritte Orbis-Schulung sei. Von anderen Stationen sei er bereits zu genau dieser Fortbildung geschickt worden. Unsinnig ist das und ein Zeichen von mangelnder Koordination. Er sagt trotzdem nicht Bescheid, weil er sich freut, nach eineinhalb Stunden nach Hause gehen zu können, anstatt vier Stunden auf der Station zu verbringen…
Das Programm selbst besticht nicht unbedingt vor Innovation und Fortschrittsgeist. Das Symbol zum Speichern ist eine Diskette, was eigentlich alles sagt: die Software ist auf dem Stand der 90er, vielleicht optimistisch dem Beginn der 2000er. Einige Funktionen zaubern mir ein Lächeln ins Gesicht: Wenn ein Patient mit Erlaubnis das Krankenhaus für einige Stunden verlässt, erscheint neben seinem Namen ein Sonnenschirm. Die Namen von weiblichen Patienten erscheinen in rosa, die von männlichen in blau. Und – unsere Seminarleiterin hebt vor Stolz und Begeisterung ihre Stimme leicht an – die Laborerlebnisse können direkt abgerufen und bei Bedarf per ‚copy and paste‘ in die Patientenakte eingefügt werden.
Eine kleine Revolution in der Stationsarbeit
Am nächsten Tag wird deutlich, dass die Begeisterung für Orbis ganz auf Seiten der Ärzte ist. Fällt demnächst etwa auch das Sortieren von Laborergebnissen als studentische Aufgabe weg? Bislang mutete das wie Beschäftigungstherapie an und so richtig habe ich die Notwendigkeit dieser Aufgabe auch nicht verstanden; waren die Ergebnisse doch längst online von den behandelnden Ärzten zur Kenntnis genommen worden. Scheinbar einzig der lückenlosen Dokumentation zuliebe wurde es dennoch als notwendig erachtet. Mal sehen, ob sich das ändert. Interessant wird zudem noch werden, wie sich das neue System auf der Station einpendelt: für vier Ärzte und zehn Studenten sind drei Computer bereitgestellt worden. Gut möglich, dass ich demnächst Schlange stehen werde, um meine Untersuchungsergebnisse zu notieren. Aber ich will mich nicht beschweren. Jede Neuerung braucht ihre Zeit und das System ‚öffentliche Gesundheitsversorgung‘ ganz besonders. Also bin ich kooperativ und freue mich sogar auch ein bisschen über die kleinen Schritte, die es voran geht. Prozessoptimierung im Krankenhaus. Da ist noch einiges zu holen!