Bei dem in vielerlei Hinsicht bewegenden wie ermutigenden DAH-Frühjahrsempfang wurde Rita Süssmuth zum Ehrenmitglied ernannt und ein Altersheim für Junkies mit dem Hans-Peter-Hauschild-Preis ausgezeichnet.
Was für ein denkwürdiger Abend! Dieser Frühjahrsempfang der Deutschen AIDS-Hilfe wird allen Beteiligten gewiss sehr lange in bester Erinnerung bleiben. Zwar lautete das offizielle Motto „Mut bewegt“, doch daraus wurde im Laufe der Gala sehr schnell ein hochgestimmtes „Süssmuth bewegt“.
Ihr, Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., ehemalige Bundesgesundheitsministerin und Ehrenvorsitzende der Deutschen AIDS-Stiftung, galt an diesem Abend der Dank aller.
Entschlossener und unermüdlicher Einsatz für Prävention statt Repression
Ihr jahrelanges Engagement, vor allem ihr entschlossener und unermüdlicher Kampf in den Achtzigerjahren für Prävention statt Repression, hat vieles beeinflusst oder sogar erst möglich gemacht: Aidshilfe und Selbsthilfe, die Akzeptanz von queeren Lebensweisen oder einen anderen Umgang mit Drogengebraucher_innen und Sexarbeiter_innen. Es hat das Sprechen über Sexualität – und das über Homosexualität im Besonderen – maßgeblich und vor allem nachhaltig verändert.
Und dafür wurde sie an diesem Abend mehr als verdient zum Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe ernannt.
Ein Altersheim für Drogenabhängige wie die Unnaer Einrichtung DaWO des Projekts LÜSA, die an diesem Abend mit dem Hans-Peter-Hauschild-Preis ausgezeichnet wurde, wäre ohne Süssmuths Politik als Grundlage nicht möglich gewesen, betonte DAH-Vorstandsmitglied Ulf Hentschke-Kristal in seiner Laudatio für „Deutschlands erstes Altenheim für Junkies“.
Mit dem Hans-Peter-Hauschild-Preis werden seit 2011 Einzelpersonen oder Projekte für besondere Verdienste in der Strukturellen Prävention ausgezeichnet. Dass heute in Unna suchtkranke ältere Menschen „in Ruhe und Würde leben – und irgendwann auch sterben können“, sei bahnbrechend und habe Vorbildcharakter, so Hentschke-Kristal.
Der Hauschild-Preis 2016 geht nach Unna
Stellvertretend für das gesamte Team nahm die Leiterin Sabine Lorey die Auszeichnung entgegen. „Wir freuen uns alle wie Bolle“, sagte sie strahlend. Sieben Jahre habe die Vorbereitung gedauert, jede Menge Hürden seien zu überwinden gewesen. Und noch immer ist die Finanzierung nicht ausreichend gesichert, die Nachfrage hingegen sei größer, als das Haus – ein ehemaliges Erholungsheim für katholische Ordensschwestern (!) – Plätze bieten kann.
Viele der Menschen, die dort heute ihren Lebensabend verbringen, zumeist gesundheitlich beeinträchtigt durch die Folgen langjähriger Drogensucht, von HIV und/oder Hepatitis C, haben bei DaWo nach einem Leben in gesellschaftlicher Isolation zum ersten Mal überhaupt so etwas wie ein Zuhause gefunden, sagte DAH-Vorstandsmitglied Hentschke-Kristal in seiner Laudatio.
Und auch Rita Süssmuth hat eine Heimat gefunden – in der Aidshilfe-Bewegung, wie sie in ihrer Dankesrede auf der Bühne des Neuköllner Heimathafens hervorhob: „Ich stehe hier auch in meinem ganz eigenen Heimathafen, weil ich in der Arbeit mit HIV und Aids politisch anders denken und handeln gelernt habe.“
1985, zu Beginn ihrer Amtszeit als Gesundheitsministerin, „habe die Politik handeln müssen, ohne dass es bereits ausreichende Erkenntnisse über die Erkrankung gab. In meiner Not damals bin ich zu den Aidshilfen gegangen, die zwar auch kein Mehr an medizinischem Wissen hatten, aber ein Mehr an Erfahrungswissen“. Das habe ihr „wahnsinnig geholfen“, sagte sie.
Wie tiefgreifend und nachhaltig „Lovely Rita“, wie Süssmuth von Moderator Matthias Frings angekündigt wurde, durch ihr weitsichtiges und couragiertes Handeln nicht nur die Aidspolitik in Deutschland gestaltet hat, sondern auch das Leben von Menschen mit HIV und Aids bis heute prägt, zeigte sich in fast jedem Programmpunkt und Redebeitrag dieses Abends.
„Rita Süssmuths Enkel“
Rainer Ehlers, ehemaliger „Aids-Pfarrer“ in Hamburg und später Gründer der Deutschen AIDS-Stiftung, hob in seiner emotionalen Laudatio Süssmuths politisch wie menschlich herausstechende Fähigkeiten hervor: stets einen klaren Kopf zu bewahren, auf Vernunft und Aufklärung zu setzen – und Gedankengänge und Entscheidungen immer und immer wieder sachlich zu erklären.
Neun junge Vertreter_innen verschiedenster HIV/Aids-Projekte – Moderator Frings nannte sie treffend „ Rita Süssmuths Enkel“ – bedankten sich danach auf ganz persönliche Weise bei dem neuen Ehrenmitglied. Ob das Youthwork-Team der Berliner Aids-Hilfe, die Posithiven Gesichter, die „Testhelden“ der ICH WEISS WAS ICH TU-Kampagne oder das Sprachmittler_innenprojekt für Sexarbeiter_innen des Vereins Hydra – all diese Präventions- und Hilfsangebote sind nur möglich, weil Süssmuth damals die Weichen gestellt hat: gegen Zwang und Repression und für Respekt und Akzeptanz gegenüber anderen Lebensweisen und Lebenswelten.
„So viel habe ich doch gar nicht getan“, sagte Süssmuth sichtlich bewegt, um dann in ihrer Dankesrede klarsichtig auf den Kern der HIV-und Aids-Bewegung hinzuweisen und den Bogen zur politisch-gesellschaftliche Situation der heutigen Zeit zu schlagen. „Wir befinden uns im Rückwärtsgang“, so Süssmuth. „Selten habe ich so oft an einen Ausspruch von Hannah Arendt denken müssen wie in den letzten Monaten des Jahres 2015 und in diesem Frühjahr: ‚Sag nie, so etwas wird es bei uns nie wieder geben.‘“
„Wir befinden uns im Rückwärtsgang“
Süssmuth zeigte sich beunruhigt, ja sogar entsetzt darüber, wie neuerdings versucht werde, Sexualität wieder zu dämonisieren, „unter den Vorzeichen des Schutzes des ungeborenen Lebens“ die „Fremdherrschaft über die Körper von Frauen“ zu gewinnen und Menschen, die „anders“ leben, die eine andere Sexualität oder eine andere Ethnie haben, auszugrenzen.
„Wir waren schon einmal weiter“, stellte Süssmuth fest. „Hier gilt es, sich daran zu erinnern, warum die Menschen in den Aidshilfen damals, am Beginn der Epidemie, aufgestanden sind und gesagt haben: ‚Nicht mit uns‘, obwohl die Mehrheit anders dachte.“
Sie hofft auch heute wieder auf die Kräfte der Zivilgesellschaft. Dass sich Zehntausende für Geflüchtete engagieren und Rückgrat beweisen, stimme sie zuversichtlich. „Wenn wir die Achtzigerjahre nicht zurück haben wollen, dann müssen wir aufstehen und dagegen ankämpfen“, forderte sie die Anwesenden auf. „Und wenn die Zeiten heftiger werden, müssen wir eben auch heftiger werden.“ Rainer Ehlers hatte es in seiner Würdigung ganz treffend formuliert: Rita Süssmuth „hat Mut gemacht und sie tut es weiterhin“.
Spätestens nach dieser emphatischen Rede wäre auch der letzte Zweifler überzeugt, dass sie die Ehrenmitgliedschaft und damit die höchste Auszeichnung, die die Deutsche AIDS-Hilfe vergibt, mehr als verdient hat. Die rund 250 Gäste dankten mit Standing Ovations.
Und als Irmgard Knef, die bereits zuvor eigens zu Ehren Süssmuths umgedichtete Chansons präsentiert hatte, nunmehr die legendären „Roten Rosen“ für sie regnen ließ, stimmte die Festgesellschaft aus vollem Herzen mit ein. Was für ein denkwürdiger Abend!
Von Axel Schock
Weitere Fotos auf der Facebook-Seite der Deutschen AIDS-Hilfe
Pressemitteilung der DAH zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Rita Süssmuth und des Hans-Peter-Hauschild-Preises an das Projekt DaWo in Unna