Lunge und Persönlichkeit: Wirkt ein „gesunder Neurotizismus“ tatsächlich lebensverlängernd?

 

Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Persönlichkeit werden seit alters her postuliert. Inzwischen legen zahlreiche Untersuchungen nahe, daß die Kombination bestimmter Persönlichkeitszüge gesundheitsfördernd und lebensverlängernd wirksam werden kann.

Wie ist der Stand der Persönlichkeits-Psychologie mit Blick auf das Gesundheitsverhalten ?

Persönlichkeitszüge spiegeln Kombinationen von untereinander verknüpften Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen wider. Sie werden typischerweise in Kategorien operationalisiert – mit jeweils sehr hoher bis sehr niedriger Ausprägung.

Allgemein etabliert hat sich das „Big Five-Modell“. Es postuliert folgende Kategorien:

  • Neurotizismus versus emotionale Stabilität
  • Extraversion versus Introversion
  • Offenheit für (neue) Erfahrungen versus Verschlossenheit
  • Verträglichkeit versus Widerstand
  • Gewissenhaftigkeit versus Verantwortungslosigkeit

Es ist hilfreich, sich diese „Big Five“ als „Moleküle“ der Persönlichkeit vorzustellen, die jeweils aus einzelnen „Atomen“ von speziellen Persönlichkeitszügen zusammengesetzt sind.

Das umfassende „Big Five-Modell“ erlaubt keine Bestimmung der relevanten „Persönlichkeits-Atome“, die für einzelne Fragestellungen interessant sind. Auch zeigen Persönlichkeitszüge außerhalb der „Big Five“ Relevanz für das Gesundheitsverhalten – so beispielsweise das Konzept „Feindseligkeit“ der Interpersonalen Theorie, die „Persönliche Kontrolle“ der Kontroll-Theorie, der „Optimismus“ der Positiven Psychologie und das „Distress-Verhalten“ der Typ D-Persönlichkeit.

Welche Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit und Lebensdauer werden diskutiert?

Die Ergebnisse zu zehn zentralen Persönlichkeits-Kategorien zeigen unterschiedliche Wertigkeiten.

Hohe Evidenz für Korrelationen ist nachgewiesen für:

  • Gewissenhaftigkeit
  • Optimismus
  • Feindseligkeit
  • Typ D-Verhalten

Mäßige Evidenz besteht für:

  • Offenheit für neue Erfahrungen
  • Persönliche Kontrolle

Widersprüchliche Ergebnisse liegen vor für:

  • Extraversion
  • Neurotizismus
  • Emotions-Unterdrückung

Schwache Evidenz zeigt sich für:

  • Verträglichkeit

Zukünftige Studien müssen mittels spezifischer Instrumente klären, welche Persönlichkeitszüge im einzelnen das Gesundheitsverhalten beeinflussen. Auch die Bedeutung von Kombinationen einzelner Züge („Persönlichkeits-Stile“) müssen weiter untersucht werden – beispielsweise der vielfach beschriebene „Gesunde Neurotizismus“ (d. h. die Kombination von hohem Neurotizismus und hoher Gewissenhaftigkeit, die sich in Studien als gesundheitsfördernd erweist).

Außerdem müssen die noch weitgehend ungeklärten Zusammenhänge zwischen sozioökonomischem Status, Persönlichkeitszügen und Gesundheitsverhalten, sowie die Wirkmechanismen und Interaktionen möglicher Mediatoren (via Verhalten bzw. Biologie) besser erforscht werden. Ein interessantes psychopneumologisches Studiengebiet sind beispielsweise die Einflüsse der „Big Five“ auf Atemnot und Atemwegswiderstand (Peak Flow). 

Wie läßt sich „Persönlichkeit“ in eine „Personalisierte Medizin“ integrieren?

Das Ziel einer „Personalisierten Medizin“ ist die auf die einzigartigen Charakteristika jedes Patienten zugeschnittene individuelle Behandlung. Typischerweise berücksichtigt die „Personalisierte Medizin“ bisher demographische, biomedizinische und genetische Dimensionen.

Zunehmend werden die Einflüsse der Persönlichkeit beim Zusammenspiel von Genotyp und Phänotyp erkannt. Die Erfassung der Persönlichkeitszüge zum Nutzen der Patienten im Kontext der „Personalisierten Medizin“ bietet eine Strategie, um psychosoziale Gesundheitsrisiken zu erfassen – bevor diese sich möglicherweise als psychopathologische Symptome oder psychische Störungen manifestieren bzw. Einfluß auf den Krankheitsverlauf nehmen. Die Umsetzung der „Persönlichkeits-Testung“ im klinischen Alltag bleibt jedoch eine Herausforderung.

Lohnt sich der Aufwand? Lassen sich Persönlichkeitszüge überhaupt verändern?

Die Meinung, daß Persönlichkeitszüge ab dem 30. Lebensjahr weitgehend festgelegt und unveränderbar sind, ist inzwischen durch zahlreiche Befunde widerlegt. Sowohl psychotherapeutische wie auch psychopharmakologische Behandlungen können zur Veränderung von Persönlichkeitszügen führen. Dies gilt insbesondere für gesundheitsrelevante Persönlichkeits-Kategorien wie Feindseligkeit, Typ D-Verhalten, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit, sowie Offenheit für neue Erfahrungen.

Eine Studie zur Veränderung der Offenheit für neue Erfahrungen ist besonders interessant, da sie die Veränderung dieses Persönlichkeitszuges quasi als „Nebeneffekt“ eines relativ einfachen kognitiven Trainings für ältere Personen nachwies. Das Fazit der Autoren dieser Studie ist ermutigend und herausfordernd:

„Auch ein alter Hund kann neue Tricks erlernen und vorführen!“

Wenn sich diese „Tricks“ nachweislich positiv auf Gesundheit und Lebensdauer auswirken, kann die Persönlichkeits-Psychologie einen wesentlichen Beitrag zur „Personalisierten Medizin“ leisten.