Ein Beitrag von Dr. Holger Sauer, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Schmerztherapie und Intensivmedizin, Klinikum Westfalen GmbH, Dortmund.
Der Chirurg Dr. Evan Kane aus Pennsylvania beschrieb schon vor 100 Jahren den „Horror der Situation“, dem ein Patient im Operationssaal ausgeliefert ist, und empfahl dringend, etwas hiergegen zu unternehmen. Später operierte er sich selbst in örtlicher Betäubung an einem Leistenbruch (s. Bild).
Unser Gesundheitswesen befindet sich seit geraumer Zeit in einer Grenznutzenfalle: Beeindruckende Fortschritte in der medizinischen Forschung und daraus abgeleitete Produkt- und Medikamentenentwicklungen sorgen zwar – nicht zuletzt auch bei mir als Mediziner – für Faszination hinsichtlich der Behandlungsoptionen von Erkrankungen. Dem stehen aber meist überproportionale Kosten gegenüber. Die Folge: Unabhängig von Finanzierungsmodellen wird ein kaum in Grenzen zu haltender Anteil des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen eingesetzt, wobei Deutschland lt. OECD-Daten von 2014 mit über 11 % zu den Top 5 im weltweiten Vergleich zählt.
Eine der Grundregeln der Ökonomie, das zweite Gossensche Gesetz, besagt, dass zu einer optimalen Haushaltsführung eine intelligente Verteilung der Ausgaben gehört: Investitionen die einen geringeren (Zusatz-)Nutzen versprechen, sollten zurückgestellt werden, um Mittel freizuhaben für andere, im Ganzen lohnendere Projekte.
Was soll das mit unserem modernen Gesundheitswesen zu tun haben? Werden wir konkret: Sind Hunderttausende von Euros z. B. zugunsten der weiteren Optimierung eines bildgebenden Verfahrens wirklich optimal angelegt im Sinne des zusätzlichen Nutzens, oder gibt es andere, vielleicht gar weitgehend noch unbestellte Felder, auf denen man diese Mittel gewinnbringender für dieselben Beteiligten anlegen könnte?
Übereinstimmende internationale Forschungsergebnisse der letzten Jahre legen hier ein Umdenken nahe: Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, in welchem Ausmaß unsere hochentwickelte operative Medizin mit Stress für alle Beteiligten verbunden ist – und ihn sogar mitverursacht! Wer indes diesen Umstand achselzuckend als unvermeidlich quittiert, sollte spätestens dann alarmiert sein, wenn er erfährt, welch ein Milliardenschaden dadurch entsteht. Und nicht nur das: Die Nicht- oder Minderberücksichtigung der psychischen Aspekte der operativen Medizin bedeutet quasi Sabotage der operativen Bemühungen; beeinträchtigte Wundheilung, vermehrte Komplikationen, verlängerte Verweildauer und schließlich auch niedrigere Überlebensrate sind die inzwischen nachweisbaren Folgen. Das böse Wort von der OP-Fabrik macht die Runde, einer Fabrik mit – im übertragenen Sinne – hoher Schadstoffimmission und –emission.
Doch kann man denn angesichts der wirtschaftlichen Sparzwänge, der hohen Personalkosten, der Schwierigkeiten, überhaupt qualifiziertes Personal zu rekrutieren, kann man angesichts dieser widrigen Begleitumstände wirklich effektiv an den „weichen“ Faktoren schrauben? Die Antwort ist ein eindeutiges Ja! Man kann Abhilfe schaffen – nicht zum Nulltarif, aber doch zu einem Bruchteil der Kosten, die etwa für technisch-apparative Verbesserungen weithin als unabdingbar gehalten werden. Und wenn nur ein Bruchteil der geschätzten stressbedingten Kosten dadurch eingespart würde, hätte man den Break-even-Point für die betriebliche Bilanz schnell erreicht.
Wer nun etwa erwartet, es sollte (wieder einmal) einer vermehrten Einstellung von Hostessen oder Assistenzpersonal das Wort geredet werden, der irrt sich, denn dies wäre zum einen wiederum kostenintensiv und zum anderen nur sehr begrenzt zielführend. Im Operationsbereich wäre ohnehin die Anwesenheit zusätzlicher Personen aus verschiedenen Gründen kritisch zu bewerten.
Nein, effektive Anti-Stress-Konzepte im OP und seinem Umfeld müssen moderne technische Entwicklungen aktiv und vorrangig mit einbeziehen! Schaffung einer „beruhigenden“ Umgebung im Vorfeld und auch im OP selbst, „Kokonisierung“ mit technischen Mitteln, differenzierte Steuerung der Geräuschübertragung und Zuführung von positiven Sinnesreizen mit Hilfe von audiovisuellen Hilfen – nicht zuletzt auch mit körpernaher Technologie („Wearable devices“) – ergeben, gezielt und systematisch eingesetzt, ein Orchester, welches durchaus in der Lage ist, eine wohlklingende „Symphonie für die Sinne“ zu spielen und Stress nachhaltig zu reduzieren – übrigens nach eigener Erfahrung auch beim Personal! Internationale Forschungsergebnisse belegen zunehmend und übereinstimmend, wie lohnend es ist, dieses weite Feld zu bebauen
Beim kommenden Hauptstadtkongress können Sie Dr. Sauer persönlich erleben und zwar in der Veranstaltung „Ein Schritt in die Zukunft: Angst- und stressfreies Operieren“ am Donnerstag, den 9. Juni von 14:30 Uhr bis 16:00 Uhr!