TV-Serien können mehr als nur unterhalten. Die MTV-Soap „Shuga“ soll in Afrika sogar bei der HIV-Prävention helfen.
Dieser Artikel von Anja Bengelstorff erschien zuerst am 7. März 2016 auf fluter.de, dem Jugenmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Wir danken der Autorin und der bpb herzlich für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.
Ein silbernes Mercedes-Coupé hält an einer roten Ampel. Die Straßenkreuzung ist blank gefegt. Sieht nach Beverly Hills aus. Lässig lehnt Musikpromoter Ekene im Ledersitz hinter dem Steuer und telefoniert mit seiner Freundin Foye, einer DJane. Ekene hat einen Gig im Club Badu organisiert, und Foye soll auflegen. Foye? Ekene? Die Kamera zoomt auf das Nummernschild des Mercedes: „EKE 4 Show“. Und darüber steht nicht etwa „California“ oder „Florida“, sondern „Lagos“. Die Millionenstadt in Nigeria, Westafrika – Synonym für gestohlene Ölmilliarden, Korruption, Verkehrschaos und Armut. Aber nicht nur. Ekene trägt ein Goldkettchen und überreicht den zwei jungen Frauen im Luxusauto neben ihm seine vergoldete Visitenkarte.
Das Wirtschaftswachstum Afrikas ist seit Jahren um ein Vielfaches höher als das Europas. Der dadurch gewachsene Wohlstand ist zwar ungleich verteilt und es profitieren nur einige wenige, die nun teure Autos fahren, Designerklamotten tragen und sich den Zutritt zu exklusiven Clubs leisten können. Aber die Welt dieser wenigen wird von der Masse derer, die leer ausgehen und Mercedes-Coupés nur aus dem Fernsehen kennen, bewundert – und hartnäckig begehrt.
„Shuga“ erzählt von Sex, Liebe, Hoffnung und Betrug sowie den Ambitionen junger Afrikaner
Es ist die Welt von Ekene, Foye und ihren Freunden aus der von MTV produzierten Seifenoper „Shuga“, der ersten in Nigeria und Kenia produzierten Fernsehserie, die cool ist, professionell gemacht, die das moderne Afrika zeigt und international Aufmerksamkeit erlangt hat. Und weil Ekene und Foye trotz ihres luxuriösen Lebens Beziehungsprobleme haben, weil es in „Shuga“ um Sex geht und Liebe, um Hoffnung und Betrug und um die Ambitionen junger Afrikaner, findet die MTV-Serie auf dem Kontinent Millionen von Zuschauern.
So ködert „Shuga“ die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer und bringt sie auch zum Hinsehen, wenn es um eine andere, eine unliebsame Seite Afrikas geht: Aids. Denn eigentlich, wenn auch unterschwellig, geht es bei der Serie um Aufklärung über HIV-Infektionen – wie man sie vermeidet, sich testen lässt und Verantwortung übernimmt für sich und andere, wenn es um sicheren Sex geht.
Kann ich ein gesundes Baby haben, wenn ich HIV-positiv bin? Warum soll ich ein Kondom benutzen? Alles Fragen und Probleme, die nicht neu sind in Nigeria und Kenia. Nur wurden sie bisher nicht so mitreißend aufgeworfen wie in „Shuga“ – durch Geschichten von jungen Afrikanern, denen die Zuschauer nacheifern, mit denen sie sich identifizieren. Noch bis vor wenigen Jahren dominierten philippinische oder mexikanische Soaps das Programm vieler afrikanischer Fernsehsender; Serien, in denen das Leben oder die täglichen Probleme von Afrikanern thematisiert wurden, sind ein neueres Phänomen. „Shuga“ ist die erste, die sich auch an das Thema Aids heranwagt.
Aufklärung mit Humor statt staubtrockene Informationen und Mahnungen
Milliarden von Euro wurden in Afrika über Jahrzehnte in die Prävention der Verbreitung des Virus und in die Behandlung von HIV und Aids gesteckt. Und es sind durchaus Erfolge erzielt worden. Trotzdem leben noch immer die meisten Menschen mit HIV-Infektionen in Afrika südlich der Sahara: fast 26 Millionen der knapp 37 Millionen Infizierten weltweit. Gut zwei Drittel der Neuinfizierungen passieren hier. Das für die Epidemie zuständige UN-Programm „UNAIDS“ berichtet zwar, dass die Zahl der mit Aids in Verbindung stehenden Todesfälle seit 2004 um 42 Prozent zurückgegangen sei. Dennoch ist die Immunschwäche die häufigste Todesursache bei den 10- bis 19-Jährigen in Afrika.
Im Grauen dieser Statistik, der Jugendlichkeit der meisten Opfer, sah die zu MTV gehörende Stiftung „Staying Alive“ indessen eine Chance. „Unsere Ziele in Bezug auf HIV sind: Wissen vermitteln, Verhalten ändern, Taten folgen lassen“, sagt die Gründerin der Stiftung und „Shuga“-Produzentin Georgia Arnolds. „Bei HIV geht es in erster Linie um Sex und damit um ein Thema, das wir mit Humor angehen können.“ Aufklärungskampagnen internationaler Organisationen oder Regierungen bestehen zu oft aus staubtrockenen Informationen, gespickt mit mehr oder weniger subtilen Drohszenarien sowie Mahnungen zu sexueller Abstinenz vor der Ehe. Solches Aufklärungsmaterial macht nicht gerade Lust, sich damit eingehender zu befassen. Und es gibt noch ein Problem: Vielen afrikanischen Eltern ist es schlicht zu peinlich, mit ihren Kindern über Sexualität zu sprechen. Und so wird dieses Thema für junge Männer und Frauen zum gefährlichen Tabu.
Von „Shuga“ gibt es mittlerweile vier Staffeln, die „Staying Alive“ mit Hilfe internationaler Sponsoren wie UNICEF finanziert. Die ersten beiden wurden in Kenia gedreht, danach zog die Produktion nach Nigeria weiter, dem Land Afrikas mit der größten und einer zudem sehr jungen Bevölkerung.
Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o feierte mit der Serie ihren Durchbruch
„Shuga“ ist ein Slang-Name für „Sugar Daddy“ oder „Sugar Mummy“, also eine wohlhabende ältere Person, die den jüngeren Partner oder die Partnerin finanziell aushält – in der Regel gegen Sex. Im Mittelpunkt der 2009 veröffentlichten ersten Staffel steht denn auch die junge, ehrgeizige Ayira, gespielt von Kenias Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o, die mit „Shuga“ ihren Durchbruch feierte. Ayira lässt sich mit einem älteren Mann, ihrem Chef, ein, der ihr seine HIV-Infektion verschweigt und ohne Kondom mit ihr schläft. Am Schluss der Staffel begleiten ihre Freundinnen sie zum HIV-Test, Ende offen. „In ‚Shuga‘ beraten junge Leute andere junge Leute“, sagte sie in einem Interview. „Ich glaube, das ist sehr wirksam.“
Als Nick Mutuma, damals 19, zusammen mit 6.000 anderen für eine Rolle in einer in der Zeitung nur vage beschriebenen „Hit-TV-Show von MTV“ in Nairobi vorsprach, hatte er keine Ahnung, worum es in „Shuga“ gehen sollte. Als er die Rolle des Leo bekam und die Details hörte, traf ihn der Schlag. „Das war mir total unangenehm“, erzählt er. „Klar, über Sex wollen alle reden, aber über HIV? Wir haben das Wort ja nicht mal ausgesprochen, sondern nur mit Dudu (Suaheli für „Insekt“, Anmerkung der Redaktion) umschrieben. Ich kannte natürlich die üblichen Botschaften, alle sehr gruselig. Außerdem hatte ich vorher noch nie einen HIV-Test gemacht und hatte Angst, dass MTV uns dazu zwingen würde.“
Seinem ersten Test unterzog er sich als Leo vor der Kamera; dem echten wenig später. In den Kenia-Staffeln hat er eine HIV-positive Freundin. Lief „Shuga“ im Fernsehen, schaute sich Nick die Folgen mit seiner Mutter an. Nur wenn es bei den im europäischen Vergleich eher harmlosen Sexszenen für eine kenianische Mutter zu sehr zur Sache ging, hatte Nick dringend etwas in der Küche zu erledigen.
Fans stellen Fragen und erzählen von ihren Erfahrungen
Die Fülle der Zuschauerreaktionen verblüffe ihn bis heute, sagt Nick Mutuma. Ein Mädchen schrieb ihm auf Facebook, wie toll sie es finde, dass Leo zu seiner Freundin steht. Und sie wolle mit ihrem Freund jetzt auch einen HIV-Test machen, wisse aber nicht, wie sie das Thema ansprechen solle – und bat um einen Rat. „Solche Nachrichten kamen ständig“, sagt Nick Mutuma.
MTV gibt „Shuga“ kostenlos an TV-Sender und Online-Plattformen ab. So hat die Serie bisher 72 Länder erreicht und 80 Prozent der afrikanischen Staaten. „Shuga“ ist auch auf YouTube und in vielen sozialen Medien zu finden, wo Fans Fragen stellen und von ihren eigenen Erfahrungen erzählen können. Ob Aufklärung aber tatsächlich das Sexualverhalten ändert, ist schwer zu messen. Immerhin zeigen Studien, dass „Shuga“ Zuschauer dazu gebracht hat, sich testen zu lassen.
Ekene betrügt Foye schließlich mit ihrer besten Freundin, die befürchtet, sich bei einem anderen Partner mit HIV angesteckt zu haben. Es kostet Ekene große Überwindung, sich testen zu lassen, aber am Ende hat er Glück gehabt. Noch eine „Shuga“-Botschaft: Du kannst aus deinen Fehlern lernen.
Anja Bengelstorff schreibt seit mehreren Jahren für deutschsprachige Medien aus der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Beim Anschauen der Shuga-Folgen aus Nairobi hat sie unerwartet bunte Seiten an ihrer Wahl-Heimatstadt entdeckt.