Vom Arzt zum Autoren: HNO-Arzt schreibt Kinderbuch, um kleinen Patienten die Angst zu nehmen

Erwachsenen Patienten einen Eingriff zu erklären, ist schon schwer genug. Aber wie schildert man einem Kind, dass eine Polypenentfernung kein Grund zur Besorgnis ist? Viele Ärzte sind in der kindgerechten Kommunikation schon an ihre Grenzen geraten. Auch Dr. Max-Hubertus Allert ging es nicht anders – was ihn auf eine unkonventionelle Idee gebracht hat: Er schrieb „Kalle wird operiert“ – ein Kinderbuch, das jungen Patienten die Angst nehmen soll. Allerts Plan hat funktioniert: Das Buch wurde von der Stiftung Gesundheit zertifiziert.

Buchcover von "Kalle wird operiert"

Gesagt, getan: Hals-Nasen-Ohren-Arzt Allert wurde kurzerhand zum Kinderbuchautoren, um seinen kleinen Patienten die Angst zu nehmen

 

Ein Arzt als Autor. Wie kam es zu dem Buch?

Das Buch entstand aus der Intention, die tägliche Kommunikation besonders mit unseren kleinen Patienten zu optimieren. In unserer HNO-Gemeinschaftspraxis in Freiburg sind etwa 15% unserer Patienten unter 5 Jahre alt. Da wir gerne mit Kindern arbeiten, sind einige Bereiche in unserer Praxis auch kindgerecht ausgestattet. Als ambulant und stationär operierender Hals-Nasen-Ohren-Arzt führe ich pro Jahr unter anderem etwa 200 Kinderoperationen durch, die meisten davon ambulant. Nicht selten fragen Eltern während des Aufklärungsgesprächs, zum Beispiel für eine „Kinderpolypenentfernung und Paukenröhrcheneinlage“, wie sie Ihr Kind auf die Operation vorbereiten können. Für Erwachsene gibt es eine Menge an Bildmaterial, um diese Operation zu erklären. Für die Kinder gab es aber bisher noch nichts Passendes. Da war es naheliegend, ein kindgerechtes Büchlein zu verfassen. Der Text ergab sich aus den Gesprächen mit unseren kleinen Patienten, die uns in dankenswerter Weise zeigen, wie wir sie am besten erreichen. Mit Alexia Thonet aus Hamburg konnte ich eine erfahrene Kinderbuchillustratorin gewinnen, die mit viel Verständnis für kindliche Wahrnehmung leicht zu erfassende und aussagekräftige Bilder zeichnete.

„Kinder honorieren das mit Vertrauen“

Porträt von Max-Hubertus Allert

Max-Hubertus Allert

Für Kinder ist ihre medizinische Behandlung oft unverständlich. Was können Ärzte tun, um ihre Arbeit für junge Patienten besser begreiflich zu machen?
Wir nehmen unsere kleinen Patienten in der täglichen Praxis grundsätzlich ernst. Jedes Kind hat ja eine eigene Persönlichkeit und möchte diese respektiert wissen. Deswegen führen wir das Kennenlerngespräch zu Beginn einer Untersuchung überwiegend mit den Kindern selbst durch, bevor wir mit den Eltern sprechen. Der Gesprächsstil ist ehrlich und offen. Jeder Untersuchungsschritt wird zuvor angekündigt und erklärt. Instrumente werden den Kindern gezeigt. Durch ein Endoskop zu schauen, nimmt die Furcht vor dem Ungewissen. Kinder honorieren das mit Vertrauen. Kommt es dann zu einer Operationsindikation, bekommt das Kind sein eigenes Büchlein. In der Vorbereitung zur Operation schauen sich die Eltern mit dem Kind die Bilder gemeinsam an und lesen den Text vor. Dabei wird erklärt, was auf den Bildern dargestellt ist. Dann erklären die Kinder die Bilder. So verliert das Kind die Furcht vor der Operation, lernt den Ablauf bis zur Entlassung kennen und gewinnt Vertrauen. Am Tag der Operation kann während der Vorbereitung und auch nach der Operation immer wieder von Kalle, dem Hauptdarsteller unserer Geschichte, und seiner Operationserfahrung erzählt werden.

 

Wissen lindert die Angst sicherlich ein gutes Stück. Haben Sie aber auch Wege gefunden, eine unangenehme Behandlung im Moment ihres Erlebens selbst erträglicher zu machen?

Ja, zum Beispiel vermeiden wir in der Kommunikation Sätze wie: „Das tut doch nicht weh“ oder „Das ist doch nicht schlimm“. Kinder hören dabei nur „weh“ und „schlimm“ und erwarten genau dieses. Wir versuchen den Aufmerksamkeitsfokus umzulenken und kündigen zum Beispiel bei der Ohrmikroskopie an, dass es ein wenig kitzeln wird, das Kind aber dabei nicht lachen soll. Die Kinder konzentrieren sich dann in der Regel so sehr darauf, nicht zu lachen, dass die für uns wichtige Ohrmikroskopie oder die Endoskopie des Nasenrachenraumes meist problemlos gelingt.

 

Bei der Behandlung von Kindern wird notgedrungen immer im Dreieck kommuniziert: Ärzte müssen sowohl mit Eltern als auch mit den eigentlichen Patienten sprechen. Wie vermeiden Sie, dass sich jemand ausgegrenzt fühlt?

Indem wir zunächst mit den Patienten selbst, also mit den Kindern sprechen. Die Eltern sind oft schon erleichtert, wenn die Kinder die Schwelle überschritten haben, sich auf uns einzulassen und mit uns sprechen. Die Kommunikation mit den Eltern findet oft, in der Wahrnehmung des Kindes, beiläufig statt. So bleibt das Kind im Mittelpunkt. Am Ende werden den Eltern die Untersuchungsergebnisse und unsere Empfehlungen zusammengefasst, während die Kinder sich freuen, dass sie fertig sind und die zuvor angekündigte Überraschung von uns bekommen.

 

Können Sie aus Ihrem Berufsalltag von Fragen und Ängsten berichten, die Kinder und Eltern bei einer anstehenden Operation besonders häufig haben?

Für die Eltern ist meistens die für den Eingriff erforderliche Narkose die größte Barriere, weil sie ihr Kind für eine bestimmte Zeit aus ihrer Obhut geben. Wir reduzieren diese Sorge dadurch, dass die Eltern bei uns immer mit im Operationssaal sind, bis die Kinder schlafen. Nach der Operation bekommen die Eltern ihr Kind in einem noch schläfrigen Zustand zurück, so dass die Kinder im Arm der Eltern wieder aufwachen. So wird vermieden, dass die Kinder denken, ihre Eltern wären weg gewesen. Das ist fast allen Eltern und natürlich den Kindern besonders wichtig. Und für die Ängste der Kinder gibt es ja jetzt Kalle, der kann das viel besser erklären als wir Erwachsenen.

 

Können Sie sich vorstellen, Ihr Buch auch anderen Fachkollegen zur Verfügung zu stellen?

Selbstverständlich, viele meiner Fachkolleginnen und Kollegen, aber auch ambulante Operationszentren und Krankenhäuser stehen vor der Herausforderung, kleine Patienten auf ein für sie großes Ereignis, eben die Operation, vorzubereiten. Es würde mich freuen, wenn möglichst viele Kinder mit Kalle die Angst vor einem anstehenden Eingriff verlieren.