Wie Sie das subjektive Krankheits-Modell Ihres Patienten für eine Selbstmanagement-Intervention nutzen

Nach dem Selbstregulations-Modell (Leventhal et al., 1984) versuchen Patienten, die Bedrohung ihrer Gesundheit durch die Krankheit zu verstehen und zu bewältigen. Sie entwickeln Annahmen zur Krankheit (Kognitionen). Zusammen mit den begleitenden Emotionen beeinflußen diese Kognitionen das Patienten-Verhalten. Die Ergebnisse dieses Verhaltens werden bewertet und wirken als Feedback für künftige Annahmen und Emotionen. 

Die subjektiven Krankheits-Modelle beziehen sich im wesentlichen auf folgende Dimensionen:

  • Name der Krankheit und zugeordnete Symptome (Krankheits-Identität)
  • Ursachen der Krankheit
  • Konsequenzen
  • Zeitverlauf
  • Persönliche Kontrolle
  • Behandlungskontrolle
  • Krankheits-Verständnis

Diese Dimensionen können mittels Fragebogen (z. B. Brief Illness Perception Questionnaire = B-IPQ) erfaßt werden.

Welche Ziele verfolgen Interventionen zur Änderung ungünstiger Krankheits-Modelle?

Es gibt zwei mögliche Wege der Einflußnahme auf ungünstige Krankheits-Modelle:

  • top down
  • bottom up

Top down-Interventionen nutzen kognitive Strategien, um ein adäquates Krankheits-Konzept zu vermitteln. So ist es beispielsweise in der Psychopneumologie häufig notwendig, Asthma oder COPD als „chronische und behandelbare Krankheiten“ zu konzeptualisieren, da Patienten von Überzeugungen wie „zyklisch“ oder „unheilbar = unbehandelbar“ ausgehen.

Bottom up-Interventionen zielen auf konkrete Verhaltensänderung, z. B. durch Selbstmessungen und Patienten-Tagebuch.

Die meisten Interventions-Strategien kombinieren die beiden Ansätze, um Patienten zu befähigen, als „Selbstmanagement-Experten“ den Verlauf ihrer Krankheit günstig mitzugestalten.

Die 5 Schritte einer „Krankheits-Modell-Intervention“ (am Beispiel Asthma-Kontrolle)

Bei einer solchen Intervention wird zunächst das Krankheits-Modell des Patienten mittels B-IPQ erhoben und mit dem praktizierten „Selbst-Management“ des Patienten verglichen. Diskrepanzen bei den Antworten zu „Identität“ und „Zeitverlauf“ und dem praktizierten „Selbst-Management“ sind der Anstoß für eine schrittweise Krankheits-Modell-Intervention.

  1. Schritt: Aufzeigen des Zielverhaltens bei asymptomatischem Zustand (Notwendige Verhaltensänderung im Hinblick auf Krankheits-Identität – von „akut“ zu „chronisch“)
  2. Schritt: Begründen des Selbst-Managements bei asymptomatischem Zustand (Kognitionsänderung im Hinblick auf Krankheits-Ursache – systemische Inflammation)
  3. Schritt: Begründen des Selbst-Managements bei asymptomatischem Zustand (Kognitionsänderung im Hinblick auf Zeitverlauf – persistierende systemische Inflammation)
  4. Schritt: Begründen des Selbst-Managements bei asymptomatischem Zustand (Kognitionsänderung im Hinblick auf Konsequenzen – fehlender subjektiver Benefit der Behandlung im asymptomatischen Zustand)
  5. Schritt: Einüben des Selbst-Managements bei asymptomatischem Zustand (Konkrete Veränderungs-Schritte zum Selbst-Management – Messungen, Patienten-Tagebuch, Aktionspläne)

Die Schritte 1 bis 4 folgen dem „Top down“-Ansatz; Schritt 5 umfaßt „Bottom up“-Interventionen. Alle Schritte beeinflußen das Krankheits-Modell, indem sie in das dynamische System von Kontrollüberzeugungen, Verhalten und Konsequenzen eingreifen.

Was ist besser: „Top down“ oder „Bottom up“?

Wie so oft im Leben gilt: die Mischung macht´s! Und diese ist abhängig von

  • der spezifischen Krankheits-Situation
  • den individuellen Patienten-Bedürfnissen

Häufig scheint es sinnvoll zu sein, sich zunächst auf den „Top down“-Ansatz zu konzentrieren, da dieser den Patienten zu verstärkter Auseinandersetzung mit den eigenen Krankheits-Wahrnehmungen anregt. Die primäre Fokussierung auf „Bottom up“-Interventionen (wie beispielsweise Aktionspläne) kann hingegen mehr Überlegungen zu psychosozialen Faktoren und Lebensstil-Variablen provozieren – ein nicht unwesentlicher, aber möglicherweise anfänglich vermeidungsfördernder Ansatz.

Mitunter erweist sich ein „Bottom up“-Ansatz jedoch bei weniger „intuitiven“ Krankheits-Modellen (z. B. für den Zusammenhang zwischen Sauerstoff-Langzeittherapie und körperlicher Leistungsfähigkeit) als besserer Einstieg.

Wer macht was (und wie) beim „Selbst-Management“?

„Selbst-Management“ hört sich nach individueller Patienten-Pflicht an – ist jedoch das Ergebnis einer gelungenen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem „Selbst-Management-Experten“ (Patient) und den Mitarbeitern des „Gesundheitssystems“ (Pneumologe, Hausarzt, Psychosomatiker, Pfleger, Physiotherapeut, Ernährungsberater, etc.).

Zwei Themen sollten diese „Gemeinschaftsaufgabe“ dominieren:

  1. patienten-zentrierte („personalisierte“) Präventions- und Behandlungsansätze zur Ausdehnung der „gesunden“ Lebenszeit
  2. Evidenz-Basierung der Ansätze

Die Evidenz verhaltensmedizinischer Interventionen zur Beeinflußung von Krankheits-Modellen und Coping läßt sich am besten nachweisen, wenn das Wechselspiel zwischen bio-psycho-sozialen Variablen beachtet wird. Studien sind nur dann sorgfältig gewählt und aussagekräftig, wenn die Interventionen tatsächlich maßgeschneidert für spezifische Krankheitsbilder bei individuellen Patienten sind, den soziokulturellen Kontext beachten und gleichzeitig effektiv und effizient für Patienten, Angehörige und Gesundheitssystem sind. So sind beispielsweise die Zusammenhänge zwischen subjektivem Krankheits-Model (Illness Perception), Bewältigungsverhalten (Coping) und Gesundheitsparametern für Patienten mit COPD jüngst detailliert belegt worden. Darin liegt ein Ansporn für künftige Selbstmanagement-Interventionen – z. B. mittels Nutzung von Health Information Technologies (HIT).