Dasein an der Seine

Der Geschmack von sorglosen Pariser Sommertagen liegt in der Luft. Es sind Ferien, in der Stadt ist etwas weniger Verkehr als sonst. Etwas windig ist es, aber die Sonne hat schon sehr viel Kraft. Kurz: ideale Voraussetzungen, um die Freiheiten des Studentendaseins zu nutzen und am Ufer der Seine zu flanieren, auf der Ile Saint Louis und der Ile de la Cité.

Streifzug

Einige überzeugte Sonnenanbeter – aus einem Grund, über den ich nicht näher spekulieren möchte, sehe ich nur Männer jenseits der 50 – haben sich in knapper Badehose in die Sonne gewagt. Ihre Haut ist schon jetzt so knackig braun, wie es Normalsterbliche selbst nach drei Wochen Strandurlaub nicht hinbekommen. Oder sollte ich besser gesundheitsbewusste, vernünftige Leute sagen? Mir schießt der Gedanke in den Kopf, dass es sich bei diesen Herren eindeutig um Kandidaten für die Dermatologie handelt. Nachdem ich mehrere Patienten mit Hautkrebs auf Glatze, Nase und Ohren gesehen habe, kann ich mir das nicht verkneifen… Berufskrankheit?

Der Wind trägt leise Musik an uns heran. Neugierig schauen wir über eine kleine Mauer auf den Uferweg direkt am Wasser herunter. Drei junge Leute musizieren. Cello* und E-Gitarre haben es sich auf einer steinernen Bank bequem gemacht, die Gitarre im Schneidersitz auf Kopfsteinpflaster. Sehr entspannt, ohne einen Kleingeld-hungrigen Hut, nur für sich. Trotzdem haben sie nicht nur uns als Zuhörer. Ein Paar ist stehengeblieben und lauscht. Eine schick gekleidete ältere Dame sitzt auf der nächsten Bank und hat sich ihrer schwarzen Lackschuhe entledigt. Ihre in Seidenstrümpfen steckende Füße wippen im Takt mit. Ich erkenne die Melodie. Irgendein Popsong, der vor nicht all zu langer Zeit in den Charts war. Der Text oder Titel will mir aber nicht in den Sinn kommen.

Fast sind wir an der Brücke, die die beiden Inseln in der Seine verbindet, angekommen. Eindrucksvoll ragt Notre Dame uns ihr Hinterteil entgegen. Ganz besonders hübsch sieht das momentan aus, mit all den blühenden Kirschbäumen auf dem Vorplatz. Auf der Brücke hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Es wird ein Film gedreht! Zuschauen macht Spaß, auch wenn nicht viel passiert; das Team ist mit der Kamera beschäftigt. Aber die wartenden Schauspieler sind auf die 60er-Jahre getrimmt und geben ein sehr ästhetisches Bild ab. Auch hier ist ein Mann in knappem Badehöschen zu begutachten. Nur die Smartphone-Selfies, passen nicht ganz in dieses Bild voller Nostalgie… Und das Graffiti an der Wand. Ob das später noch wegretuschiert wird oder gar nicht im Bild ist? Und die Autos im Hintergrund? Was nicht alles zu bedenken ist bei solchen Projekten!

Badespaß

Eine Stadt ohne Wasser hat für mich keine Seele. Das klingt etwas übertrieben und das ist es auch. Aber auch nur ein bisschen. Und ich stehe mit dieser Meinung nicht allein da: Dass Wasser auch auf viele andere Menschen eine anziehende Kraft ausübt, ist heute eindrucksvoll daran zu sehen, wie heiß begehrt die Plätze in erster Reihe am Ufer sind. Paris hofft darauf, 2024 die olympischen Spiele ausrichten zu dürfen. Es ist erklärtes Ziel, bis dahin die Wasserqualität so weit anzuheben, dass das Baden in der Seine gestattet (weil nicht mehr gesundheitsbedenklich) sein wird. Schön wäre das. Obwohl es jetzt auch schon sehr schön ist. Ich schließe die Augen, genieße die Sonne auf meiner Haut und bin glücklich, hier zu sein.

 

*Es könnte auch ein Violoncello gewesen sein, da waren wir uns nicht ganz einig. Vielleicht können mir die Musiker unter euch bei Gelegenheit den Unterschied erklären, das wäre toll.