Die Geschichte von Baby Boy – Kampf gegen Säuglingssterblichkeit in Sierra Leone
Ein Bericht von Dr. Silke Ehlers, die unsere Neugeborenenstation in Serabu aufgebaut hat.
Mein dritter Einsatz im Krankenhaus der German Doctors in Sierra Leone liegt hinter mir. Eine Kinderstation mit 40 Betten gab es dort bereits. Bislang war die Versorgung von neugeborenen kranken Babys und Frühchen aber sehr schwierig, da diese mit auf der normalen Kinderstation untergebracht waren. Dies hat sich nun geändert: Während meines zweimonatigen Aufenthaltes war es meine Aufgabe, den Neugeborenenbereich der Klink aufzubauen. Dazu mussten Wärmebettchen aufgestellt und angeschlossen, sowie Geräte wie Sauerstoffkonzentratoren, Absauggeräte und Pulsoximeter in Gebrauch genommen werden. Dies ist sehr wichtig, denn die Säuglingssterblichkeit in Sierra Leone ist unfassbar hoch.
Und ich kann schon von ersten Erfolgen berichten, wie die Geschichte von Baby Boy zeigt: Eines nachts wurde ich in den Kreissaal gerufen, wo ein Baby nach sehr verzögertem Geburtsverlauf geboren wurde – die Mutter hatte eine schwierige Schwangerschaft und nun bereits seit über zwei Tagen in den Wehen gelegen. Das Baby hatte grünes Fruchtwasser und ganz viel Mekonium – das ist der erste Stuhl eines Neugeborenen, der im Darm während der Entwicklung im Mutterleib entsteht und sehr zäh, klebrig und schwarz ist, deswegen auch Kindspech genannt. Wenn dieses Mekonium zu früh entleert wird, ist dies immer ein Zeichen von erhöhtem Stress des Kindes unter der Geburt.
Das Baby hatte starke Atemschwierigkeiten und der Sauerstoffgehalt im Blut war viel zu niedrig. Zum Glück konnten wir auf der Neugeborenenstation unseres Serabu Community Hospitals direkt die nötigen Schritte einleiten, um dem kleinen Wesen zu helfen. Ich legte eine Infusion an und wir begannen sofort mit der antibiotischen Behandlung und gaben kontinuierlich Sauerstoff. Dem Baby – einem Jungem mit 3400g Geburtsgewicht – ging es richtig schlecht. Er hatte noch immer keinen Namen, daher nannten wir ihn Baby Boy. Viele Schwestern kamen und schauten sehr interessiert und „beschlossen“ sofort, dass der kleine Mann es schaffen und nicht sterben würde. Ich war mir da mehrere Tage lang nicht so sicher… In Deutschland hätte ich das Baby nach der Geburt sofort beatmet. Hier hat sich der tapfere Kerl mit einer Atemfrequenz, die viel zu schnell ist und eigentlich einer normalen Herzfrequenz entspricht sowie mit der zusätzlichen Gabe von Sauerstoff durchgekämpft.
Nach drei Tagen Behandlung geschah dann das Unglaubliche: Wir hatten einen bequemen Stuhl organisiert; in diesen setzte ich die Mutter neben das Bett und wir legten ihr das Baby auf die Brust. Der Kleine war die ganze Zeit sehr ruhig und bewegte sich kaum. Nachdem die Mutter ihn 20 Minuten gehalten hatte, begann er doch tatsächlich zu suchen: Der Kopf ging rauf und runter, er machte leise Töne. Die Schwestern und ich beschlossen, ihn an die Brust anzulegen. Die Mutter, die zuerst zaghaft war und nicht verstand, warum sie ihr Baby mit den Kabeln der Infusion und dem Sauerstoffschlauch auf dem Arm hatte, verlor dadurch jegliche Scheu. Sie fasste den Kleinen richtig an, legte ihn an ihre Brust und siehe da, er trank! Er war zwar sehr blass und brauchte viele Pausen, aber der Anfang war geglückt. In den nächsten Tagen hielt der Kerl dann den Pfleger ganz schön auf Trab, da er nur noch auf dem Arm der Mutter ruhig war und sobald er in seinem Bettchen lag, zu weinen begann. Jetzt warten wir darauf, dass die Lunge sich soweit erholt, dass wir den Sauerstoff ganz weglassen können. Aber das dürfte nur eine nur Frage der Zeit sein…
Und tatsächlich: Schon wenige Tage später konnte Baby Boy entlassen werden – ein kleiner Erfolg in unserem Kampf gegen die hohe Säuglingssterblichkeit. Der kleine Mann braucht jetzt keinen zusätzlichen Sauerstoff mehr und nimmt bei vollem Stillen zu. Er ist ein total wacher kleiner Kerl und hat mittlerweile auch einen Vornamen bekommen: Vorgestern Morgen strahlte mich die Mama an, deutete auf ihren Sohn und sagte „Patu“. Das ist die Kose- oder Kurzform von Patrick. Und Patrick heißt unser Pfleger, der für ihn zehn Tage lange Zwölfstundenschicht gemacht hat. Wenn es ein Mädchen gewesen wäre, so versicherte mir die Mutter, hätte es Silke geheißen…
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