‚Dann versuchen wir, die Medikamente auf die wichtigsten drei, vier zu reduzieren. So entlasse ich einen Patienten zwar nur ungern, aber in diesem Fall scheint es mir der einzige Weg um mehr Compliance zu erreichen.‘ Compliance. In der Physik haben wir darunter die Dehnbarkeit eines Materials verstanden. Im Krankenhaus meint man damit, wie zuverlässig ein Patient mit dem medizinischen Team zusammenarbeitet: Rede und Antwort steht, Anweisungen befolgt (zum Beispiel auch diätetischer oder physiktherapeutischer Art) und verschriebene Medikamente einnimmt. Jeden Morgen um neun Uhr versammeln sich die Kardiologen zur Besprechung. Es ist ein guter Austausch zwischen den Fachärzten, Therapieoptionen werden abgewogen, den Assistenzärzten werden EKG- und Koronarangiographie-Auffälligkeiten erklärt. Zwischendurch werden Kontrollfragen gestellt, ohne dass das ganze eine unangenehme Prüfungsstimmung annehmen würde. Unterricht und Patientenbehandlung in einem; die Teilnahme an der Runde ist auch für die Studenten sehr lehr- und hilfreich.
In Bezug auf Monsieur T. hat der Chefarzt seine Meinung kundgetan, alle nicken; in diesem Fall sind sie sich einig.
Zum Hintergrund…
Monsieur T., Anfang 70, leidet an einer dilatativen Kardiomyopathie, die zu einer Herzinsuffizienz geführt hat. Zu gut Deutsch ist sein Herz ausgeleiert und pumpt nicht mehr gut. Zudem hat er Herzrhythmusstörungen. Letztes Jahr wurde ihm daher ein Herzschrittmacher implantiert. Dieser hat gestern, nachdem eine vertikuläre Tachykardie registriert wurde und das Herz unkontrolliert schnell und ineffizient zu schlagen begonnen hatte, automatisch einen Schock abgegeben – für den Patienten ist das ziemlich schmerzhaft. Monsieur T. hat Angst bekommen und ist daher in der Notaufnahme erschienen. Hier ist ans Licht gekommen, dass der Patient seine Medikamente in letzter Zeit nicht regelmäßig eingenommen hatte – weshalb sein Herz ins Stolpern geraten und der Elektroschock notwendig war. Nun ist das erklärte Therapieziel, Monsieur T. dazu zu bringen, seine Medikamente zuverlässig einzunehmen. Denn das beste Rezept hilft nichts, wenn der Patient sich nicht daran hält.
Mathilde, eine der Krankenschwestern, meldet sich zu Wort. Ob wir uns auch um das Alkoholproblem des Patienten kümmern würden? Heute früh habe sie ihn um sieben Uhr mit einer Flasche Bier in seinem Zimmer ertappt… ‚Na und? So bin ich heute auch in meinen Tag gestartet. Macht ihr das nicht?‘, entgegnet trocken einer der Oberärzte. Alle lachen. Nun ist klar, warum es bei Monsieur T. besonders schwierig werden dürfte, eine regelmäßige Medikamenteneinnahme zu gewährleisten.
Kommunikation spielt eine zentrale Rolle
Mir fällt die Aufgabe zu, mit Monsieur T. zu besprechen, ob er den Wunsch hat, gegen seine Alkoholkrankheit anzugehen. Denn wenn er dazu nicht bereit ist, wird gar nicht erst ein Termin mit dem Addiktologen, dem Suchtberater, gemacht. Wieder ist Compliance das Stichwort. Monsieur T. ist einsichtig. Er ist nach wie vor dabei, sich von dem Schock zu erholen und ihm ist klar, dass viel auf dem Spiel steht, wenn er es nicht schafft, sein Verhalten zu ändern. Gleichzeitig äußert er Bedenken daran, ob er es wird schaffen können, seine Tabletten regelmäßig einzunehmen… Familiäre Probleme, genaueres möchte er nicht sagen. Als ich ihn auf Alkohol und Tabak anspreche, reagiert er reumütig. Ja, er wisse, dass das nicht gut sein für ihn. Er werde selbst versuchen, davon loszukommen, aber Hilfe brauche und wolle er dabei nicht… Ich erkläre ihm, dass wir hier im Krankenhaus Alkohol und Zigaretten als Drogen und eine Abhängigkeit von ihnen als Krankheit betrachten. Und dass Krankheiten im Krankenhaus behandelt werden müssen. Sofern er also gewillt sei, diese Krankheiten zu bekämpfen – und so hätte ich ihn ja gerade verstanden – sei der nächste Schritt zwangsläufig ein Gespräch mit einem Addiktologen, um die nächsten Schritte mit ihm zu besprechen und zu überlegen, welche Art der Unterstützung in seinem Fall sinnvoll ist. Monsieur T. willigt ein. Ihm ist das Thema unangenehm, gleichzeitig sorgt er sich sehr um seine Gesundheit. An Willen zur Besserung mangelt es ihm momentan nicht; nun wird sich zeigen, ob es ihm gelingt, auch entsprechend zu handeln. Die Ärzte werden ihn dabei soweit es ihnen möglich ist unterstützen – ihm selbst fällt aber ein großer Teil der Verantwortung zu.