Fragen an Kinderärzte aus dieser Welt

Eine neue Rubrik: Ich habe ein paar Fragen an kinderärztliche Kolleginnen und Kollegen in Deutschland gestellt, viele waren so freundlich zu antworten, hier in loser Reihenfolge die Antworten. Nach den Kinderärzten aus einer anderen Welt, jetzt also Kinderärzte aus dieser Welt.
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steffen_neuDen Anfang macht Herr Dr. Steffen Lüder aus der Hauptstadt. Kollege Lüder praktiziert in eigener Praxis in Berlin-Hohenschönhausen seit über sechs Jahren, unter Kollegen ist er bekannt als „Berliner Schnauze“ und Organisator eines Workshops für Einsteiger in die kinderärztliche Praxis.

 

20 Fragen an den Kinderarztdrlueder_logo

kinderdok: Warum Kinderarzt und nicht Urologe?
Steffen Lüder: Weil ich mehr kann……

Ihr Prüfungsthema in der Facharztprüfung?
Tuberkulöse Meningitis, linksseitige Erdnussaspiration, TGA (= Transposition der großen Arterien), Kopfschmerz-DD

Was, wenn nicht Kinderarzt?
Bin auch Dilombiologie und Läufer bis zu 24 Std.

Wie lange werden Sie diese Woche in der Praxis arbeiten?
Nicht länger als sonst, 26 Std. Öffnungszeit sind wahrschlich genug

Einzelkämpfer oder Teamplayer?
I am the one and only one, the schnellste Nadel Lichtenbergs

Gibt es etwas, was Sie an der heutigen Medizin ärgert?
Die Frage ist unfair, ich will heute noch ins Bett.

Was möchten Sie jungen Eltern auf den Weg geben?
Erst Hirn einschalten, dann in die Kiste.

Gibt es ein Buch oder eine Website, das/die Sie Eltern ans Herz legen?
Kindheit ist keine Krankheit.

Beruf ist Berufung oder Pflicht?
Weder noch, macht Spaß, bringt Kohle und zeitigen Feierabend

Welches Kind werden Sie aus Ihrer Arbeit niemals vergessen?
Marvin, Hämatokrit von 11 % (siehe unten)
Justin, Meningeom
na, da gibt es einige

Die ewige Frage: Behandeln Sie die Kinder in der Praxis genauso wie Ihre eigenen Kinder?
Nein, schlechter! Tims Trommelfell platzte letzten Montag, na und?

Kaffee oder Tee?
Kaffee, Bier, Whisky

Fahrrad, Laufen oder Auto?
Laufen

Computer oder Karteikarte?
Computer, meine Schrift kann keiner Lesen

Globuli oder Abwarten?
Hääääh

Impfen oder Abhärten?
IMPFEN!

Ihre aktuelle Verfassung?
Super, werde in 9 Tagen 50.

Ihr Motto für den Praxisalltag?
Hab keins.

Dr. Lüder hat noch eine Geschichte an den Fragebogen angehängt – betreffend o.g. „Marvin“:

„Marvin – wahre Begebenheit.

Ein Freitag im Februar. Die Praxis ist voll, die Infektsaison tobt.
Wieder über 50 bis zum Mittag. Darunter auch Marvin, 3 1/2 Jahre alt.
Montag war er schon mit einem geplatzen Trommelfell in der Praxis gewesen.
Er war gut drauf, hatte kein Fieber und benötigte keine Antibiose.
Nach 5 Tagen lief das Ohr noch ein wenig. Da Marvin ordentlich blass war, gönnte ich ihm und mir eine Blutuntersuchung. Nicht, dass ich doch eine schwere bakterielle Infektion übersehen hätte.

16 Uhr. Meine Familie hatte ich vom Flughafen abgeholt, ich war schon eine Woche zuvor aus Thailand zurückgekommen. Nun badete ich mit meiner Tochter, als mir meine Frau das Telefon zur Badewanne brachte.
Das Labor war dran und gab die Werte durch.
Hb 1,6 mmol/l (normal 6-9), Hämatokrit 10,4 % !!!, Leuko 4,9 normal, Thr 342 normal, Reti 50 rel. erhöht, Ferritin 1,3 sehr sehr niedrig, CrP normal.
Upps, war das mit dem Leben vereinbar?
Hab ich das Blut irgendwie falsch abgenommen?
Nein. Die anderen Werte waren ja in Ordnung.
Was nun.
Raus aus der Wanne, Töchterchen geschnappt, rein ins Auto, ab in die Praxis. Computer hochfahren, Telefonnummer raussuchen. Anruf. Keiner da.
Mist, also Vorbeifahren. Keiner zuhause. Aber es war schöne Sonne. Also mal auf den zwei Spielplätzen schauen. Kein Marvin. Einmal zu Real – kein Marvin. Zurück zur Wohnung. Ich klingelte beim Nachbarn, stellt mich als Marvins Kinderarzt vor und bat Frau Nachbarin UNBEDINGT Bescheid zu geben, dass Marvin sich im Krankenhaus vorstellen sollte.
Dort rief ich an und kündigte den Jungen an. Entschuldigte mich sogleich, dass er ohne Einweisungsschein käme.
Auf dem Rückweg im Auto klingelte es, die Mutter hatte die Nachricht bekommen.

Marvin kam auf die ITS, erhielt zwei Blutkonserven und viel Diagnostik. Wodurch so eine starke Anämie auftrat, konnte nicht geklärt werden.

Als ich zurückkam, war das Badewasser kalt, aber mir war warm.

St. Lüder“

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