Von Liz Highleyman*, produziert in Zusammenarbeit mit hivandhepatitis.com
Zusammenfassung der Redaktion: Bei einer HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) nehmen HIV-Negative HIV-Medikamente, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Das HIV-Risiko beim Sex ohne Kondom ist dann extrem gering. Häufig wird aber die Sorge geäußert, dass mehr Sex ohne Kondom auch mehr Geschlechtskrankheiten (kurz: STIs für sexually transmitted infections) bedeutet. Dieser Artikel zeigt: Die STI-Raten bei Männern, die Sex mit Männern haben, stiegen schon vor der Einführung der PrEP. Aber da zur PrEP auch regelmäßige Untersuchungen auf STIs gehören, könnten die STI-Zahlen bei PrEP-Nutzer_innen langfristig sogar sinken. Dazu ist es offenbar am sinnvollsten, sich alle drei Monate auf Geschlechtskrankheiten untersuchen und im Fall des Falles behandeln zu lassen – wie das mittlerweile auch die meisten Leitlinien empfehlen. (hs)
Die Teilnehmer zweier PrEP-Demonstrationsprojekte in den USA, die Tenofovir plus Emtricitabin (Truvada) zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) einnahmen, hatten weiterhin hohe Raten an sexuell übertragbaren Infektionen (STIs). Dies zeigten zwei Berichte auf der CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections), die im Februar 2016 in Boston stattfand. Da bei halbjährlichen STI-Tests viele Fälle übersehen wurden, folgerten die Forscher_innen, dass schwule Männer unter einer PrEP von vierteljährlichen Kontrolluntersuchungen profitieren könnten.
Eine der am häufigsten im Zusammenhang mit der PrEP geäußerten Sorgen ist die hohe STI-Rate unter ihren Nutzern. Es gibt kaum Hinweise darauf, dass die PrEP zu einer Zunahme bei den STIs führt, aber schwule und bisexuelle Männer mit einem HIV-Risiko haben generell hohe STI-Raten, und viele PrEP-Nutzer dürften bereits Sex ohne Kondom haben oder sich Sex ohne Kondom wünschen.
Sheena McCormack, die Forschungsleiterin der englischen PROUD-Studie, erklärte bei einem CROI-Symposium zu Innovationen bei der PrEP: „Der bereits zuvor zu beobachtende Anstieg bei den STI-Zahlen [unter Männern, die Sex mit Männern haben] setzt sich fort, aber die PrEP bedeutet, dass nicht auch die HIV-Zahlen steigen müssen.“
Auf der anderen Seite führen die für PrEP-Nutzer_innen empfohlenen regelmäßigen STI-Untersuchungen zu frühen Diagnosen und rascher Behandlung, was die Weiterverbreitung eindämmt und dazu führen könnte, dass die STI-Raten bei ihnen im Vergleich zu derjenigen bei Nichtnutzern sinken.
„Die STI-Zahlen stiegen schon vor der PrEP – dank PrEP müssen nicht auch die HIV-Zahlen steigen“
Regelmäßige Untersuchungen bei asymptomatischen Individuen mit STI-Risiko sind wichtig, weil einige STIs keine Symptome verursachen und daher von Personen übertragen werden können, die nicht wissen, dass sie infiziert sind, und bei denen keine sichtbaren Symptome wie entzündete Stellen oder Ausfluss auftreten.
Die PrEP-Leitlinien der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfehlen asymptomatischen Individuen, sich mindestens alle sechs Monate auf STIs testen zu lassen, obgleich PrEP-Nutzer_innen alle drei Monate zum Arzt gehen sollten, um sich auf HIV testen zu lassen und eine neue Verschreibung für Truvada zu bekommen und obwohl in einigen Kliniken bei jedem Besuch aufs STIs getestet wird. Die 2015 veröffentlichten CDC-Leitlinien zur STI-Behandlung empfehlen Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) – insbesondere solchen, die bereits einmal oder häufiger eine STI hatten –, sich alle drei bis sechs Monate untersuchen zu lassen. Die British Association for Sexual Health and HIV empfiehlt, dass sich alle sexuell aktiven MSM mindestens jährlich und MSM mit hohem Risiko alle drei Monate auf STIs testen lassen sollten.
Das SPARK-PrEP-Projekt
Sarit Golub vom Hunter College präsentierte Ergebnisse des communitybasierten SPARK-PrEP-Demonstrationsprojekts am Callen-Lorde Community Health Center in New York City. Die SPARK-Teilnehmer_innen werden alle drei Monate auf Syphilis, Chlamydien in der Harnröhre und im Rektum sowie auf Gonorrhö getestet und sind aufgefordert, bei STI-Symptomen unabhängig von den regelmäßigen Terminen in die Klinik zu kommen.
Das Team um Dr. Golub analysierte die medizinischen Daten von 280 SPAR-Teilnehmer_innen, die in den sechs Monate vor Beginn ihrer PrEP und im ersten Jahr der PrEP aufgezeichnet worden waren. Die Forscher_innen nannten keine demografischen Daten, doch da Callen-Lorde ein LGBT-Gesundheitszentrum ist, dürften die meisten Teilnehmer_innen schwule und bisexuelle Männer gewesen sein.
Am häufigsten waren rektale Chlamydien- oder Gonokokken-Infektionen
13 Prozent dieser SPARK-PrEP-Klient_innen hatten in den sechs Monaten vor Beginn der PrEP eine STI gehabt und 11 Prozent wurden vor der ersten PrEP-Verschreibung positiv auf eine STI getestet.
Bei der ersten Kontrolluntersuchung drei Monate nach Beginn der PrEP wurde bei 13 Prozent eine STI festgestellt. Mehr als drei Viertel der Betroffenen (77 %) hatten keine Symptome, zwei Drittel hatten keine bekannte STI-Vorgeschichte; sie wären also wahrscheinlich nicht auf STIs getestet worden, wenn es keine regelmäßigen Untersuchungstermine gegeben hätte.
Bei der Kontrolluntersuchung nach sechs Monaten hatten 21 Prozent der Teilnehmer_innen eine STI, bei der Untersuchung nach neun Monaten 15 Prozent und bei der Untersuchung nach 12 Monaten 13 Prozent, wobei die STIs in den meisten Fällen (83 %, 68 % und 77 %) bei der Routine-Untersuchung und nicht bei einer Untersuchung aufgrund von Symptomen festgestellt wurde. Dr. Golub merkte an, dass die Zahl der STI-Diagnosen bei der Untersuchung nach sechs Monaten etwas höher lag, bis zum zwölften Monat aber wieder auf das ursprüngliche Niveau sank.
Bei der Mehrzahl der Diagnosen – je nach Kontrolluntersuchungstermin 71 bis 100 Prozent – handelte es sich um rektale Chlamydien- oder Gonokokken-Infektionen (Rektalgonorrhö), die meistens ohne Symptome verlaufen; bei 16 bis 43 Prozent handelte es sich um Infektionen der Harnröhre, bei 0 bis 12 Prozent um Syphilisfälle.
Von den Teilnehmer_innen, die über 12 Monate lang beobachtet werden konnten, wurden 43 Prozent (55 von 128) nach Beginn der PrEP mindestens einmal positiv auf eine STI getestet. Der Anteil der Teilnehmer_innen mit mehreren Diagnosen stieg mit der Zeit von etwa einem Viertel beim ersten Termin (zur Verschreibung der PrEP) auf etwa drei Viertel bei der Untersuchung nach 12 Monaten. Wären jeweils nur Männer mit einer STI-Diagnose in der Vorgeschichte untersucht worden, hätte man 66 Prozent der Fälle bei der Dreimonats- und 16 Prozent der Fälle bei der Neunmonats-Untersuchung nicht entdeckt.
„Eine mögliche Zunahme von STIs wird durch den Schutz vor HIV mehr als aufgewogen“
„Auf Grundlage der derzeitigen CDC-Leitlinien könnte eine beträchtliche Zahl asymptomatischer STIs bei PrEP-Nutzern undiagnostiziert bleiben“, schlossen die Forscher_innen. Sie glauben, dass STI-Tests bei der Dreimonats-Kontrolluntersuchung besonders wichtig sein könnten und dass routinemäßige STI-Tests alle drei Monate sinnvoll sind, insbesondere für Individuen mit einer STI-Vorgeschichte.
„Wer sich entscheidet, die PrEP zu nehmen, braucht sie auch – falls es einen Anstieg bei den STIs gibt, wird er durch den Schutz vor HIV mehr als aufgewogen“, sagte Dr. Golub bei einer Pressekonferenz auf der CROI. Angesichts der Tatsache, dass die PrEP immer breitere Anwendung finde, müssten die Leitlinien rasch geändert werden, denn später seien Änderungen bei den Anbieter_innen nur schwer umzusetzen.
US PrEP Demo Project
Stephanie Cohen vom San Francisco Department of Public Health präsentierte auf der CROI vergleichbare Daten zu STI-Raten bei Teilnehmer_innen des US PrEP Demo Projects und zum Anteil der Fälle, in denen bei größeren Testintervallen Diagnosen nicht gestellt und Behandlungen verspätet begonnen worden wären.
Das Demonstrationsprojekt umfasste 557 MSM und Trans*-Frauen mit einem HIV-Risiko, die an STI-Kliniken und Communityzentren in San Francisco, Miami und Washington rekrutiert worden waren. Alle bekamen ein Jahr lang Truvada-Tabletten für eine täglich einzunehmende PrEP. Nicht ganz die Hälfte der Teilnehmer_innen war weiß, der Altersmedian lag bei 35 Jahren.
Die Teilnehmer_innen wurden beim ersten Besuch und dann alle drei Monate auf Syphilis sowie auf urethrale (die Harnröhre betreffende), rektale und pharyngeale (den Rachen betreffende) Chlamydien- und Gonokokken-Infektionen untersucht und bei einer Diagnose sofort behandelt. Sie galten als asymptomatisch, falls sie selbst im Rahmen einer strukturierten Symptomabfrage keine Krankheitszeichen angaben und bei körperlicher Untersuchung keine Symptome festgestellt wurden.
Bei etwas mehr als einem Viertel der Teilnehmer_innen wurde bei der ersten Screening-Untersuchung eine STI festgestellt; dieser Wert fiel auf weniger als 20 Prozent bei der Sechsmonats-Untersuchung und stieg dann bei der Zwölfmonatsuntersuchung wieder auf 25 Prozent an – genau andersherum als das Muster bei der SPARK-Studie. Rektale Chlamydien- oder Gonokokken-Infektionen waren bei allen Untersuchungen am häufigsten, gefolgt von Chlamydien- oder Gonokken-Infektionen im Rachen, in der Harnröhre und von frühen Syphilis-Infektionen.
Viele Infektionen wären bei halbjährlichen Untersuchungen nicht entdeckt worden
Die Forscher_innen gaben an, dass 40 Prozent der bei den vierteljährlichen Untersuchungen diagnostizierten Chlamydien-Infektionen, 34 Prozent der Gonorrhö-Fälle und 20 Prozent der Syphilis-Fälle nicht entdeckt worden wären, wenn man nur alle sechs Monate oder auf Basis von Symptomen auf STIs untersucht hätte. Insgesamt wären 35 Prozent der Teilnehmer_innen verspätet behandelt worden, wenn sie nur alle sechs Monate auf STIs untersucht worden wären.
Darüber hinaus wären 159 Chlamydien-Infektionen (76 %) und 150 Gonokokken-Infektionen (83 %) nicht entdeckt worden, wenn man nur genital und nicht auch Rektum und Rachen untersucht hätte.
Die meisten Teilnehmer_innen (89 %) mit asymptomatischen STIs gaben an, zwischen den Untersuchungen Sex ohne Kondom gehabt zu haben, was darauf hindeutet, dass der Zeitraum für potenzielle Übertragungen bei weniger häufigen Untersuchungen um bis zu drei Monate länger gewesen wäre. Im Vergleich zu halbjährlich durchgeführten STI-Tests hätten die vierteljährlichen Checks (berechnet für jede Diagnose) im Schnitt acht und im Median drei Sexpartner_innen vor dem Kontakt mit STI-Erregern geschützt.
„Ein beträchtlicher Anteil von Gonorrhö-, Chlamydien- und Syphilis-Infektionen wäre nicht diagnostiziert worden, wenn man nur alle sechs Monate auf STIs getestet oder nur genitale Untersuchungen durchgeführt hätte“, schlossen die Forscher_innen.
Literatur
Golub, S. et al.: STI data from community-based PrEP implementation suggest changes to CDC Guidelines. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Boston, abstract 869, 2016.
Abstract auf der Website der Konferenz
Cohen, S. et al.: Quarterly STI screening optimizes STI detection among PrEP users in the Demo Project. Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, Boston, abstract 870, 2016.
Abstract auf der Website der Konferenz
Webcast zu dieser Session auf der Website der Konferenz
*Original: High sexually transmitted infection rates among men on PrEP supports more frequent monitoring, veröffentlicht am 16. März 2016 auf aidsmap.com; Übersetzung: Literaturtest
Vielen Dank an NAM/aidsmap.com für die Erlaubnis zur Veröffentlichung!