Beim kleinsten Kopfschmerz wird ein Hirntumor vermutet, die Verdauungsbeschwerden weisen mit Sicherheit auf Darmkrebs hin und das leichte Stechen in der Brust beim letzten Joggen kann nur ein Indiz für eine akute Herz-Kreislauf-Erkrankung sein – rund ein Prozent der Bevölkerung ist, so aktuelle Schätzungen, von einer hypochondrischen Störung betroffen. Diese Menschen leben in ständiger Angst, an einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden.
Der Unterschied zwischen einer gesunden Körperwahrnehmung und Hypochondrie
In unserer Ambulanz der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Kassel und Hofgeismar behandeln wir häufig Menschen, die an einer hypochondrischen Störung leiden. Betroffen sind meist Personen, die ängstlich sind und wenig Vertrauen in sich und die Welt haben. Ein Hypochonder richtet diese Angst auf seinen eigenen Körper und beschäftigt sich sehr intensiv mit dessen Funktionen. Jede noch so kleine Veränderung nimmt ein Hypochonder wahr und und sieht sie als sicheres Anzeichen für eine lebensbedrohliche Erkrankung. Da werden harmlose blaue Flecken schnell mal als Leukämie gedeutet. Meist haben meine Patienten eine klare Hypothese, woran sie erkrankt sind. Es kamen beispielsweise auch schon Patienten zu mir, die sicher waren, an Parkinson oder multipler Sklerose zu leiden.
Diese Selbstdiagnosen lassen sich durch Untersuchungen natürlich leicht widerlegen. Doch jemand, der an einer hypochondrischen Störung leidet, lässt sich von keinem Blutbild und keiner Computertomografie überzeugen. Eindeutige Werte werden nicht als Beweis akzeptiert. Vielleicht ist ja das Gerät defekt oder der Arzt hat nicht ausgiebig genug gesucht. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die der festen Überzeugung war, HIV-positiv zu sein. Selbst unzählige negative Testergebnisse konnten sie nichtvom Gegenteil überzeugen.
Am häufigsten gehen die Betroffenen davon aus, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden. Auf Platz zwei und drei landen Krebs und Infektionen. Unterschieden werden, muss dabei zwischen einer Hypochondrie, bei welcher es sich um ein klar umschriebenes, eigenständiges Krankheitsbild aus der Gruppe der somatoformen Angststörungen handelt und einer Hypochondrie, die ein Symptom für eine andere Erkrankung, etwa Depression oder Schizophrenie, ist. In beiden Fällen kann es zu einem sogenannten hypochondrischen Wahn kommen.
Doch nicht jeder, der sich mit seinem Körper beschäftigt, ist automatisch ein Hypochonder. Es gibt einen großen Unterschied, zwischen einer gesunden Fürsorge für den eigenen Körper und einer krankhaften hypochondrischen Störung. Es ist gut, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen und auch das Googeln von Symptomen macht noch lange keinen Hypochonder aus.
Gravierende Folgen für den Betroffenen
Was für den Außenstehenden skurril klingen mag, bringt für den Betroffenen einen enormen Leidensdruck mit sich. Fixiert sich jemand auf eine vermeintliche Krankheit, wirkt sich dies auf sein Berufs- und Privatleben aus und durchzieht seinen gesamten Alltag. Es gibt Betroffene, die täglich den Arzt aufsuchen oder sich in einem Krankenhaus nach dem anderen vorstellen. Wird eine hypochondrische Störung nicht behandelt, kann sie sogar zum Suizid führen.
Angehörige und Freunde sind meist hilflos
Angehörige und Freunde neigen dazu, den Betroffenen beruhigen zu wollen, oder tun seine Symptome ab. Beides ist keine Lösung. Richtig hingegen ist es, den Betroffenen erst zu nehmen und ihm dabei zu helfen, sich um therapeutische Hilfe zu bemühen. Um zu verstehen, was hinter den Ängsten steckt, eignen sich eine kognitive Verhaltenstherapie sowie Therapien mit psychodynamischem Ansatz. Zwar lässt sich eine überängstliche Persönlichkeit nicht einfach wegtherapieren, der Patient kann jedoch lernen, mit seinen Ängsten zu leben und diese nicht mehr auf seinen Körper zu richten.
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Autor Dr. med. Rolf Günther ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Vitos Klinikum Kurhessen. Er ist stellvertretender Klinikdirektor der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Kassel und Hofgeismar.