Es ist Samstag, es ist früh am Morgen, und wir haben gerade unseren Dienst angetreten.
Mit dampfenden Kaffeebechern in der Hand checken wir den Rettungswagen. Die Besatzung vom Vortag hat zwar bereits aufgefüllt, was verbraucht wurde, aber solche Checks sind wichtig. Gewissenhaft überprüfen wir, ob alle Funktionen des Defibrillators einsatzbereit sind, ob das Beatmungsgerät funktioniert, ob alle Sauerstoff- und Pressluftflaschen ausreichend gefüllt sind, ob die Medikamente vollzählig und nicht abgelaufen sind.
Wir haben es nach dem Fahrzeugcheck noch nichtmal aus der Fahrzeughalle zurück zu den Wachräumen geschafft, da werden wir schon zu unserem ersten Einsatz alarmiert.
Als wir die Wohnung des Patienten betreten, finden wir im Schlafzimmer ein aufgeregtes älteres Ehepaar um die 80 vor.
Der Mann hat sich eine Hautverletzung im Gesicht, unmittelbar neben dem Ohr zugezogen, und aus dieser schießt jetzt pulsierend hellrotes Blut. Das halbe Kopfkissen ist schon rot. Ihm ist schwummrig geworden, als er das Blut gesehen hat, und hat sich deswegen lieber hingelegt. Kluge Entscheidung.
Ich kann auch mein eigenes Blut nicht sehen, ohne dass mir die Knie weich werden.
Lieber selber hinlegen, bevor der Körper sich eigenmächtig dazu entscheidet. 😉
Der Patient wird nicht viel Blut verloren haben. Es ist zwar eine arterielle Blutung, und das Blut schießt geradezu heraus, aber die Wunde ist so winzig, dass der pulsierende Blutstrahl gerade mal so dünn ist wie eine etwas dickere Nähnadel.
Insgesamt wird der Blutverlust vielleicht ein halbes Wasserglas voll gewesen sein. Das ist nicht schön, aber davon stirbt man nicht.
Die Blutung ist (mit “Handauflegen” *g*) schnell gestillt. Sicherheitshalber nehmen wir den Patienten natürlich trotzdem noch mit ins Krankenhaus.
Die Ehefrau ist jetzt furchtbar durch den Wind. Verständlich. Die Blutung sah für einen Laien sicher sehr dramatisch aus, und dann sind noch Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeug mit Blaulicht und Alarm angefahren, in der Wohnung befinden sich jetzt vier Menschen mit roten Hosen und roten Jacken, großen Nofallrucksäcken. Es ist allerlei Gewusel.
Nachdem wir den Patienten für den Transport ins Krankenhaus vorbereitet haben, sammeln mein Kollege und der Rettungsassistent vom NEF alles zusammen, was uns gehört und was wieder mitmuss.
Ich beschließe, mich ein bisschen um die Angehörige zu kümmern.
Erkläre ihr, dass die Wunde zwar mit sehr viel Kraft geblutet hat, aber so klein war, dass nicht viel Blut verloren gegangen ist. Ich erzähle ihr, dass die Menge vielleicht ein bisschen mehr gewesen sein wird als beim Blutabnehmen beim Arzt, und dass der Blutverlust keineswegs bedrohlich sein wird. Ich sage ihr, dass sie gut und richtig gehandelt hat, als sie sofort den Rettungsdienst gerufen hat, und dass dadurch verhindert werden konnte, dass ihr Mann zuviel Blut verliert.
Sie sieht ein bisschen beruhigter aus, ist aber immer noch völlig durch den Wind, mit Tränen in den Augen. Ich mache also spontan etwas, dass ich sonst nicht mache und nie zuvor und nie danach gemacht habe.
Ich frage die Angehörige, ob ich sie mal kurz drücken soll. Sie nickt schüchtern, ich nehme sie in den Arm, sie weint noch ein bisschen in meinen Jackenkragen und folgt uns dann sichtbar erleichtert nach unten zum Rettungswagen.
“Psychologische Erste Hilfe, hm?” raunt die Notärztin mir zu, als wir die Treppen runtersteigen.
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