Die akute Mittelohrentzündung (Otitis media) ist eine der häufigsten Erkrankungen in der homöopathischen Praxis. Bei Kindern tritt sie besonders oft auf, da durch die wachstumsbedingte Anatomie
des Kopfes, die Eustachische Röhre noch zu eng und zu kurz ist und dadurch ein Aufsteigen von Bakterien aus dem Nasenrachenraum erleichtert wird. Auch Säuglinge können an einer
Mittelohrentzündung erkranken.
Meist geht den Ohrenschmerzen ein Schnupfen voraus. Die Kinder haben eine „Rotznase“. Durch die Verminderung der Nasenatmung kommt es zu einer Störung der Ohrbelüftung. Bakterien gelangen aus der
Nase über die Ohrtrompete in das Mittelohr. In diesen Fällen handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine bakterielle Infektion. Hier helfen schulmedizinisch Antibiotika gegen die Entzündung.
Doch eine Antibiose muss nicht zwingend nötig sind. Über 60% aller Otitiden heilen ohne Antibiotikumgabe nach 24 Stunden aus. Eine kontinuierliche Schmerztherapie mit Ibuprofen (zusätzlich
Entzündungshemmend) kombiniert mit abschwellenden Nasentropfen ist hier schulmedizinisch sinnvoll.
Durch die unnötige Gabe von Antibiotika fördern wir Resistenzbildung der Bakterien und riskieren Nebenwirkungen bei den Kindern. Denn durch die Gabe von Amoxicillin und Co kann die
Darmschleimhaut der Kinder geschädigt werden, die natürlich Darmbakterienflora wird durcheinander gebracht, Durchfälle mit Dehydrierung sind nicht selten die Folge. Die gesamte Immunstabilität
kann nach einer Antibiose nachlassen, ein Anschlussinfekt nach wenigen Tagen oder Wochen folgen.
Inzwischen wägen daher viele Ärzte eine Antibiotikumverordnung um Nutzen und Risiko genauer ab.
Besonders wenn die Schmerzen stärker werden, länger als 48 Stunden anhalten, oder die Erkrankung insgesamt an Schwere zunimmt, befürchtet man eine Ausweitung der Entzündung auf das gesamte
Innenohr mit seinen Knöchelchen, oder dem Mastoid. Doch dieser schwere Verlauf ist eher selten. Um den Verlauf einer Mittelohrentzündung einschätzen zu können, sollte immer ein Facharzt oder
versierter Therapeut das Ohr inspizieren.
Homöopathisch kann eine Mittelohrentzündung wirkungsvoll und sanft behandelt werden. Gut gewählte Arzneien wirken schnell und dauerhaft.
Klassisch homöopathisch verschriebene Arzneien werden immer aufgrund der individuellen Symptome eines erkrankten Kindes verordnet. So können zwei Kinder mit einer Otitis an einem Tag in meiner
Praxis eine andere Arznei zur Heilung benötigen. Für eine Akutanamnese und die individuelle Verschreibung eines passenden Arzneimittels einschließlich der Untersuchung benötigt ein klassisch
arbeitender Homöopath mindestens 30 Minuten. Diese Zeit haben kassenärztliche Kinderärzte wegen ihrer übervollen Wartezimmer oft nicht. Verständlicherweise werden deshalb vom Kinderarzt häufig
homöopathische Komplexmittel (zB. Otovoven) verordnet. Es ist gut möglich, dass diese Tropfen hilfreich sind. Doch oft lindern die nicht individuell verordneten Arzneien das Leiden nicht
wirklich. Leider bekommen dann die Eltern den Eindruck, „Homöopathie hilft nicht!“.
Doch bei der Mittelohrentzündung können auch Eltern versuchen ein geeignetes homöopathisches Mittel für ihr Kind zu finden. Es gibt bewährte Indikationen, mit deutlichen Hinweisen auf die
verschiedenen Arzneien.
Sollte sich jedoch innerhalb einiger Stunden keine Besserung einstellen, muss ein Arzt oder ein geeigneter Therapeut zu Rate gezogen werden.
Die homöopathischen Hauptarzneien für eine Entzündung im Ohr oder Ohrenschmerzen sind:
Belladonna:
– es beginnt meist plötzlich, innerhalb kurzer Zeit von nichts auf 100
– besonders, wenn das Ohr, das Ohrläppchen oder der Kopf gerötet ist
– das Kind klagt über heftige Schmerzen
– wenn schon Eiter aus dem Ohr fließt
– oft begleitet von hohem Fieber ohne Durst
– das Kind kann Verbesserung durch bohren mit dem Finger im Ohr erfahren (auch Nase und Wange möglich)
– mag das warme Einhüllen der Ohren
– besonders bei rechtsseitiger Mittelohrentzündung,
– pochende Schmerzen
Chamomilla:
– das Kind empfindet die Schmerzen unerträglich und schreit sehr
– es kann nur schlecht beruhigt werden, es ist unruhig und reizbar
– kann mit Zahnungsbeschwerden einhergehen
– besonders wenn eine Wange rot ist
Aconitum:
– plötzlicher Beginn (ähnlich Belladonna)
– beginnt meist Nachts
– Schmerzen nachdem das Kind im kalten Wind gespielt hat
– eine Wange ist rot (ähnlich Chamomilla, Pulsatilla)
– sehr ängstlich und unruhig
– hohes Fieber mit Durst
Mercurius sol.:
– wenn Ohrenschmerzen mit Mandelentzündung einhergeht
– starker Mundgeruch, Speichelfluss und Schweiß
– Verschlechterung Nachts
– vor allem bei rechtsseitigen Ohrenschmerzen
Pulsatilla:
– weint bei den Beschwerden, das Kind möchte getröstet werden
– die Schmerzen erscheinen wellenartig
– der Krankheitszustand ist nicht so schwer wie bei Belladonna, Chamomilla oder Aconit
– das Ohr fühlt sich verstopft an
– vor allem, wenn nur das linke Ohr betroffen ist
Ferrum phosphoricum:
– die Ohrenschmerzen beginnen langsam, steigern sich immer mehr
– vor allem bei mildem Verlauf
– die Kinder spielen trotz Schmerzen weiter, sind kaum beeinträchtigt
Hepar sulfuris:
– wird verwendet, wenn die Kinder äußerst schmerzempfindlich auf die geringste Berührung reagieren
– die Kinder wollen nicht am Ohr untersucht oder berührt werden
– die Kinder haben Verlangen, die Ohren einzupacken
Calcium carbonicum:
– vor allem, bei Kindern, die schon öfter Ohrenentzündungen hatten
– oft bei etwas schwerfälligen und in der Entwicklung verlangsamten Kindern
– die Kinder schwitzen am Kopf und Nacken
Lycopodium:
– wenn die Ohrenschmerzen rechts beginnen und am nächsten Tag auch die linke Seite betroffen ist
– bei Kindern, die oft unter Verdauungsbeschwerden / Bauchschmerzen leiden
Sulphur:
– bei Kindern, die sich an den Ohren jucken
– besonders wenn die Kinder vor kurzem Antibiotikum erhalten haben und nun Ohrenschmerzen entwickeln
Lachesis:
– vor allem, wenn die Ohrenentzündung links auftritt
– vor allem wenn sich die Schmerzen nach dem Schlaf verschlechtern
Capsicum:
– vor allem, wenn die Kinder dickköpfig sind
– die Kinder werden krank, wenn sie ihren Willen nicht bekommen
– Schmerzen bei Heimweh (auch wenn ein geliebtes Elternteil abwesend ist)
– die Kinder haben ein heißes Gesicht, welches sich aber kalt anfühlt
Silicea:
– leicht frierende Kinder
– die Kinder sind oft erkältet
– mögen sich gern einmummeln oder Mütze tragen
Diese Arzneien wirken natürlich auch auf andere Erkrankungen und sollten nicht in der Hausapotheke fehlen.
© Heike Dahl