Publizistik-Preisträgerin Annette Hoth: „Eine Lektion fürs Leben“

Für ihre ZDFzoom-Reportage: „Letzte Tage, gute Tage? Palliativversorgung in Deutschland“ hat Annette Hoth Menschen an ihrem Lebensende besucht. Nicht alle von ihnen haben das Glück, ihre letzten Tage in einem Hospiz verbringen zu können, denn die große Mehrheit der Menschen in Deutschland stirbt im Krankenhaus oder Pflegeheim. Daher erkundet Hoth auch weitere Modelle der Palliativversorgung und beschreibt, was sich ändern muss,  damit ein würdevoller Tod in Zukunft für mehr Menschen möglich ist. Im Blog erzählt die Journalistin, wie sie der manchmal belastende Dreh verändert hat.

Annette Hoth:

Jeder Mensch denkt mit Schrecken an sein Ende. Wenn überhaupt. Und so hat es schon ein bisschen Mut gekostet, sich in das Thema Palliativmedizin zu stürzen. Durch die Begegnung mit sterbenden Menschen, das war klar, würde ich auch meinem eigenen Tod gegenüber stehen. Ich beschloss, das aushalten zu wollen. Denn es gibt sie ja wirklich, die viel beschworene professionelle Distanz, die die eigene Seele schützt. Als Reporterin blicke ich immer nur auf das Leben der anderen, nicht auf mein eigenes. Die Schicksale berühren mich, aber: Es gibt einen Feierabend.

1. Platz für Beitrag zur Palliativversorgung: Annette Hoth. © Matthias Kindler

Annette Hoth bei der Preisverleihung auf dem Jahresempfang der Stiftung im Medizinhistorischen Museum der Charité. © Matthias Kindler

 

Bei diesem Film kam es anders. Gott sei Dank. Einer meiner Protagonisten war Gerold Otten. Nur drei Monate vor mir geboren, aber inzwischen seit vier Monaten tot. Leber- und Lungenkrebs. Wir haben ihn auf einer Kutterfahrt mit unserer Kamera begleitet. Die verdankte er der Kay-Stiftung, die Sterbenden letzte Wünsche erfüllt. Gerold wollte einmal im Leben auf der Nordsee angeln. „Mir geht es richtig gut“, sagt er da, aus tiefstem Herzen. „An meine Krankheit, da denke ich im Moment nicht dran. Wenn ich daran nur denken würde, würde ich kaputt gehen.“ Seit er 14 war, hat Gerold Otten geangelt, aber immer nur an der Hafenmole. Und immer hat er dort sehnsüchtig den Kuttern hinterher geblickt, die hinaus zu den Schiffwracks vor der Küste fuhren, weil es dort mehr Fische gibt. Ein Leben lang hat Gerold diesen Traum aufgeschoben, als gäbe es immer einen Morgen.

Während wir diese Kutterfahrt filmten, rief plötzlich jemand ganz laut: „Gerold hat was.“ Alle rannten los ans Heck des Bootes, dorthin, wo die Angler ihr Glück versuchen. Alle befürchteten das Schlimmste. Doch was Gerold hatte, war ein Dorsch. Stolz strahlte er in eine Fotokamera, einen fetten Fisch in der Hand.

Todesmut für mehr Freude am Leben

Bei diesen Dreharbeiten hatte ich nie wirklich Feierabend. Ich bin bis heute nicht fertig mit dem Thema. Ein Glück. Denn durch meinen Film über das Sterben habe ich eine scheinbar banale Lektion fürs Leben gelernt: Jeder Augenblick ist wertvoll. Für mich ist das jetzt viel mehr als eine Phrase. Fast jeden Tag erlebe ich Momente, in denen mir bewusst wird, wie dankbar ich sein kann und auch bin. Für die schöne Rom-Reise neulich, für diesen Preis, aber auch für viel Alltägliches. Ein Eis an einem sonnigen Tag nehme ich plötzlich als ein Geschenk wahr.

Ein Preis wie dieser adelt den Film und lenkt einmal mehr Aufmerksamkeit auf das Thema. Und so wird sich wieder der ein oder andere Mensch mit dem Sterben beschäftigen – und für seinen Todesmut vielleicht belohnt werden durch mehr Freude am Leben.

Weitere Informationen und den Link zum Beitrag in der ZDF-Mediathek gibt es hier.