Mein Lieblingskollege und ich haben wieder das Vergnügen, den Rettungswagen gemeinsam zu besetzen. Gegen Nachmittag, wir sind schon langsam durch, bekommen wir einen etwas schwierigeren Einsatz.
Der Hauseingang liegt in einer engen, durch eine Baustelle zusätzlich verschmälerten Straße. da wir auf derlei Befindlichkeiten in der Notfallrettung aber wirklich keine Rücksicht nehmen können, stellen wir unser Fahrzeug dort ab, raffen die Ausrüstung zusammen und begeben uns nach oben in die Patientenwohnung.
Im engen, gewundenen Treppenhaus finden wir nur einen sehr kleinen Aufzug vor. Schade. Natürlich wohnt der Patient ganz oben links. Natürlich ist der Patient bettlägerig und nicht in der Lage, sich mit Hilfe auf- oder umzusetzen. Natürlich wiegt der Patient um 140kg.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich uns schon Tragehilfe rufen, als der Angehörige sagt, dass man den Aufzug vergrößern kann und wir dann mit der Trage gut reinpassen. Begeisterung macht sich breit.
Ich laufe nach unten zum Fahrzeug, um die Trage zu holen und schon mal die Ausrüstung, die wir nicht mehr brauchen, wegzubringen.
Die Straße ist hinter uns immer noch frei, und selbst wenn sie es nicht gewesen wäre – unser Patient ist in Unterwäsche und die ganze Straße und besteht aus Kopfsteinpflaster, der Bürgersteig ist zu schmal um dort sicher mit der Trage lang zu fahren. Als ob wir einen halbnackten Patienten mit Schmerzen vor aller Augen 200m auf Kopfsteinpflaster die Straße runter schieben würde.
Es gibt sicher Leute, die das anders handhaben, aber Patientenwohl und Patientenwürde sind für mich höherwertig als freie Straßen.
Gedöns in den RTW gepackt, Trage rausgeholt, mit etwas Schwierigkeiten und über einen vierstufigen Treppenabsatz (irgendwas ist ja immer) zum Aufzug gebracht und reingetetrist.
Oben vor der Wohnungstür dann mit etwas Schwierigkeiten und leichtem Sachschaden die Trage aus dem Aufzug und in die Wohnung gebracht. Den Patienten umzulagern ist kein Zuckerschlecken, aber wenigstens bemüht er sich ein bisschen, mitzuhelfen und (viel wichtiger) klammert sich beim Umlagern nicht an uns oder dem Bett fest, das würde die Sache noch zusätzlich erschweren.
Im oberen Stockwerk bekommen wir die Trage mit dem Patienten mit Müh und Not (und leichtem Sachschaden) in den Aufzug. Unten bekommen wir die Trage mit dem Patienten aus dem Aufzug. Dann ist Feierabend.
Wir kommen mit der Trage einfach nicht mehr um die enge Kurve.
Wir versuchen es, wieder und wieder. Schweißgebadet geben wir nach einigen Minuten auf. Der Patient schlägt vor, dass wir ihn doch in unseren Tragstuhl umsetzen.
Mein Kollege und ich tauschen Blicke und entscheiden, dass das die einige Möglichkeit ist. Ich schnappe mir also nochmal den Autoschlüssel und hüpf vor die Haustür, um den Stuhl zu holen.
Hinter unserem RTW stehen jetzt drei PKW und ein Bus. Naja, was soll ich machen? Ich kann ja schlecht meinen Kollegen und den Patienten in ihrer misslichen Lage (mein Kollege ist zwischen Wand und Trage “gefangen”) alleine lassen und mir erstmal in aller Seelenruhe nen Parkplatz suchen oder eine Runde drehen. Der Busfahrer ruft mir zu, dass das jetzt ganz schön teuer für mich wird, und ich rufe zurück, dass wir ein Rettungswagen im Einsatz sind, und verschwinde mit dem Tragstuhl wieder im Haus.
Unten im Hochparterre haben wir nicht genug Platz, um den Patienten umzulagern, also tetrissen wir die Trage wieder in den Aufzug zurück (mit leichtem Sach- und keinem Personenschaden), oben wieder aus dem Aufzug raus (die Tür ist jetzt massiv zerkratzt), ich fahre nochmal runter und wieder hoch, um den Stuhl zu holen.
Der Patient arbeitet mit, so gut es geht, und auch der Angehörige bemüht sich, uns beim umlagern zu helfen. Leicht und schnell geht es trotzdem nicht. Als es endlich geschafft ist, sind bestimmt weitere zehn Minuten vergangen und wir sind völlig fertig.
Ich fahre zuerst mit der Trage runter, um die Kurve, den kleinen Treppenabsatz runter, dann kommt mein Kollege mit Stuhl und Patient nach. Es ist kein Kinderspiel, ihn den Absatz runterzutragen.
Jetzt müssen wir ihn noch einmal umlagern, da das Sitzen im Stuhl ihm zu große Schmerzen bereitet und er außerdem immer noch halbnackt ist und draußen eine Busladung voll Publikum wartet.
Inzwischen kann man unsere Kleidung auswringen und sich einen leckeren, nahrhaften Tee daraus kochen.
Endlich ist alles geschafft und wir können dieses unselige Haus verlassen. Draußen warten jetzt fünf PKW und zwei Busse. Mehrere Fahrer hupen. Eine sehr aufgebrachte Fahrerin steht neben unserem RTW und schimpft in einer Tour, dass wir hier nicht stehen können, dass wir im Halteverbot stehen, und dass wir keine Sonderrechte haben – das Blaulicht wäre ja schließlich aus.
Ich verkneife mir eine sehr bösartige Antwort und empfehle ihr nur, das noch einmal besser zu recherchieren, bevor wir das Gespräch fortsetzen, und mache mich gemeinsam mit meinem Kollegen daran, den Patienten in den RTW zu laden.
Sie brüllt währenddessen, dass wir ja auch nicht so faul genau vor dem Haus parken müssen, sondern ruhig paar hundert Meter die Straße runter, dann müssten wir halt mal ein paar Schritte laufen. Wie unverschämt und unangebracht, nachdem wir wirklich fast eine Stunde lang mehrfach umgelagert und geschleppt haben, und körperlich völlig in den Seilen hängen.
Bevor ich zum Patienten dazusteigen kann, hält die Fahrerin mich am Arm fest, und einer der Busfahrer kommt dazu und sagt, dass wir jetzt warten müssen, bis die Polizei da ist. Schließlich hätten wir ja den Linienverkehr blockiert.
Ich frage ihn ob er eigentlich Lack gesoffen hätte, reiße mich los und steige zu meinem Patienten.
(Wir haben immer Sonderrechte, auch wenn das Blaulicht aus ist.)
(Und wir haben nach dem Einsatz mal just for fun bei der Polizei nachgehört. Ja, es ging tatsächlich ein Anruf von einem der Busfahrer aus, aber der wütende Mob hat direkt gesagt bekommen, dass man einen Rettungswagen im Einsatz nicht abschleppen lassen kann, auch wenn er den Linien- und Individualverkehr blockiert. Leute gibts.)
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